Was man alles (nicht) tut, um eine Autobahn durch ein Naturschutzgebiet zu bauen. Zum fragwürdigen Stellenwert des Lobau-Nationalparks für die Wiener Politik. Ein Hintergrundbericht von Hilde Grammel
Das Lobau-Museum veröffentlichte am 14. Jänner 2021 einen Beitrag – großer Dank an die Mitarbeiter dieser inzwischen nur mehr virtuell agierenden Institution für ihre detaillierte Recherche –, dessen Inhalt viele Fragen aufwirft, auf die es keine Antworten von offizieller Seite gibt. Die Autoren sprechen von »politischer Unaufmerksamkeit, wenn nicht sogar Geringschätzung«. Weniger zurückhaltende Zeitgenoss*innen würden sagen: Es handelt sich um geheime Absprache auf höchster Ebene, um das Projekt »Lobautunnel« endlich realisieren zu können (es gilt natürlich die Unschuldsvermutung, die schön langsam ein Dauerzustand in diesem Land wird). Fakt ist, dass auf Höhe des Ölhafens mehr Wasser unnötig in die Donau abgeleitet wie von oben via Neue und Alte Donau der Lobau zugeführt wird, und das seit mehr als zehn Jahren. Aber der Reihe nach.
Selbst Naturschutzgebiete haben in Wien eine Geschichte
In der NS-Zeit wurden – unter Ausbeutung der Arbeitskraft ukrainischer Kriegsgefangener und ungarischer Jüdinnen und Juden – Öltanks, ein Ölhafen und der Donau-Oder-Kanal errichtet und dadurch ein Teil der naturbelassenen Auenlandschaft zerstört. Die Anlage sollte der NS-Industrie als Umschlagplatz für rumänisches und ungarisches Erdöl dienen, das über den Donau-Oder-Kanal Richtung Deutschland transportiert werden sollte, so der Plan. Zur Fertigstellung des Donau-Oder-Kanals kam es jedoch nie, was blieb, waren Tanklager, Ölhafen und ein in vier Becken unterteiltes Fragment des Kanals. Gegen Kriegsende wurde das Tanklager (von Flugzeugen der Westalliierten, die kein Interesse daran hatten, dass in der sowjetisch kontrollierten Zone Industrie bestehen blieb) heftig bombardiert, mehrere zehntausend Tonnen Öl flossen aus und sickerten ins Erdreich, das bis heute kontaminiert ist. Betriebsunfälle im Laufe der Jahre hatten ähnliche Auswirkungen. »Das Tanklager steht auf unterirdischen Ölseen«, beschreibt Jutta Matysek von der BI »Rettet die Lobau« die Situation.
Um die Lage noch zu verkomplizieren, wurde in den Jahren 1964 bis 1966 das Grundwasserwerk Lobau unmittelbar flussabwärts des Ölhafens errichtet. Seine Funktion besteht darin, bei Verbrauchsspitzen oder im Falle notwendiger Reparaturen an der Hochquellwasserleitung die Wasserversorgung Wiens sicherzustellen. Also keine geringe Aufgabe.
Ende der 1980er Jahre entdeckte man bei Messungen flussabwärts des Tanklagers Ölrückstände im Grundwasser, die dem Grundwasserwerk Lobau gefährlich nahekamen, was die Gemeinde Wien in weiterer Folge dazu veranlasste, entlang des Donau-Oder-Kanals eine Reihe aus sechzehn Sperrbrunnen zu errichten, um die Gefahr der Kontaminierung des Grundwassers abzuwenden. In einer damals im Wiener Gemeinderat stattfindenden Diskussion zu dieser Causa warnte der ÖVP-Abgeordnete Ernst Neubert vor der Austrocknung der Lobau durch die geplanten Sperrbrunnen, prophezeite eine durch die Wasserableitungen notwendig werdende dauerhafte Dotierung (Wasserspeisung, -einleitung) der Lobau und sprach sich für eine Absiedelung des Tanklagers und längerfristig auch des Grundwasserwerkes aus. Aber wie immer, wenn sich eine große Regierungspartei etwas in den Kopf gesetzt hat, war das Wort eines Vertreters der Opposition nichts wert und wurde ignoriert. Genau das von Neubert befürchtete Szenario ist nämlich dreißig Jahre später eingetreten: Tanklager und Grundwasserwerk stehen immer noch und der Fortbestand der Lobau ist durch drohende Austrocknung gefährdet.
Sperrbrunnen leiten Wasser aus
1992 wurden also die zwei Jahre davor im Gemeinderat beschlossenen Sperrbrunnen in Betrieb genommen. Ihre Aufgabe besteht darin, das kontaminierte Grundwasser abzufangen und es in ein Schlamm-Sammelbecken umzuleiten, wo es mit Hilfe von Mineralöl-Abscheidern und Aktiv-Kohlefiltern gereinigt wird, bevor es in das Becken des Ölhafens abfließen darf. Mit der damit einsetzenden massiven Ausleitung des Lobau-Grundwassers begann eine neue Etappe im Prozess der Austrocknung der als Nationalpark gewidmeten Lobau, einer der letzten Au-Landschaften Europas.
Die Austrocknung setzte genau genommen nämlich schon viel früher ein. Das sich in Obere Lobau (von Knoten Kaisermühlen bis Donau-Oder-Kanal, II. Becken reichend) und Untere Lobau (östlich des Donau-Oder-Kanals, II. Becken) teilende Naturschutzgebiet wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Donauregulierung vom Hauptarm der Donau abgeschnitten. Seitdem liegt die Lobau größtenteils hinter einem Hochwasserschutzdamm und schreitet ihre Verlandung voran. Jährlich gehen zwischen 0,2 und 3,5 Prozent der aquatischen Habitate verloren, weshalb die Lobau eine Steppenlandschaft zu werden droht. Seit 1988 arbeitet die Stadt Wien dem mit einem Konzept zur Dotation der Lobau entgegen und hofft damit, deren Grundwasseranreicherung zu bewirken.
Die Maßnahmen werden in Kooperation mit dem Unternehmen »Gruppe Wasser« durchgeführt und laufend verfeinert, Dotationswasser mittlerweile aus der Alten und der Neuen Donau in die Lobau eingeleitet, ca. 130 Liter pro Sekunde, was aber 2020 nicht einmal ausreichte, um den Wasserfluss wenigstens bis nach Essling zu bringen. Betrugen die Ausleitungen bis 2014 210 Liter pro Sekunde, sind es seither »nur mehr« 160. 2020 wurde daher der Dotationsweg (für Ortskundige: Oberleitnerwasser zwischen Saltenstraße und Esslinger Furt) von Verlandungen befreit, um den Fluss des Dotationswassers zumindest bis Groß-Enzersdorf zu ermöglichen. Im Zuge der Dotierungen stellten aber Anrainer*innen, die im Laufe der Jahrzehnte, in denen die Lobau ihrem Schicksal überlassen wurde, in deren Vorland Häuser gebaut hatten, wiederholte Male fest, dass ihre Keller überflutet waren, was zur Einebnung und Umleitung von Grundwasserverläufen führte. Die Stadt befürchtet Klagen und Schadensersatzzahlungen der Hausbesitzer. Allerdings weiß niemand so genau, um wie viele überschwemmte Keller es sich tatsächlich handelt und wo diese liegen.
Die Politik bleibt untätig
In den Jahren 2003 bis 2009 wurden rund um das Tanklager Spundwände (Dichtwände) zur Sicherung der Altlast 20 Meter tief in den Boden getrieben, sieben neue Sperrbrunnen und ein weiteres Sperrelement errichtet, Maßnahmen, die die Außerbetriebnahme der alten Sperrbrunnen am Donau-Oder-Kanal zur Folge haben und damit das Abpumpen der großen Wassermengen aus der Lobau beenden sollten. Die Sicherung der Altlast schien geglückt, seit spätestens 2009 fanden sich im Grundwasser flussabwärts des Tanklagers keine Mineralölrückstände mehr. Das Bundesumweltamt bescheinigte damals, dass die alte Sperrbrunnenreihe seit der Errichtung der Dichtwände und der neuen Sperrbrunnenreihe rund um das Tanklager keine Relevanz mehr hat. Es betrachtete den Fall als abgeschlossen, interessierte sich aber in weiterer Folge nicht mehr dafür, ob die alten Sperrbrunnen tatsächlich abgestellt wurden. Darüber hinaus hielt 2013 das österreichische Altlastenverzeichnis fest, dass aufgrund der neuen Sperrbrunnenreihe rund um das Tanklager die Altlast als gesichert beurteilt werden kann.
Es fragt sich also, warum die Stadt Wien die alten Sperrbrunnen nicht sofort abgestellt hat, denn von dieser Seite geschah genau nichts. Der Vertreter der Stadt berichtete 2020 dem Umweltausschuss der Bezirksvertretung Donaustadt, man wolle ganz sicher gehen, dass nicht doch noch Kontaminationen ins Grundwasser gelangten. Die Grünen in Groß-Enzersdorf wiederum fanden heraus, dass ein Amtssachverständiger die Erhebung aller möglichen Messdaten verlange, damit man diese mit den Auswirkungen der Abschaltungen vergleichen könne. Wohlmeinende könnten in diesem Vorgehen der zuständigen MA 31 (Wiener Wasser) besondere Sorgfalt am Werk sehen. Fakt ist, dass die Wasserrechtsbehörde – in diesem Fall das Bundesministerium für Landwirtschaft – den vollständigen Antrag der MA 31 letztlich im Herbst 2020 erhalten hat, erst dann konnte das Verfahren um die Rückgabe des Wasserrechts für die Sperrbrunnen Lobau ordnungsgemäß eingeleitet werden. Im Klartext heißt das: Die Stadt Wien war elf Jahre lang säumig und hat damit weiter die Austrocknung der Lobau befördert. Millionen Liter Wassers sind unnötig aus der Lobau ausgeleitet worden.
Die Unsinnigkeit des Tunnel-Baus
Es geht das Gerücht um, dass man die Lobau austrocknen lassen wolle, weil sich so der Lobau-Tunnel leichter realisieren ließe. Gerüchte und Spekulationen zur Grundlage von Politik zu machen ist aber nicht ratsam. Was man über das Tunnelprojekt gesichert weiß, ist, dass die beiden Tunnelröhren bis zu 60 Meter in die Tiefe reichen, sie wirken also wie eine unterirdische Staumauer und wie eine »Grundwassersperre«, die die parallel zur Donau verlaufenden Grundwasserströme aufstaut, während auf der anderen Seite, östlich des Tunnels, die Au weiter austrocknen würde. Dazu kommt, dass während der Bauarbeiten die Spundwände rund um das Tanklager geöffnet werden und damit die vorher mühsam gesicherte Altlast wieder entsichert wird.
Eine weitere Frage knüpft sich an diesen fahrlässigen Umgang mit der Ressource Wasser und der – absichtlich (?) herbeigeführten – Austrocknung der Lobau. 2004 wurde der Bau der Wasseraufbereitungsanlage Kleehäufel genehmigt, dieser aber nie umgesetzt. Das Vorhaben wurde damals medial groß angekündigt, verschwand dann aber rasch in der Schublade, so als hätte es nie existiert. Der Zweck dieser Wasseraufbereitungsanlage wäre gewesen, das aus der Neuen Donau in größerer Menge der Lobau zugeführte Dotationswasser zu reinigen, damit nicht verschmutztes Wasser die Qualität des Trinkwassers aus dem Grundwasserwerk vermindert. Warum wurde dieses Projekt fallengelassen?
Fazit: Um die Lobau zu erhalten, bedarf es einer breiten Bewegung, die den Wert intakter Natur für die Menschen erkennt. Was zuversichtlich stimmt, ist, dass es eine solche in Österreich schon einmal gegeben hat. Und dass sich heute, 37 Jahre nach der Besetzung der Hainburger Au, eine solche Bewegung wieder formiert.