»Wir sind vom Ergebnis wirklich sehr enttäuscht …«

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»Wir sind vom Ergebnis wirklich sehr enttäuscht …«

Die Überschrift ist ein Zitat und stammt vom MAN-Personalvorstand und Arbeitsdirektor Martin Rabe, nachdem die Abstimmung der Belegschaft nicht so ausging, wie er erhoffte.

Peter Haumer schreibt, wie es dazu kam

Die Belegschaft des MAN-Werks in Steyr in Oberösterreich hat in einer Urabstimmung am 7./8. April 2021 mehrheitlich gegen den Übertritt in die WSA Beteiligungs-GmbH von Siegfried Wolf gestimmt. Mehr als 60 Prozent stimmten gegen das Übernahmeangebot. Die MAN-Zentrale in München teilte nach dem Ergebnis mit, dass man nun die Schließungspläne bis 2023 weiterverfolgen werde. »MAN nimmt jetzt als Konsequenz die Pläne zur Schließung des Werks in Steyr wieder auf.«

Wegen des Übernahmeangebots, das andere Rahmenbedingungen für das Werk in Steyr vorgesehen hatte, wurde die Belegschaft vom Betriebsrat zur Urabstimmung aufgerufen. Mehr als 2.356 Beschäftigte waren stimmberechtigt, Leiharbeiter*innen ebenso wie das Stammpersonal. Die Beteiligung an der Urabstimmung lag bei 94 Prozent. Insgesamt gab es 2.188 gültige Stimmen, davon sprachen sich 63,9 Prozent gegen den Übertritt in die WSA Beteiligungs-GmbH von Ex-Magna-Chef Wolf aus, 34,9 Prozent dafür, 1,2 Prozent stimmten ungültig. Bei den Leiharbeitskräften soll die Ablehnung mit 71,4 Prozent höher gewesen sein als bei der Stammbelegschaft. Als eine der ersten (Straf-)Maßnahmen will daher MAN – trotz voller Auftragsbücher – die Anzahl der Leiharbeiter*innen von 278 in den nächsten Wochen um zunächst rund die Hälfte reduzieren. In einem weiteren Schritt will man sich auch von den übrigen Leiharbeiter*innen trennen.

Der strebsame Aufsteiger Wolf hatte sich »ungeteilte Zustimmung« gewünscht, zumindest aber zwei Drittel angepeilt. Die Belegschaft habe somit sein Konzept klar abgelehnt, sagte der neue Betriebsratsvorsitzende Helmut Emler. (Der alte Betriebsratsvorsitzende Erich Schwarz ist Anfang April in Pension gegangen und darf jetzt das Werksgelände nicht mehr betreten.) Die Betriebsratskörperschaft stand Wolfs Plänen abwartend bis skeptisch gegenüber. Das Konzept von Wolf sei zwar »schlüssig, die Einschnitte wären aber zu gravierend gewesen«. Das sah offenbar auch die Belegschaft so.

Dass MAN das Werk nun schließen will, ist für die Belegschaftsvertretung noch nicht gegessen: »Als Betriebsrat werden wir morgen beginnen, mit MAN das Gespräch zu suchen«, so Helmut Emler unmittelbar nach der erfolgten Auszählung. Die Schließung sei erst für 2023 vorgesehen, die Kunststofflackiererei, wo rund 400 Mitarbeiter*innen beschäftigt sind, hätte sogar bis 2027 weiter für MAN arbeiten sollen. Ziel des Betriebsrates sei eine Lösung wie in Deutschland, wo die ursprünglichen Sparpläne entschärft wurden.

Im Vorjahr war bekannt geworden, dass MAN im Zuge eines Rationalisierungsprogramms tausende Stellen einsparen will. Anfangs war von bis zu 9.500 der weltweit 36.000 Arbeitsplätze die Rede, mittlerweile sollen nur noch 3.500 in Deutschland vernichtet werden. Das Werk in Steyr stand allerdings recht bald »zur Disposition«. Erfolglose Verhandlungen der Belegschaftsvertretung folgten. Der Konzern beharrte weiter auf der Schließung bis 2023 oder einem Verkauf. Ende September kündigte MAN die bestehende Standortgarantie, die den Bestand des Unternehmens in Steyr bis zumindest 2030 hätte sichern sollen. Der Betriebsrat bemerkte bescheiden, sich eine Klage wegen der gekündigten Standortsicherung vorbehalten zu wollen. Die Erfolgsaussichten solch einer Klage sind sehr zweifelhaft und vielleicht auch deshalb wurde begleitend dazu ein Streikbeschluss gefasst; als letzte Möglichkeit, die hoffentlich – gängige Praxis in Österreich – nicht zur Anwendung gebracht werden müsse.

Schließlich trat Wolf als Interessent auf den Plan. Er wollte von der aktuell knapp 1.900 Personen zählenden Stammbelegschaft rund 1.250 Leute übernehmen, denen er allerdings eine bis zu 15-prozentige Gehaltskürzung versprach. Alle Betriebsvereinbarungen wären aufgekündigt worden und in Wolfs Konzept wäre auch die Zeitbemessung, die für jede Tätigkeit vorgesehen ist, weggefallen. Die Vorteile wären ausschließlich bei den Investor*innen gelegen.

Wenn es gut gegangen wäre und das Werk Personal gebraucht hätte, hätte Wolf welches aus dem Sozialplan zurückgeholt. Wolf plante, die Marke Steyr wiederzubeleben. Produziert werden sollten u. a. leichte Kastenwagen mit Dieselmotoren und Elektroantrieb sowie Pritschenwagen, Kastenwagen und mittlere Lkws zwischen sechs und zwölf Tonnen, von denen 10.000 Fahrerkabinen pro Jahr für das Automotive- Unternehmen GAZ nach Russland gegangen wären. Weiters sollten ein City-Bus mit Elektroantrieb und ein Bus für den Regionalverkehr gebaut werden. Nun – wenn es gut gegangen wäre und der Orden dekorierte Siegfried Wolf nicht diese Abstimmungsniederlage erlitten hätte.

»Wir sind vom Ergebnis wirklich sehr erfreut!«

Ob des Abstimmungsverhaltens der MAN-Belegschaft herrscht allgemeine Aufregung und Unverständnis im Lande. Jetzt könne man sich keine einvernehmliche Lösung mehr vorstellen, der geworfene Fehdehandschuh der Belegschaft (eigentlich sei er nur von den unvernünftigen und zu wenig aufgeklärten Arbeiter*innen geworfen worden) bedeute Krieg. Die Sozialpartner beeilten sich zu erklären, dass hoffentlich noch eine einvernehmliche Lösung, mit wem auch immer, zustande komme. Ein Runder Tisch wird angedacht, an dem auch Siegfried Wolf wieder Platz nehmen soll. Die SPÖ fordert gar eine Staatsbeteiligung, was zu heftigen Reaktionen, aber auch aufschlussreichen Diskussionen führte.

Verstehen wird vorgetäuscht, um sofort anzumerken, dass alles getan werde müsse, um das Geschehene ungeschehen zu machen. Einen von der Belegschaft erwiderten Klassenkampf könne man nicht brauchen. Die mehr als berechtigte Notwehr der Belegschaft wäre nur Öl ins Feuer gießen. Dass MAN der Brandstifter ist und Wolf nur billig abstauben wollte, hat offensichtlich keine Konsequenzen; der so naheliegende Gedanke, dass das MAN-Werk in die Hände der Belegschaft gehöre, selbstredend keinen Platz.

»Wir sind vom Ergebnis wirklich sehr erfreut!« So wollen wir es lautstark ausrufen, denn im Ergebnis dieser Urabstimmung drückt sich das Bewusstsein des Nicht-so-Seins wie die vermaledeiten Kapitalisten aus – hier in Person des Aufsteigers Wolf, aber auch der MAN-Bosse. Die MAN-Belegschaft in Steyr beginnt sich – zumindest einmal kurzfristig – als »eine Klasse gegenüber dem Kapital« (Marx) zu begreifen. Die Wiederaufnahme der Konfrontation mit dem MAN-Kapital durch das Beiseiteschieben des Siegfried Wolf könnte so zu einer Schule des Zusammenschlusses, der Solidarität, des Wirtschaftens und Verwaltens werden; es eröffnet die Möglichkeit der Rekonstruktion einer Vorstellung vom Anders-Sein, von einer Alternative zum Kapitalismus. Dies wird zusehends notwendig, wenn die Arbeiter*innenklasse die Unmöglichkeit einer dauerhaften Besserstellung im Kapitalismus und die Überwindung des Kapitalismus als dringende Aufgabe erkannt hat. Dann kann das negierende Nicht-so-Sein ersetzt werden durch ein positives Anders-Sein, und dann wird der Gedanke auch immer mehr Platz greifen können, dass das MAN-Werk eigentlich in die Hände der Belegschaft gehört.

In einem Diskussionsbeitrag in der Tages-zeitung Die Presse werden die Schließungspläne des MAN-Werkes in Steyr als Folge eines klassischen Marktversagens interpretiert. Um dieses Marktversagen auszugleichen, sollte die öffentliche Hand einspringen und aus dem MAN-Werk in Steyr einen zukunftsfähigen Standort machen. Möglichkeiten und Nachfrage wären vorhanden. Dabei gehe es aber nicht um eine reine Geldspritze. Vielmehr sollte eine Plattform geschaffen werden, auf der all jene Akteur* innen zusammenarbeiten, deren Wissen, Technologie und Fertigkeiten es für nachhaltige Transportsysteme braucht.

Doch der Fall Steyr ist nicht nur eine Konsequenz eines klassischen Marktversagens, sondern vielmehr die Folge des ganz normalen kapitalistischen Wahnsinns: des Zwanges zur Profitmaximierung, zum Konkurrenzkampf, zum Wachstum und einer Marktwirtschaft, die letztendlich den Rahmen dafür abgibt. Die Kapitalseite in Person des Siegfried Wolf und der MAN-Bosse formuliert ohne Skrupel ihre Konzepte; die Sozialdemokratie und ihr Umfeld spielt mit ihrer Staatsbeteiligung wieder einmal mehr Arzt am vermeintlichen Krankenbett des Kapitals und in all diesen Konzepten sind die Menschen, die bei MAN arbeiten (müssen) nur Manövriermasse. Es braucht tatsächlich eine Plattform, auf der all jene Akteur*innen zusammenarbeiten, deren Wissen, Technologie und Fertigkeiten es für nachhaltige Transportsysteme braucht. Und es braucht dazu eine demokratische Plattform, in der die Belegschaft des MAN-Werkes in Steyr das letzte Wort hat. Den sogenannten Sachzwängen einer in Wirklichkeit diktatorischen Marktwirtschaft sollte hier nicht nachgegeben werden, vielmehr sollten antikapitalistische Auswege aus einer vom Kapital verschuldeten Misere gesucht werden.

Aber davon sind wir noch weit, vielleicht zu weit entfernt. Die Widerstände, die eine solche Entwicklung zu verhindern suchen, sind groß. Die Belegschaft hat jetzt erste, wichtige Akzente gesetzt, sie hat die Gegenseite offensichtlich überrascht und sie hat tatsächliche Macht ausgeübt und die Kapitalist*innen und Manager*innen spüren lassen, was es heißt, Angst zu haben. Die Angst muss die Seite wechseln und in den Chefetagen Einzug halten. Der erste Schritt hierfür ist getan. Weitere sollten folgen. Wir unsererseits können versprechen, die MAN-Belegschaft bestmöglich in all ihren Bemühungen zu unterstützen. Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Das MAN-Werk in die Hände der Belegschaft!

Peter Haumer war im Laufe seiner beruflichen Laufbahn auch Arbeiter bei MAN in Wien-Liesing. Zudem verfasste er eine Biographie über Julius Dickmann sowie eine Geschichte der F.R.S.I., beide beim Mandelbaum Verlag erschienen.

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Gelesen 3730 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 05 Mai 2021 15:00

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