DIE PANDEMIE UND DIE LINKE: Bagatellisierung ist keine Option

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Mit welcher Macht ein Virus in der Lage ist, das weltpolitische Geschehen auf den Kopf zu stellen, zeigt sich anhand der Covid-19-Pandemie. Womit haben wir es zu tun? Und was tun?

VON ROLAND STEIXNER

Die Erkenntnisse über die Auswirkun­gen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 auf den menschlichen Körper sind erwartungsgemäß vorläufig und unvoll­ständig. Allein in Hinblick auf Infektions­sterblichkeit besteht noch Unklarheit. Eine von zahlreichen Fachleuten kriti­sierte Studie von Ioannidis beziffert sie mit 0,23 Prozent, die Heinsberg-Studie mit 0,37 Prozent, Drosten nimmt hinge­gen eine Infektionssterblichkeit von etwa ein Prozent für Deutschland an. Trotz der hohen Schwankungsbreite bei der ange­nommenen Infektionssterblichkeit steht eines fest: Die Infektionssterblichkeit übertrifft mit Sicherheit die der saison­alen Influenza, die häufig mit 0,1 Prozent oder weniger beziffert wird.

Corona schlägt Grippe als Todesursache haushoch

Es scheint ein Politikum zu sein, einen Bodycount zwischen der saisonalen Grippe und Covid-19 zu betreiben. Dazu ist eines voraus zu schicken: Verglichen werden dabei üblicherweise laborbestä­tigte Covid-19-Fälle mit geschätzten Zahlen für die saisonale Grippe, die aus der gesteigerten Sterblichkeit während der Grippewellen ermittelt werden. Damit haben wir es mit einem Vergleich von Äpfeln mit Birnen zu tun. Lässt man sich darauf ein, so zeigt sich für Österreich, dass die Anzahl der innerhalb der letzten zehn Monate verstorbenen Menschen in etwa dem durchschnittlichen Ausmaß der saisonalen Grippe entspricht. Sieht man über den nationalen Tellerrand hinaus, wird deutlich, dass Covid-19 dort, wo das Virus richtig zuschlägt, weitaus tödlicher ist als die saisonale Grippe und sogar die heftigsten Grippewellen der letzten Jahre deutlich übertrifft. Das lässt sich anhand der Sterblichkeitsstatistiken – wie etwa Euromomo – jederzeit nachvollziehen. Die WHO schätzt die Grippetoten weltweit jährlich auf 290.000 bis 650.000. Die Zahlen des Dashboards der Johns Hopkins Univer­sity wiesen hingegen für Anfang November bereits 1,2 Millionen Covid-19-Tote aus. Dadurch steht schon jetzt fest: Im Jahr 2020 werden deutlich mehr Menschen an Covid-19 gestorben sein als an Influenza. Nicht berücksichtigt dabei wird eine Dun­kelziffer, die notwendigerweise anzuneh­men ist, da erst später festgestellt wurde, dass SARS-CoV-2 nicht nur eine atypische Lungenentzündung hervorrufen, sondern sämtliche Gefäße angreifen kann, sodass auch Schlaganfälle und Herzinfarkte als typische Todesfolgen dieser Virusinfektion erkannt wurden.

Die Frage, ob die Toten »an« oder »mit« Corona gestorben seien, ist nichts anderes als ein Sophismus. So stellte sich etwa bei einer Obduktion von 154 verstorbenen Covid-19-Patient*innen heraus, dass die Virusinfektion für mehr als 80 Prozent der Todesfälle als alleinige oder vorrangige Todesursache verantwortlich war. Demge­genüber ist aber bei der saisonalen Influ­enza auch nicht immer klar, wer »an« und wer »mit« der Grippe stirbt. Wie man es auch dreht und wendet: Covid-19 schlägt die saisonale Influenza. Es gibt weitaus töd­lichere und weitaus ansteckendere Krank­heiten. Das Problem ist jedoch, dass es keine Impfung gibt und dieses Virus auf eine Bevölkerung trifft, die zu einem wesentlichen Teil keine Immunität dagegen besitzt.

Dieses Virus ist dazu in der Lage, das Gesundheitswesen massiv zu überlasten, wenn es sich unkontrolliert verbreitet. Dies hat sich an mehreren Orten der Welt bereits gezeigt. Das ist für die gefährlich, die nicht an Covid-19 erkrankt sind, son­dern aus anderen Gründen eine intensiv­medizinische Behandlung brauchen. Ein besser aufgestelltes Gesundheitssystem kann dem Ansturm länger standhalten, ein schlechter aufgestelltes ist schneller über­lastet.

Infektionsschutz und Solidarität – linke Antworten auf die Pandemie

Was folgt daraus für die Linke? Ein funkti­onsfähiges Gesundheitswesen ist ein zen­trales Anliegen der Linken. Gleichzeitig muss sie aber auch die sozialen Folgen die­ser Maßnahmen ansprechen und sich dafür einzusetzen, dass bei einem Shutdown nie­mand im Stich gelassen wird. Ein Lockdown kann verheerend sein wie in Indien, wo unzählige Wanderarbeiter*innen im Stich gelassen wurden, oder solidarisch sein wie in Kuba, das im Umgang nicht nur eine relativ gute Strategie fährt, sondern auch noch mehrmals internationale Solidarität bewiesen hat.

Pandemien kann nur global begegnet werden: durch die Stärkung der WHO, den Aufbau einer flächendeckenden, kostenlo­sen Gesundheitsversorgung auf dem gesamten Erdball und die Vergesellschaf­tung der Produktion von Medikamenten und Impfstoffen. Es ist Aufgabe der Linken, diese Forderung auf die Tagesordnung zu bringen. Die Corona-Pandemie lässt andere Krankheiten freilich nicht verschwinden und Lockdown-Maßnahmen können Folgen haben, die tödlicher sind als die Krankheit selbst. Dennoch darf das eine nicht gegen das andere ausgespielt werden. Es ist mög­lich, ja sogar notwendig, beides zu verbin­den: Armutsbekämpfung und Gesundheits­schutz. Denn ein unkontrollierter, von der Pandemie selbst verursachter Zusammen­bruch von Volkswirtschaften ist noch ver­heerender für diejenigen, die von Armut und Hunger bedroht sind.

Ein solidarischer und bewusster Umgang mit der Krankheit und Bewusstseinsbildung wäre auch eine sinnvolle Alternative zu Zwangsmaßnahmen. Hier kann man aus den Erkenntnissen einer anderen Krankheit lernen: AIDS. Eine autoritäre Seuchenbe­kämpfung war eine ernste Gefahr für die Schwulenbewegung. Es ist der Kooperation von Schwulenbewegung, Gesundheitsäm­tern und Wissenschaft zu verdanken, dass eine HIV-Infektion kein Todesurteil mehr ist und dass einer weiteren Stigmatisierung der sogenannten Risikogruppen entgegen­gewirkt werden konnte. Ähnliches gilt auch für Covid-19. Gerade besonders stigmati­sierten Bevölkerungsgruppen wird die Schuld an der Verbreitung von Covid-19 zugeschoben. Die Folgen sind verheerend für die Betroffenen. Dem kann nur mit den Strategien begegnet werden, die sich schon im Umgang mit AIDS bewährt haben: Indem die Betroffenen und deren Interes­sensvertretungen an der Eindämmung der Krankheit mitwirken. Wenn die Linke das Sprachrohr der »Verdammten dieser Erde« sein will, dann nimmt sie Corona ernst und fordert gleichzeitig, dass das, was alle zu dessen Eindämmung tun sollen, auch alle tun können, ohne unterzugehen.

Karl Reitter hat in der vergangenen Aus­gabe der Volksstimme mehr Maßnahmenkri­tik »von links« postuliert. Ohne auf alle von ihm genannten Punkte detailliert einzuge­hen, geht es mir darum, einige seiner pro­blematischen Behauptungen zurechtzurü­cken. Das Virus macht sich zudem mittler­weile auch in Österreich bei den Hospitali­sierungsraten deutlich bemerkbar. Freilich ist es nicht Aufgabe der Linken, den herr­schenden medialen Diskurs kritiklos zu übernehmen. Zugeständnisse an diejeni­gen, die die Pandemie bagatellisieren und inhaltlich falsche Maßnahmenkritik üben, verbieten sich jedoch von selbst. Das Wort »Panikmache« ist zum Kampfbegriff der Corona-Leugner-Szene geworden und ver­dient es, zum Unwort des Jahres 2020 gewählt zu werden. Seine Verwendung ist daher indiskutabel.

Maske und Co. werden uns wohl noch länger begleiten. Anstatt dagegen aus irra­tionalen Gründen zu protestieren, sollten wir das Beste daraus machen. Als Acces­soire auf Demos ist die Maske nicht mehr wegzudenken. Wer hätte vor einem Jahr daran gedacht, dass eine Vermummung während einer Kundgebung mit Infektions­schutzmaßnahmen begründbar wäre?

Roland Steixner, Mit­glied der Landesleitung der KPÖ-Tirol und Ersatzgemeinderat und Wohnbausprecher der Alternativen Liste Inns­bruck (ALI), Betriebsrat der G4S-Tirol/Vorarl­berg, Mitglied der Lan­deskontrolle des ÖGB-Tirol. Linguist und Lati­nist

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Gelesen 4996 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 03 Dezember 2020 09:10
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