Ein paar kleine Feuer legen Foto: elsa okazaki

Ein paar kleine Feuer legen

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Die Regisseurin und Drehbuchautorin Katharina Mückstein im Gespräch mit Heide Hammer über ihren neuen Film Feminism WTF und über patriarchale Strukturen in der österreichischen Filmbranche

Ist dein neuer Film Feminism WTF [ab 31. März in den Kinos] auch ein Geschenk an die Akademia? Deine Gesprächspartner:innen präsentieren sich sehr offen, dennoch erklären sie dem Publikum etwas. Zwar wird kurz auf ihre akademische Position verwiesen, aber ihre Expertise steht nicht im Zentrum. Führst du einen politischen Dialog?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Die akademische feministische Forschung war so ein großes Geschenk in meine Leben, dass ich mir gewünscht habe, etwas zu der Übersetzung zwischen Akademia und Mainstream beizutragen. Diese Vermittlung ist besonders in europäischen Zusammenhängen oft sehr schwierig, häufig fehlt es an Wertschätzung für diese Übersetzungsarbeit. Ich sehe mich mit meiner Arbeit genau da, etwas herzustellen, wovon möglichst viele Leute profitieren können, einen Film zu produzieren, den sich möglichst viele Leute anschauen können.

Zentral war bei diesem Film für mich die Frage der Augenhöhe: Feminismus besteht zum Teil aus einem akademischen Diskurs, ebenso aus einem aktivistischen Diskurs und letztlich auch aus einer privaten und persönlichen Perspektive und der künstlerischen Auseinandersetzung damit. Ich wollte das alles gerne auf Augenhöhe bringen, d. h. jene Protagonist:innen im Film, die mit ihrer Identität, mit ihrem Körper präsent sind, jene die tanzen, sind ebenso Expert:innen, sind ebenso politisch wie jene Menschen, die sprechen.

Die Idee, dass Wissenschaft etwas Objektives ist, ist auch eine sehr patriarchale Idee. Feministische Wissenschaft speist sich immer auch aus einer privaten Geschichte und der Weise, wie man das Private zu etwas Politischem gemacht hat, daraus ein Interesse entwickelt und angefangen hat, sich mit der Welt zu beschäftigen. Ich hab auch die Expert:innen als Performer:innen kontaktiert, damit zusammen hängt auch die Idee, ihnen ein Kostüm anzuziehen und ihnen ein Set zu bauen. Also sie nicht dabei zu filmen, wie sie gerade 200 Studierende unterrichten, sondern sie als Personen zu featuren, lange Gespräche zu führen, damit auch eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen und auch ihrem Humor Platz zu geben. Es ist ein Film, der so geworden ist, wie die Summe der Perspektiven, die ich geschafft habe, einzubringen. Da fehlt sicher auch vieles, aber es gibt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr ist die Subjektivität zentral.

Ich habe Feminism WTF sehr genossen – auf großer Leinwand wirkt er bestimmt noch besser –, denn es gibt neben vielen inhaltlichen Aspekten auch eine interessante Gestaltung der Räume: Du arbeitest sehr explizit mit Farben. Was hat es damit auf sich?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Mir hat die Vorstellung gefallen, einen Film über Feminismus aus den Überresten des Kapitalismus zu machen. Es sollte somit eine Funktionsarchitektur sein – letztlich ist es ein leerstehendes Bürohaus geworden –, die dafür gemacht wurde, dass sich Leute einfügen und funktionieren. Es haben also die Räume immer etwas vorgegeben, auch irgendeine Art von Schrott, den wir gefunden haben. Wir haben dann irrsinnig viel angemalt, uns überlegt, wie wir Kostüm und Set zusammenbringen, damit das alles so in einer Farbe bleibt. Mir hat die Idee von einem Haus auch gut gefallen, für ein Bild von Community. Alle Leute, die im Film mitgemacht haben, haben feministische Themen als wichtige Themen in ihrem Leben. Dass da also verschiedene Leute in einem Haus zusammenkommen, um diesen Film zu machen und dass dieses Haus im Grunde nur das ist, was das System uns übriggelassen hat und wir trotzdem dieses Haus für uns nutzen. Dann gibt es immer wieder auch den Blick aus dem Fenster: Der feministische Diskurs ist für mich auch immer ein sichererer Ort, das Hinausschauen hat dann manchmal auch etwas Bedrohliches, zugleich ist es der Blick auf die Welt, also ein Changieren zwischen Sicherheit und einem Blick hinaus auf die Welt.

Wie hast du die Protagonist:innen ausgewählt?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Uns war klar, wenn wir von Feminismus sprechen, dass wir an Intersektionalität denken. Ich wollte aber keinen Film machen, der heißt: Intersektionalität WTF. Weil der Begriff auch schon eine Hürde wäre und im Film nur ein oder zwei Mal vorkommt. Wir wollen Intersektionalität nicht beschreiben, sondern wir wollen das, was wir an Unterschiedlichkeit und an unterschiedlichen Perspektiven aufbringen können, in den Film hineinpacken und im Film sein und leben lassen. Dabei sind wir auch übereingekommen, dass wir versuchen, eine einfachere Sprache zu verwenden, also so simpel wie möglich und so komplex wie nötig. Und letztlich ging es auch darum draufzukommen, wer Lust auf so ein Projekt hat, denn für Menschen aus dem akademischen Bereich ist es nichts Alltägliches, vor die Kamera zu kommen und sich schminken, sich anziehen zu lassen und sich so zu exponieren.

Und wie kam es zu den Tanz- und Spielszenen? Wird damit der Aspekt von Queer-Community noch einmal stärker betont?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Hier geht es darum, den Geprächsinhalten Körperlichkeit zu verleihen. Ich wollte also Bilder machen, wo das nachhallt, was gerade besprochen wurde. Im Casting wurde geklärt, was die Leute gerne in diesem Film machen möchten: Welches Kostüm hättest du gerne? Was von dir würdest du gerne zeigen? So haben wir das gemeinsam erarbeitet.

Von welchen inhaltlichen Fragen bist du ausgegangen?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Die Dramaturgie des Films ist im Schnitt entstanden. Ich hatte also eine riesige Menge an Interviewmaterial und habe sehr lang mit meiner Editorin daran gearbeitet, einen Bogen zu entwickeln. Die Berufung auf Binarität und Biologie, um soziale Unterschiede zu rechtfertigen, ist das, was sich immer noch am meisten hält. Deshalb wollte ich das als Erstes angehen, um die argumentative Voraussetzung zu schaffen, zu erkennen, dass binäres Denken – das Kategorisieren von Menschen in ein Oben und Unten – die Voraussetzung für Ungleichheit ist. Das sind nun aber menschengemachte Kategorien, die genau diesen Zweck haben. Ich geh im Film von dem aus, was für natürlich gehalten wird und baue das auseinander. Denn wozu dient diese Binarität? Den Kapitalismus durch die Trennung in unbezahlte Arbeit und Lohnarbeit, in Privates und Öffentliches zu erhalten. Ich habe dem Komplex von Kolonialgeschichte und der Frage, wie Rassismus auch vergeschlechtlicht ist, sehr viel Raum im Film gegeben, weil ich das Gefühl habe, dass diese Auseinandersetzung noch sehr unterbelichtet ist und einfach dringend stattfinden muss. Aufklärung und Menschenrechte als Instrumente europäischer Herrschaft, als Zement sozialer Unterschiede, wenn man das mal begriffen hat, dann geht einem wirklich ein Licht an.

Und am Ende stehen dann auch die Fragen: Was ist mit den Männern? Wo sind die?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Ich finde kritische Männlichkeitsforschung sehr wichtig, zugleich ist das nicht so ganz meine Aufgabe. Da war für mich dann die Entscheidung, einen cis Mann in den Film zu setzen, der über Männer spricht. Und aus der Perspektive einer Feministin dann die Frage zu stellen: Wo sind die ganzen Männer, die damit nicht einverstanden sind? Warum engagieren sich die nicht? Und damit auf die Verletzlichkeit zu kommen: Wenn wir eine Zukunft auf diesem Planeten haben wollen, dann muss das eine feministische Zukunft sein.

Hast du durch deine Arbeit an diesem Film eine Antwort auf die Frage, warum nicht einmal die alte Trias von Race, Class und Gender ein linkes Selbstverständnis geworden ist? Warum es also möglich ist, Klassen-(Ökonomie) gegen Identitätspolitik zu setzen und ein altes linkes Selbstverständnis, die internationale Solidarität, weitgehend zu tilgen? Nach Althusser schlägt zwar die einsame Stunde der Ökonomie nie, aber schlägt die Stunde des Patriarchats immer und überall?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Auch die Linke ist nicht frei von vielen patriarchalen Überzeugungen. Ich bin schon früh draufgekommen, dass sich Politik von Emotionalität nicht trennen lassen. Die Frage, wie wir gewillt sind auf die Welt zu schauen und sie zu analysieren, Problemstellen auszumachen, hat extrem viel damit zu tun, mit welcher Emotionalität wir in der Welt stehen. Das habe ich in den linken Zusammenhängen, in denen ich auch schon als Teenager organisiert war, so nie gefunden. Also zumindest nicht auf einer Ebene von Sensibilität oder Liebe als revolutionärem Konzept. Die feministische, intersektionale Hinwendung zu Verletzlichkeit ist ein ganz wichtiger Fokus, ohne den ich keine konsequente politische Haltung finden kann. Wenn man nicht gewillt ist, verschiedene Kategorien von Verletzlichkeit oder Verletzbarkeit anzuerkennen, dann kann man auch immer nur einen kleinen Ausschnitt der Welt sehen. Und die Voraussetzung, dass man mehr sehen kann, ist dann auch eine Art von Selbstlosigkeit, die man sich immer wieder erarbeiten muss. So wie das auch in meinem Film gesagt wird, Feminismus heißt auch, den Mund halten und wirklich zuhören zu können. Das fehlt in der Linken ganz viel – eine Idee davon zu entwickeln, was es heißt, Räume zu schaffen, in denen marginalisierte Personen sprechen können und ihnen ernsthaft zugehört wird. Und davon dann Prioritäten abzuleiten. Man kann noch so schlau sein und noch so radikale Positionen vertreten, wenn man dazu keine Emotionalität und Beziehungsarbeit pflegt, die auch damit zusammen hängt, dann wird man nirgendwohin kommen und nie auch die Kraft von Vielen nutzen können. Stattdessen wird man immer wieder neue Hierarchien und Ausgrenzungsmechanismen herstellen.

Zwar erscheint es auch mir offensichtlich, dass feministische Bewegungen die erfolgreichsten sozialen Bewegungen wenigstens der letzten Jahrzehnte sind, dennoch sind die Protagonist:innen in Feminism WTF nach der Frage von Zukunftsvisionen eher wortkarg. Ist uns in all den sozialen, politischen, institutionellen Kämpfen die Phantasie abhanden gekommen und ist dafür nun wiederum allein die Kunst zuständig?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Ich fand den Ausgang dieser Frage letztlich schön: Wir wissen zwar, es muss sich ganz vieles ändern, aber wir haben keinen quick fix. Es ist eben nicht so, dass Feminist:innen sagen, Patriarchat abschaffen und dann ist alles erledigt oder wie manche Linke sagen, Kapitalismus abschaffen und dann ist alles gut. Es ist auch ein Bekenntnis zu Ambivalenz, diese Offenheit sehe ich bei allen Protagonist:innen. Die Idee, dass man eine klare Vision haben muss, um einen politischen Kampf voranzubringen, ist für mich auch eine sehr männliche Idee. Ich finde es gut, sich dazu zu bekennen, dass man etwas nicht weiß, dass man ansteht. Für mich ist das auch eine feministische Haltung, dass Politik machen auch heißt, nicht für alles Lösungen zu haben.

Mir war wichtig, dass man sieht, da kommen Leute aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen und mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und finden sich in einem Diskurs. Mich hat das bereits in den Vorgesprächen sehr beeindruckt, dass niemand gesagt hat, aber mein Kampf ist der wichtigste Kampf, wenn man meinen Kampf löst, löst man alles andere mit. Vielmehr waren alle immer sehr bemüht, die Kämpfe der anderen mitzudenken und auch mitzukommunizieren. Uns ist auch aufgefallen, dass wir alle in den Gesprächen immer wieder in diese Binarität von Mann und Frau zurückfallen, zugleich ist das der Punkt, an dem wir stehen. Wenn dieser Film in 20 Jahren gemacht wird, wird er ganz anders aussehen.

Du hast zahlreiche Produktionen realisiert, für deinen bislang erfolgreichsten Film L’Animale viele renommierte Nominierungen und einige Preise bekommen, du hast dafür das Drehbuch geschrieben und Regie geführt, du arbeitest für’s Fernsehen und du bist politische Aktivistin. Wie geht sich das alles aus?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Für mich geht sich sehr viel aus, wenn mir die Dinge, die ich mache, sinnvoll erscheinen. Ich kann es nicht aushalten, ein System, das ich als ungerecht erachte und eine Struktur, in der ich mich bewege, nicht zu bearbeiten. Ein Teil meiner Arbeit in der Filmbranche ist ein Abarbeiten an diesen Verhältnissen.

Du bist eine zentrale Akteurin in der österreichischen #MeToo-Debatte. Ist es – neben der emotionalen Belastung – in Bezug auf deine Karriere nicht sehr riskant, dich dermaßen zu exponieren?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Gerade das Ansprechen von Machtmissbrauch und Übergriffen in der Filmbranche haben mir im letzten Sommer wieder gezeigt, dass es für mich ohnehin nicht anders möglich wäre. Wenn ich in dieser Branche bleiben will, dann kann ich nicht den Mund halten. Wenn es mir schadet, dann soll’s so sein. Was würde es mir bringen, an irgendwelchen Karriereoptionen festzuhalten, wenn der Preis dafür ist, mich kleinzumachen oder beizutragen zu einem System, von dem so viele Menschen Schaden nehmen. Ich stell mir die Frage des Risikos schon immer wieder und ich versuche auch, auf mich aufzupassen – ich bin seit acht Monaten auch ständig juristisch beraten –, aber am Ende bringt es mir Energie, wenn es mich in Beziehung bringt mit Leuten und echten Problemen und dem Gefühl, dass man daran auch etwas verändern kann. Das speist auch meine Arbeit wieder und es bringt mich weiter als Person, also ich sehe darin viel mehr Vorteil als Risiko. Kann ich nur empfehlen, ein paar kleine Feuer zu legen und zu schauen, was daraus entsteht.

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Gelesen 2142 mal Letzte Änderung am Dienstag, 11 April 2023 10:13
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