Es ist Anfang März 2020, Maturazeit, ich versuche dem Leistungsdruck standzuhalten und spüre, wie nah mir meine Träume plötzlich erscheinen. Noch drei Monate, die große Freiheit zum Greifen nahe. Und dann isst jemand eine Fledermaus, es gibt kein Klopapier und keine Nudeln mehr zu kaufen, und ich selbst sitze zuhause und werde von allen Ecken mit Arbeit überflutet, weil ich ja so viel Zeit habe. Die Matura wird verschoben, lange wird kein Datum bekanntgegeben. Ich frage mich, ob sie überhaupt noch in diesem Semester stattfinden wird. Maturareisen werden storniert, Grenzen und Haustüren geschlossen, Träume zerplatzen.
Lange ist niemandem klar, ob die Zentralmatura, in ihrer Grundform schon ungerecht, auch in einem Krisenjahr unverändert bleibt. »Wir wollen keine geschenkte Matura!« schreien die einen, »Wir brauchen eine für die Situation angemessene Matura!« die anderen. Als schließlich die Jahresnote zu 50 Prozent in die Maturanote einfließen und die mündliche Matura freiwillig sein soll, fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen. Ich schaffe es vielleicht doch noch.
Die Schulzeit, ein Berg, der stetig und unaufhaltsam immer steiler wird, eine Pandemie, die mir in den letzten Metern Steine in den Weg legte, und dann, endlich an der Spitze angelangt, der Sturz in eine Pfütze. Träume konnten nicht umgesetzt, die mir zustehende Freiheit nicht ausgenutzt werden.
Der Sommer brachte einige Lockerungen und Hoffnungen zurück. Es war die große Freiheit im kleinen Gefängnis. Wunderschön und trist. Aufregend und unglaublich langweilig. Ein monatelanger Zwiespalt.
Nicht zu wissen, wer man ist, was man will, und es nicht herausfinden zu können, ist ein Zustand, in dem sich viele junge Menschen gerade befinden. Da sitze ich – ein Jahr später – immer noch vor dem Bildschirm und höre ProfessorInnen zu, die zum zehnten Jahr in Folge dieselbe Vorlesung halten. Hunderte Menschen in einem Studiengang, und doch kenne ich niemanden. Ein neuer Lebensabschnitt hat begonnen, und nach einem Semester kennt man auch die Universität immer noch nur von Fotos oder kann an einer Hand abzählen, wie oft man sie von innen gesehen hat.
Wer für das Studium umgezogen ist, hat die Stadt, in der man lebt, nie entdecken können. Es gibt keine Stammbars, keine neuen interessanten Leute, mit denen man Erinnerungen schaffen kann. Es gibt nur die täglichen Spaziergänge und die Menschen, die man noch aus der Heimatstadt kennt, denen man nichts mehr zu erzählen hat.
Es sind die besten Jahre meines Lebens, und sie ziehen an mir vorbei.
Hanna Wittels ist 18 Jahre alt, eine nach Wien gezogene Salzburgerin, die in Kärnten geboren wurde und in Oberösterreich in die Volksschule gegangen ist. Sie studiert Politikwissenschaften, will sich aber etwas Besseres einfallen lassen.