Die KPÖ war die erste Partei, die sich nach 1945 für die Neutralität Österreichs einsetzte. Von Manfred Mugrauer
Das Eintreten für den Staatsvertrag war eine Konstante der KPÖ-Politik im Besatzungsjahrzehnt. Bereits ab 1945 forderte die Partei den sofortigen Abzug aller Besatzungstruppen und die Wiederherstellung der vollen Souveränität Österreichs. Ab Jahresbeginn 1950, als sich eine weitere Verschleppung der Staatsvertragsverhandlungen abzeichnete und diese in den folgenden Jahren wegen der Verschärfungen des Kalten Krieges weitgehend stilllagen, wurde die Neutralitätslosung zum wichtigsten Element der kommunistischen Staatsvertragspropaganda. Die KPÖ war damit die erste Parlamentspartei, die für die Neutralität eintrat, um die volle Unabhängigkeit des Landes wiederzuerlangen.
Keine Teilnahme an Militärbündnissen
Als Haupthindernis für den Abschluss des Staatsvertrags galt aus Sicht der KPÖ die einseitige Westorientierung der österreichischen Regierung. Gegenüber der proamerikanischen Haltung von ÖVP und SPÖ verlangte die KPÖ Neutralität in außenpolitischer Hinsicht, ein Heraushalten Österreichs aus allen Militärbündnissen sowie aus dem Kalten Krieg. Im Nationalrat brachten die kommunistischen Abgeordneten im Frühjahr 1950 wiederholt Anfragen und Entschließungsanträge ein, in denen die Verschleppung des Staatsvertrags und die Fortdauer des Besatzungsregimes kritisiert wurden. Diese Initiativen wurden von den anderen Parteien stets abgelehnt. Die »absolute Neutralität nach beiden Seiten hin« war in den frühen 1950er Jahren auch eine der Hauptforderungen der österreichischen Friedensbewegung, die maßgeblich von der KPÖ getragen wurde.
Als im Februar 1953 vorgezogene Nationalratswahlen anstanden, avancierte die Neutralität zur Hauptlosung im Wahlkampf der Österreichischen Volksopposition, des von der KPÖ initiierten Wahlbündnisses. Österreich sollte weder der NATO beitreten noch an der damals in Diskussion befindlichen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und einer Europa-Armee teilnehmen. Mit allen Staaten sollte Außenhandel betrieben werden, das ehemals reichsdeutsche Eigentum sollte an keine ausländischen Konzerne übertragen werden dürfen.
Am 16. April 1953 entwickelten die kommunistischen Abgeordneten im Nationalrat eine dahingehende Initiative: In einem Entschließungsantrag forderten sie die Regierung auf, den Großmächten unmissverständlich klarzumachen, »daß Österreich entschlossen ist, eine Politik der strikten Neutralität durchzuführen, keinerlei einseitige politische oder wirtschaftliche Bindungen einzugehen und im Interesse des Friedens freundschaftliche Beziehungen mit allen Ländern anzustreben«. Auch dieser Antrag wurde von den anderen Parteien abgelehnt. Im September 1953 propagierte das Zentralkomitee der KPÖ die Entfaltung einer »breiten Volksbewegung für die Neutralität unseres Landes«.
Kommunistisch konnotierte Losung
Die Neutralitätspropaganda der KPÖ hatte zur Folge, dass diese Thematik in der öffentlichen Debatte der Jahre 1950 bis 1953 vollkommen in den Hintergrund gedrängt wurde. »Frieden« und »Neutralität« wurden in der politischen Auseinandersetzung als kommunistisch konnotiert und anrüchig wahrgenommen. Der bloße Gebrauch dieser Begriffe erweckte den Verdacht, man besorge die Geschäfte der KPÖ. Beide Großparteien, die in der ideologischen Konfrontation zwischen Ost und West nicht neutral bleiben wollten, lehnten die »Neutralität« daher strikt ab. Im Nationalrat kennzeichnete Außenminister Karl Gruber die Neutralität als »trojanisches Pferd« der KPÖ, »um die Volksdemokratie in heute noch freie Gebiete einzuschmuggeln«. Unter »Neutralität« könne jedoch nicht verstanden werden, »den militanten Kommunismus in Österreich zu tolerieren«, so der ÖVP-Politiker im April 1952 in Reaktion auf einen Antrag der KPÖ, an die Großmächte zu appellieren, den Kalten Krieg zu beenden.
Erst ab 1953 wurde die Neutralität im Zeichen der internationalen Entspannung zum Gegenstand einer breiteren innenpolitischen Auseinandersetzung. Die Sowjetunion hatte davor klargestellt, dass nur eine Erklärung Österreichs, keinem Militärbündnis beitreten zu wollen, den Abschluss des Staatsvertrags ermöglichen würde. Vor allem in ÖVP-Führungskreisen wurde nun in der Allianzfreiheit ein Weg erkannt, der zur Unabhängigkeit des Landes führen könnte. Dem entsprach die Politik größerer Gesprächsbereitschaft gegenüber der Sowjetunion, die der neue Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) ab 1953 vertrat. Dies ebnete den Weg zu neuen Verhandlungen über den österreichischen -Staatsvertrag im Rahmen der Berliner Konferenz im Februar 1954.
Kurzzeitiger Kurswechsel
Bis zu diesem Zeitpunkt verknüpfte die KPÖ die Neutralitätslosung mit der Warnung vor einem Wiedererstarken des deutschen Militarismus. Genau dieser Zusammenhang war allerdings dafür verantwortlich, dass die Partei von ihrer bisherigen Neutralitätspolitik abging und im Mai 1954 auf Geheiß der sowjetischen Führung die Neutralitätslosung kurzzeitig fallenließ. Begründet wurde dieser Kurswechsel mit der vom US-Imperialismus betriebenen Wiederbewaffnung Westdeutschlands. Just zu dem Zeitpunkt, in dem sich auch in Regierungskreisen mehr und mehr die Einsicht durchzusetzen begann, dass allein die Neutralitätsoption einen Ausweg aus der Sackgasse der Staatsvertragsverhandlungen andeuten könnte, wurde am 16. Parteitag im Mai 1954 die Gefahr eines neuerlichen Anschlusses Österreichs an Deutschland derart hoch veranschlagt, dass die bisherige Neutralitätspolitik als unzureichend eingeschätzt wurde. »Österreich kann nicht neutral sein gegenüber den Kräften, die seinen Todfeind, den deutschen Militarismus großzüchten, auf der einen Seite, und gegenüber den Völkern, die den deutschen Militarismus bekämpfen, auf der anderen Seite«, so die Argumentation des KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig in seinem Referat am Parteitag.
Hintergrund dieses Positionswechsels der KPÖ war die unnachgiebige Linie des sowjetischen Außenministers Molotow in der deutschen und österreichischen Frage. Molotow hatte auf der Berliner Konferenz als Bedingung für den Abschluss des Staatsvertrags formuliert, dass bis zum Abschluss eines Friedensvertrags mit Deutschland alliierte Truppen in Österreich stationiert bleiben sollten. Für Molotow war die KPÖ nicht mehr als eine Spielkarte, um diese Verknüpfung der österreichischen mit der deutschen Frage zu unterstreichen. Diese negative Verknüpfung der Neutralitätsfrage mit dem deutschen Militarismus erwies sich zudem insofern als wenig plausibel, als von der KPÖ auch in der Vergangenheit keine neutrale Haltung gegenüber der Wiederaufrüstung Westdeutschlands verlangt worden war.
Ungeachtet der am 16. Parteitag getroffenen Feststellung, dass die Neutralitätsparole nicht mehr genüge, wurde in den folgenden Wochen und Monaten jedoch keine Kampagne zur inhaltlichen Rechtfertigung dieses Abgehens von der bisherigen Hauptlosung entfaltet. Die bisherige Schwerpunktsetzung wurde stillschweigend und ohne Polemik gegen die Neutralitätslosung aufgegeben, weshalb auch der politische Gegner auf den Schwenk der KPÖ, der gewiss Anlass zu Häme gegeben hätte, kaum einging. Auch in dieser Situation wird der KPÖ klar gewesen sein, dass die einzig realistische Chance für den Abschluss des Staatsvertrags darin bestand, dass sich Österreich aus allen politischen und militärischen Bindungen heraushalte. Darüber hinaus hielt die von der KPÖ angeführte Volksopposition an der Neutralitätspolitik in der bisherigen Form fest. Es wurde also den Verbündeten nicht zugemutet, eine Kursanpassung gemäß sowjetischen Vorgaben zu vollziehen, die breiten Schichten der österreichischen Bevölkerung schwer zu vermitteln gewesen wäre.
Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz
Gegen Molotows Versuche, einen Truppenabzug hinauszuzögern, setzten sich ab Jahresbeginn 1955 in der sowjetischen Führung mit Nikita Chruschtschow an der Spitze jene durch, die eine beweglichere Politik befürworteten. Letztlich war es die außenpolitische Option der Neutralität, die am 15. April 1955 mit der Unterzeichnung des »Moskauer Memorandums« den Durchbruch bei den Staatsvertragsverhandlungen brachte. Hierin wurde die immerwährende Neutralität als Weg zur Sicherung der staatlichen Unabhängigkeit festgeschrieben. Nur wenige Wochen danach folgte in Wien die Vertragsunterzeichnung, die den Abzug der Besatzungstruppen und den Verkauf des Deutschen Eigentums an Österreich zur Folge hatte. Wie bis 1954 von der KPÖ gefordert, wurden Neutralität und Blockfreiheit zur Voraussetzung, um die Unabhängigkeit des Landes wiederherzustellen.
Die KPÖ konnte zwar zu Recht darauf hinweisen, dass sie jahrelang als einzige politische Partei für die Neutralität Österreichs gekämpft hatte, es war ihr aber aufgrund ihrer schwankenden Haltung 1954/55 schwer möglich, daraus größeres Kapital zu schlagen. Insgesamt konnte die KPÖ, die von der sowjetischen Führung nicht über den Verlauf der Verhandlungen mit der österreichischen Regierung informiert worden war, keinen propagandistischen Nutzen aus dem Vertragsabschluss ziehen. Paradoxerweise waren es die sowjetfeindlichen Parteien ÖVP und SPÖ, die von der sowjetischen Außenpolitik profitieren konnten, und nicht die KPÖ.
Ab April 1955 knüpfte die KPÖ nahtlos an ihre Neutralitätspropaganda aus der Zeit vor dem Mai 1954 an: Die wichtigste Aufgabe wurde nun darin erkannt, »die Unabhängigkeit und Neutralität Österreichs zu verankern, zu festigen und zu schützen«. Zu einer »ehrlichen Neutralitätspolitik« gehöre nicht nur die militärische, sondern auch die politische und die wirtschaftliche Neutralität, also die »Freundschaft mit allen Ländern« und die Pflege von »Wirtschaftsbeziehungen mit allen Staaten«, wie im Theorieorgan der Partei zu lesen war. Am 26. Oktober 1955 beschloss der Nationalrat mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und KPÖ, aber gegen die Stimmen des FPÖ-Vorläufers VdU, das Verfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs. Bis heute tritt die KPÖ für eine aktive Friedenspolitik im Sinne dieser immerwährenden Neutralität ein.