Elke Kahr Elke Kahr FOTO CHRISTIAN JUNGWIRTH

Elke Kahrs radikaler Blick von unten

von

Ein Porträt von Hannah Luschnig

Grazer Rathaus, zweiter Stock. Die KPÖ ist umgezogen. Sie ist gewachsen und das alte Büro zu klein geworden. Im Gang lehnt hochkant eine rote Couch an der Wand, überall stehen Kisten. Elke Kahr schreitet voran und mahnt zur Eile. Sie hat nicht viel Zeit. Seit November ist sie die neue Bürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Österreichs. Hier sprechen noch alle über die ORF-Pressestunde vom Sonntag. Elke Kahr kam gut an und ließ sich vom Interviewstil nicht beirren. Stalin und Nordkorea: geschenkt, damit hat sie nichts am Hut. Dabei könnte man innerhalb der ideologischen Verzweigungen der KPÖ-Steiermark durchaus bis zu Lenin-Kult und Sowjet-Nostalgie vordringen. Aber mit allzu platten Fragen gelingt das freilich nicht.

Elke Kahr führt in ihr Büro. Rechts steht das berüchtigte Kallax-Regal, das die Medien so bewegt hat. Es hätte die steiri­schen Tischler nicht sehr gefreut, so die bissige Moderatoren-Bemerkung in der ORF-Pressestunde, dass Kahr »abgewohnte Ikea-Möbel« in ihr Büro gestellt hätte. Die Büromöbel wären alle von der steirischen Firma Neudörfler, erzählt ein KPÖ-Mitar­beiter von Kahr. Aber wegen dieses einen Ikea-Regals hätte es viel künstliche Aufre­gung gegeben. Auf Elke Kahr schien das wenig Eindruck zu machen. Ob ihr nun ein einflussreicher Journalist oder eine einfa­che Bürgerin gegenübersitzt – sie behan­delt alle gleich und ohne Kalkül. Sie orien­tiert sich nicht an Status und Geld, den Din­gen, die andere antreiben. Das macht sie außergewöhnlich. Den Großteil ihres Gehalts spendet Kahr für Menschen in Not­lagen. Als Bürgermeisterin bekommt sie über 14.500 Euro monatlich, davon behält sie ungefähr 2000. Das reicht ihr zum Leben. Der Versuchung, gesellschaftlich aufzusteigen, ist sie nicht erlegen. Sie hat andere Träume.

Mit dem österreichischen Durchschnittsge­halt auszukommen, erfüllt noch einen wei­teren Zweck: man verliert nicht die Boden­haftung, den Sinn für die Sorgen der Men­schen, »die es sich nicht richten können«. Elke Kahr wird von ihren Bekannten als bescheiden, menschlich und integer beschrieben. Das schätzen offensichtlich auch die Wähler*innen, die der KPÖ bei den Gemeinderatswahlen im Herbst fast 29% Prozent aller gültigen Stimmen beschert haben. Mit diesem Sieg endete auch die Amtszeit des ÖVP-Langzeitbürger­meisters Siegfried Nagl. Auf ihn folgte an der Spitze einer Dreierkoalition mit der SPÖ und den Grünen Elke Kahr, deren Stil sich wohltuend von der Politik der Selbst­bereicherung und der Prestigeprojekte abhebt. »Wir sind alle nicht in die KPÖ gegangen, um etwas zu werden«, sagt sie und nimmt einen Zug von ihrer Zigarette. Ein bisschen Asche fällt auf den Tisch, die wischt sie in den Aschenbecher.

An ihrem Alltag hat sich nicht viel verän­dert, seit sie Bürgermeisterin ist. Die Sprechstunden hält sie noch immer ab, jetzt aber meist freitags oder samstags. Am Samstag kann es schon vorkommen, dass 80 Leute sie um Rat fragen, manchmal sind es aber auch bis zu 150 in einer Woche. Dann verlässt sie das Büro erst um 20 Uhr. Elke Kahr powert durch, in einer rastlosen, wenngleich gelassenen Art. Die Leute kom­men überwiegend, weil sie eine Wohnung brauchen oder Probleme mit Vermieter*innen haben. Sie hört sich ihre Sorgen an und versucht, Lösungen zu fin­den. In der Presse wird sie dafür oft als nette Sozialarbeiterin belächelt. Ob sie das stört? »Ist eine Ehre«, antwortet sie. Elke Kahr ist die erste weibliche Bürgermeiste­rin in Graz. Ihr Feminismus ist zurückhal­tend und selbstverständlich. Auch hier konzentriert sie sich auf soziale Fragen: das Problem der prekären Beschäftigung, der Frauenarmut, der ökonomischen Ungleich­heit.

Angefangen hat sie 1993 als Gemeinderä­tin in Graz, da war sie schon seit zehn Jah­ren KPÖ-Parteimitglied. Anfang der 80er hatte sie noch in der Kontrollbank gearbei­tet, der Partei ihre Wochenenden gewidmet und unter der Woche die Abendmatura gemacht. In der Zeit lernte sie auch ihren Lebensgefährten kennen, den ehemaligen KPÖ-Landesvorsitzenden Stephan Parteder, mit dem sie einen mittlerweile erwachse­nen Sohn hat. Gefördert wurde sie damals von Ernest Kaltenegger, der die KPÖ aus der Versenkung geholt und sie zu einer bedeutenden politischen Kraft in der Stei­ermark gemacht hatte. Bevor er sich »in die zweite Reihe verabschiedete«, baute er mit Elke Kahr bereits seine Nachfolge auf. Beide verdanken ihren Erfolg unter anderem ihrem unermüdlichen Einsatz für Mieter*innen. Sie prüfen Mietverträge, beraten, schlichten und betreiben dafür seit Jahrzehnten einen Mieternotruf. Die Partei gibt sich zugänglich, bürgernahe und sozial. Und: bei Elke Kahr ist das nicht gespielt, sie ist so.

Aufgewachsen ist Kahr bei ihren Adoptiv­eltern in der Triestersiedlung in Graz, »wo es damals noch Baracken gab«, wie sie bei ihrer Antrittsrede erzählte. Ihr Vater, ein Schlosser, ist in jeder Hinsicht ein Vorbild gewesen: ein »gebildeter Arbeiter« mit offenem Herzen und Neugierde auf die Welt. Ein durchaus politischer Mensch, auch wenn er das von sich nicht so gesagt hätte. Jemand, der Grundsätze in ihr gefes­tigt hat. Dass es wichtig ist, eine Arbeit zu haben, um auf eigenen Beinen zu stehen, und dass es keine niederen Arbeiten gibt. Dass ein Mädchen gleich viel wert ist wie ein Bursche. Politisiert hat sie die Sehn­sucht nach einer sozial gerechteren Welt. Als sie aufgrund dieser Sehnsucht zur KPÖ ging, fand sie eine antiquierte Partei vor. Verstaubt in Geschlechterfragen, unge­schickt im Auftreten. Zu abgeschottet, kei­nen Sinn für Ästhetik, wenig freundlich. Das hatte schon Ernest Kaltenegger ver­standen und die KPÖ auf einen konsequent sozialen Weg gebracht.

Mittlerweile steht die Partei in Graz für offene Türen und Konten. Die reden nicht nur, die tun auch was. Kahr gewinnt das Vertrauen der Leute durch alltagstaugliche, nützliche Politik, nicht indem sie »auf eine bessere Welt irgendwann« vertröstet, selbst wenn die Möglichkeiten der Lokalpo­litik beschränkt sind. So hat die Stadt heuer die Gebühren für Müll und Kanal nicht erhöht, dafür den Energiekostenzuschuss erweitert. Aber eine Mietobergrenze: darü­ber kann eben nur die Bundesregierung entscheiden. Nur weil man ein Gesetz nicht ändern kann, heißt das nicht, dass man nichts machen kann. »Einfach konkret da sein für die Leute«, sagt Elke Kahr. Und zwar mit einem »Blick von unten«. Dann steht sie auf, irgendwer braucht eine Unterschrift von ihr. Und auch sonst gibt es noch viel zu tun.

Hannah Luschnig arbeitet im IT-Bereich und ist LINKS-Bezirks­rätin in der Brigittenau. Unlängst hat sie sich auch als Fotografin betätigt. Sie schreibt verdammt gerne.

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Gelesen 3167 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 03 März 2022 14:40
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