27 Februar

Feministische Lauffeuer

von

70 Jahre feministische Spurensuche: Stafette suchen, finden, weiterreichen – vom feministischen Aufbruch, dem langen Atem und den Mühen, das Feuer leuchten zu lassen.

 

Von Bärbel Danneberg

 

Jeder Tag ist ein neuer Anfang für feministische Erkenntnisse und es gibt Mosaiksteinchen für erinnerte Einsichten. Über manche stolpere ich noch heute. Als ich kürzlich die Fernsehsendung »Im Zentrum« anschaute, staunte ich über Ähnlichkeiten: Die mitdiskutierenden Frauen (die gibt es heute immerhin statt mitgemeinter) und die Moderatorin trugen alle Stöckelschuhe mit hauchdünnhohen Bleistiftabsätzen. Es erinnerte mich an mein eigenes Schuhwerk in den 1960er Jahren und an die Proteste der aufkommenden Neuen Frauenbewegung in Birkenstocksandalen gegen diese weibliche Gehbehinderung.

An den Bilderfrauen lassen sich Frauenbilder im Wandel der Zeit ablesen. Wenn heute die brotbackende Frau nicht mehr als altbackene Hausfrau identifiziert wird, zeigt das eine Akzentverschiebung. Die plakative Frauenfreude der 1950er Jahre an heimischen Tätigkeiten wie Essenszubereitung oder Kinder betreuen weicht heute in Covid-Zeiten einer Notverordnung durch Homeoffice oder erzwungene Erwerbsarbeitslosigkeit. Gesellschaftlich wird auf Altbackenes mit der seit hunderten Jahren herrschenden Gewissheit zurückgegriffen: Frauen werden den Karren schon wieder flott machen. Der Unterschied ist: Auch Männer geraten im Schatten automatisierter Erwerbsarbeits(un)möglichkeiten in diese Konkurrenzmühle. Sie sind zunehmend digital ersetzbar, die Konkurrenz verlagert sich weiter in heimische Geschlechtersphären. Und so reichen sich nicht nur beim Brotbacken oder Kinderwagenschieben Fort- und Rückschritt die Hand. Oft gerät diese Hand außer Kontrolle, was an steigenden Gewalttaten abzulesen ist.

 

Feministische Marksteine

Gegen diese gesellschaftlichen Zuschreibungen haben sich Feministinnen seit Beginn ihrer Kämpfe um Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit gewehrt. Es ist ein Mythos, dass die Proteste der 68er sich auf Studierende und die Unis beschränkt hätten. Diese Zeit war, zumindest in meinem Umfeld damals in West-Berlin, der Aufbruch einer neuen Jugendkultur, die ihren Ausdruck in Musik, Bildender Kunst, Pädagogik, Konsumkritik, Film fand – und letztendlich im Aufbegehren der Frauen in linken Zusammenhängen gegen patriarchale Verhaltensweisen, gegen männliche Geschichtsschreibung und deren Aneignung der Welt.

Helke Sander vom Aktionsrat zur Befreiung der Frauen verurteilte im September 1968 auf der 23. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) das männliche Machogehabe der Genossen, und als diese ihren Beitrag ignorierten, schmiss Sigrid Rüger die berühmte rote Tomate Richtung Podium. Dies wird als Geburtsstunde der Neuen Frauenbewegung in Deutschland markiert. Viele Frauen verließen enttäuscht den SDS, organisierten sich in Frauengruppen und gründeten selbstverwaltete Kinderläden.

Die Selbstbezichtigungskampagne von prominenten Frauen »Ich habe abgetrieben« in der Zeitschrift »Stern« erreichte mich damals zielgenau und bewirkte bei mir eine sympathisierende Achtung vor dem Mut dieser Frauen. In den 1960er Jahren haben Frauen (wie auch zunehmend wieder heute) eine ungewollte Schwanger- schaft entweder ausgetragen, oder sie illegal beendet – mit all den bekannten gesundheitlichen, finanziellen und strafrechtlichen Folgen. Und es war auch nicht ungewöhnlich, dass Frauen in dieser Situation Hausfrauen blieben und vielleicht auch irgendwie froh waren, dem drückenden und karriereknappen Erwerbsarbeitsleben auf diese Weise zu entkommen. Kinder-Küche-Herd war gesellschaftspolitischer Konsens.

 

Bewegte Frauenkämpfe

Der Kampf um Abschaffung des Klassen-Paragrafen 218 bzw. 144 war damals (wie auch heute) ein Bindeglied vieler Frauen im Ringen um Selbstbestimmung. Aus diesem Kampf um Frauenselbstbe- stimmung wurden – historisch in der Ersten Republik und später in der Zweiten Frauenbewegung – unterschiedliche Befreiungstheorien entwickelt. Meine Erinnerungsmarksteine sind Diskussionen um die Rolle von Parteien vs. Autonomie, um Sexualität als Angelpunkt von Veränderung, um den Stellenwert von »Klasse, Herkunft und Geschlecht« als Bezugspunkte für den Frauenkampf, um Männerausschluss oder um Fragen der Mutterschaft und Kinderbetreuung in Institutionen oder durch private Alternativen (Kinderläden, Tagesmütter). Im Schatten friedenspolitischer Bedrohungen und ökologischen Raubbaus entdeckten manche – fast schon in biologistischer Anlehnung – die Frauen als das friedfertigere Geschlecht.

Durchgehend war den Feminismen der internationale Blickpunkt eigen, entsprechend wurden die Kampffelder benannt: Ökofeminismus, Parteien- oder Institutionenfeminismus, sozialistischer oder lateinamerikanischer Frauenbefreiungskampf, Projekte- oder Nischenfeminismus usw. Viele, viele Diskussionen um Strategien wurden geführt und ausschließende Glaubensbekenntnisse formuliert bis zum sog. »Haupt- und Nebenwiderspruch«, der von Feministinnen in sozialistischen Parteien bekämpft wurde. Es entstanden neue Theo- rien wie etwa der Affidamento-Ansatz der Mailänderinnen oder die von französischen Philosoph * innen entwickelten Überlegungen zur Dekonstruktion der Geschlechterordnung. Neue, auch fragwürdige Forderungen wie die Aufwertung von Hausfrauen durch Lohn oder Wahlfreiheit durch ein Müttergehalt entstanden. »Frauen ins Heer« vs. »Frauen gegen Gewalt« entzweite ebenso den feministischen Konsens für Veränderung wie jene nach einem »Gebärstreik«, einer »Frauenpartei« oder ein weltweiter »Frauenstreik«. Künstlerinnen vermittelten den weiblichen Körper als Machtinstrument für Veränderungen und Schauplatz für Verletzungen, und Musikerinnen eroberten sich frech und frei männliche Bühnenbastionen.

 

Der neoliberale Stöckelschuh

Der allmählichen Wandel im Wertekatalog wurde mir in den 1990er Jahren bewusst. Der Aufbruch der Neuen Frauenbewegung nach 1968 und das damit verbundene neue Frauenselbstbewusstsein saß vielen in den konservativen Knochen. Die frustrierten Feministinnen würden zu radikal und männerfeindlich sein und außerdem in Sack und Asche gehen, höhnten bürgerliche Medien. Auch Frauen, denen der Kampf um gleiche Rechte mühsam schien, nickten fleißig mit. Ende des vergangenen Jahrhunderts hatten Plakatwände nach den feministischen Sprühattacken auf frauenfeindliche Werbung á la Palmers dann wieder sexistische Sujets. Ein Aufatmen ging durch die Gesellschaft: Endlich haben wir wieder richtige Frauen und zu jammern gibt es ohnehin nichts, denn den Frauen stehen nach den verpönten »drei K« nun doch viele mehr offen: Karriere, Kosmetik und Konsum. Frauen nutzten das von der Frauenbewegung durch Gleichbehandlungsgesetze oder Quoten erkämpfte Terrain und nahmen Platz im mittleren Management der Arbeitswelt, an den Unis, im Kulturgetriebe oder in den Parteizentralen. Der neue Gendermainstreaming-Frauentyp im schwarzen Blazer verband Karriere und Mutterschaft scheinbar mühelos. Als Beweis dafür wurden schwangere ORF-Ladys oder resolute Parteidamen vorzugsweise aus dem konservativen Lager den »Restfrauen« als »Na bitte, geht doch« vorgeführt. Dem weiblichen »Rest« der Gesellschaft wurde weiterhin Chancengleichheit verwehrt. Nach wie vor wurden Doppelbelastung und Niedriglöhne mit späterer Altersarmut als weibliches Naturgesetz gedeutet und geringe Berufschancen als Mangel an Fleiß und Tüchtigkeit.

Der Fortgang der Geschichte ist bekannt. Der Werteverfall solidarischen Handelns und die Verwerfungen sozialstaatlicher Absicherungen, zu Beginn des neoliberalen Zeitalters von der Sozialdemokratie mitgetragen, wurden von der schwarz-blauen Koalitionsregierung zum Credo des neuen Jahrtausends erhoben und werden bis heute fortgesetzt. Das hat katastrophale Folgen für einen immer größer werdenden Kreis von Menschen – bis in den Mittelstand, bis in die Männerwelt hinein. Die globalisierte Ökonomie zwingt in Billigjobs, ungeschützte Arbeitsverhältnisse, Frauen sind wieder die Reservearmee, die als Manövriermasse zwischen Kinderzimmer und Arbeitsmarkt hin- und hergeschoben wird. Für viele Menschen ist der Ausschluss von Erwerbsarbeit, Kultur-, Bildungs- und Informationsmöglichkeit existenzbedrohend.

 

Blick nach vorn im Zorn

In der Pandemiekrise zeigt das System sein wahres Gesicht hinter den Masken. Derökonomische und gesundheitliche Raubzug wird von einem rechtskonservativen Wertewandel begleitet, der auch von Frauen unterstützt wird, die es in politische und wirtschaftliche Machtpositionen geschafft haben. Ich nannte sie einmal »Kofferträgerinnen des Patriarchats«, aber so einfach ist es nicht, wenn das Gerangel um Erwerbsarbeit, Anerkennung und politische Teilhabe an Macht immer härter wird. Spuren des langen Kampfes aber werden sichtbar, wenn etwa ein japanischer Olympia-Funktionär wegen seiner sexistischen Kommentare kurz vor den heurigen Sommerspielen zurücktreten muss oder wenn #MeToo die selbstherrlich-männliche Verfügungsmacht über Frauen entlarvt. Feminismus ist eine Haltungsfrage, wie dieser Tage mutige Frauen im österreichischen Justizapparat im Zuge von BVT- oder Korruptionsaffären gezeigt haben.

Doch ganz unbescheiden hätte ich nach Rückschau auf mein Leben nachfolgenden Frauengenerationen gerne ein reicheres Erbe gewünscht. Meine Hoffnung setze ich in die vielen klugen Frauen, die Bücher wie »Incels« * schreiben, in welchem aufgezeigt wird, warum rechte Mobilisierung überall auf der Welt gerade über die Themen Gender Studies, LGBT-Rechte und Geschlechterrollen funktioniert. Meine Hoffnung gilt allen Frauen, die gegen Gewalt, Aus- beutung und Machomachtgehabe aufbegehren, die in »systemrelevanten« Arbeitsfeldern für unser Überleben sorgen und ihre Stärke im Widerstand erkennen.

 

* ) Susanne Kaiser: Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen, Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 268 Seiten, 18 EUR

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