Mit Gedichten und Engagement schrieb sich der Dichter zu Lebzeiten tief ins deutsch sprachige Gewissen des »kurzen« 20. Jahrhunderts, scheute aber auch nicht davor zurück, seine politischen Wegbegleiter*innen gehörig vor den Kopf zu stoßen. Gedanken zu einem Streitbaren.
Von Alex Hartl
Geboren am 6. Mai 1921 wächst Fried in einem jüdischen Elternhaus in Wien Alsergrund auf. Er gilt als »Wunderkind«, dichtet früh – bekannt ist sein Kinder - gedicht, das er mit sechs Jahren schreibt – und wäre um ein Haar ins Schauspieler-Ensemble von Max Reinhardt aufgenommen worden, wenn der Vater Reinhardts Angebot, Fried die dementsprechende Ausbildung zu bezahlen, nicht ausgeschlagen hätte. Als Schüler im renommierten Wiener Gymnasium Wasagasse hat er ebenso Linke als Klassenkolleg*innen (etwa die Hälfte der Schüler*innen war jüdisch) wie auch Mitglieder der im Austrofaschismus noch verbotenen Hitlerjugend. Aus den konkreten Erfahrungen in diesen Jahren zieht Fried eine für seine zukünftige Haltung zum politischen Fundamentalgegner bemerkenswerte Erkenntnis: Der jugendliche Nazi »ist nicht nur ein Nazi, sondern auch ein Junge mit allen Problemen eines Schuljungen«.1 Erinnerungen an diese Zeit wird Fried 1986 im Band Mitunter sogar Lachen sammeln. Die kritische Selbsterforschung der eigenen Vergangenheit und Prägungen (angelehnt an die Psychoanalyse) war ihm stets von großer Bedeutung.
Frieds Vater stirbt im Mai 1938 nach einem Gestapoverhör an den Misshandlungen, im Juli wird der Familie die Wohnung gekündigt, im August flieht Fried über Belgien nach England, wo er bei einer Freundin seiner Mutter, die er ein Jahr später nachholt, unterkommt. Rege literarische und organisatorische Tätigkeit in Exilant* innenorganisationen zeichnet sein Leben auf der Insel aus (u. a. bei Young Austria und dem Freien Deutschen Kulturbund). Über Wasser hält er sich mit Gelegenheitsarbeiten. 1943 tritt er aus dem Kommunistischen Jugendverband Österreichs, in dem er sich seit einiger Zeit engagierte, aus. Grund ist eine Debatte über die Aussage Ilja Ehrenburgs, der einzige gute Deutsche sei ein toter Deutscher. Fried ist diese Pauschalisierung trotz des Kriegskontexts zutiefst fremd – der Gruppe schlägt er den kollektiven Selbstmord in der Themse vor.
Rettung vor den »Schlagwortmagazinen«
Ebenso wie Jean Améry und viele andere vertriebene und gefolterte Intellektuelle kehrt Fried nach dem Krieg nicht nach Österreich zurück, leugnet aber nie seine tiefe innere Verbundenheit (An Österreich, 1944; später Einige Worte zu Österreichs kultureller Eigenart, 1984). Er veröffentlicht Gedichte in deutschen Verlagen, arbeitet an Zeitschriften und Zeitungen mit, übersetzt, schreibt seinen einzigen Roman (Ein Soldat und ein Mädchen, 1960). Einen Ruf an die Humboldt-Universität der DDR lehnt er aufgrund seiner antistalinistischen Haltung ab. Heimat findet er zunächst in der Gruppe 47 (ab 1963) vor, er wird zu einem frühen Proponenten der 68er und wendet sich mit Und VIETNAM und (1966) gegen den Vietnamkrieg. Fried findet mit dem Gedichtband eine »eigene Handschrift«, Harald Weinrich beurteilt ihn später als Wiederentstehung des politischen Gedichts in der BRD.2
Die politische Lyrik Frieds lebt durch den Bruch mit Denkschablonen, Schaffung von Assoziation durch Dissoziation. Formal steht er in linker Lyrik-Tradition, fügt aber auch Eigenes hinzu. So meidet er die strikte Freund-Feind-Schematik, die »Hohlheiten und Fühllosigkeiten«, gegen die er auch politisch auftritt. Fried möchte nicht »zu Ende« denken, ließe sich formulieren, wendet sich gegen Phrasenbildung – auch linke –, die für ihn eine Verhärtung darstellt: »Dichten ist ja nichts anderes, als die eigenen Gedanken und Gefühle so zu artikulieren, dass das sprachliche Klischee, die toten Worte und die toten Phrasen durch die Lebendigkeit der eigenen Artikulation wegfallen.«3 Seine Gedichte sind insofern immer »Äußerungen« und bewegen sich wesentlich stärker im Bereich des Gesprochenen als im Schriftlichen oder Anagrammatischen, weil sie an den Fluss der Sprache anknüpfen und in ihn fragend intervenieren. Beispiele für diese Interventionen sind der schon genannte Vietnamkrieg, Stammheim ebenso wie die Hinrichtung von Siegfried Buback durch die RAF, Paläs-tina, Nicaragua u.v.m. All das macht Frieds Werk zu einer der bedeutendsten Stimmen eines zeitlosen linken Dialogs.
Kompromisslos
Die Betonung liegt dabei auf »Dialog«, denn Fried war einer, der sich nie davor scheute, unbeliebte Positionen zu ergreifen und dafür auch mächtig einsteckte – von den bürgerlichen Medien ebenso wie von eigener Seite. So bezeichnete die FAZ Frieds Gedicht Auf den Tod des Generalbundesanwalts Siegfried Buback4 als »Mörderpoesie«, Die Zeit nannte ihn einen »dichtenden Verschwörungsneurotiker«. Unverständnis bei Weggefährten erzeugte Frieds Beziehung zum Neonazi Michael Kühnen. In einer Diskussionssendung im Jänner 1983, bei der sowohl Fried als auch Kühnen eingeladen waren, Letzterer aber spontan wieder ausgeladen wurde, beschwerte sich der Dichter: »Ob man ihn einladen soll oder nicht, darüber kann man streiten. Wenn man ihn eingeladen hat, ihn wieder auszuladen, ist ganz bestimmt falsch und kleinkariert.«5 Kühnen trat daraufhin mit ihm in Briefkontakt, in dem Fried versuchte, ihn von der Falschheit seiner Ansichten zu überzeugen, der aber in einem bemerkenswert herzlichen und freundschaftlichen Ton stattfand. Das Ganze ging so weit, dass sich der einst von den Nazis Vertriebene selbstständig anbot, für das Gericht eine Stellungnahme zugunsten des offenen Antisemiten und Röhm-Verehrers Kühnen zu schreiben.
Fried war keineswegs ein Querfrontler oder Versöhnler, aber er war nie ohne Hoffnung, dass sich auch das falsche Denken ändern ließe. Er unterschied, wenn die religiöse Diktion gegenüber dem Atheisten zulässig ist, in hohem Maße zwischen Sünder und Sünde, wie die Theologin Dorothee Sölle es in einem Nachruf formulierte.6 (Frieds Verhalten weist damit klare Parallelen zum christlich geprägten und befreundeten Rudi Dutschke auf, der einen kurzen Briefwechsel mit seinem Attentäter Josef Bachmann unterhielt.) Vielleicht ist das etwas, das bei aller Vorsicht gerade in der heutigen »Polarisierung« neu zu bedenken und nicht auf eine verstaubte Schrulligkeit der 68er abzuschieben sei? Erich Fried, jedenfalls, fehlt. Und das nicht nur für jene, die Liebesgedichte mögen.
1 Zit. n. Thomas Wagner: Der Dichter und der Neonazi. Erich Fried und Michael Kühnen. Eine deutsche Freundschaft. Stuttgart: Klett-Cotta 2021, S. 38.
2 Vgl. Christian Jessen, Volker Kaukoreit u. Klaus Wagenbach (Hg.): Erich Fried. Eine Chronik. Leben und Werk: Das biographische Lesebuch. Berlin: Wagenbach 1998, S. 69–71.
3 Zit. n. Gerhard Lampe: »Ich will mich erinnern / an alles was man vergisst«. Erich Fried – Biographie und Werk eines »deutschen Dichters«. Frankfurt/Main: Fischer 1998, S. 170.
4 Die Anschuldigungen, die jedoch nie revidiert wurden, kamen in erster Linie durch einen Satzfehler zu Stande. Statt »Es wäre besser gewesen / ein Mensch / hätte nicht so gelebt« fand sich im Erstdruck »[…] hätte nicht gelebt.«
5 Zit. n. Wagner: Der Dichter und der Neonazi, S. 8. 6 Vgl. Dorothee Sölle: Zum Tode Erich Frieds. In: Das Argument 173 (1989), S. 7f.