VON PETER FLEISSNER
Wie kommt es, dass die große Mehrheit der ÖkonomInnen in Österreich völlig eindimensional nur eine einzige Lehrmeinung vertritt, wo doch der Individualismus ein zentrales Bekenntnis ihrer Disziplin ist? Obwohl sich auf dieser Grundlage eine bunte Vielfalt von Meinungen entfalten sollte, sind sich die Wissenschaftler und ForscherInnen in einem Punkt einig: Der Kapitalismus ist das einzige lebensfähige Wirtschaftssystem, an das sie glauben. Wer darüber hinaus denkt, muss entweder ein*e Idiot*in oder krank sein. Was sind die Mechanismen, die eine solche Einigkeit in einer ziemlich großen Gruppe von Menschen erzeugen?
Ausbildung zur Konformität
Die Dressur beginnt mit der Ausbildung an den Universitäten und Fachhochschulen. Dort sitzen in den allermeisten Fällen Lehrkräfte, die sich schon ein gerüttelt Maß an bürgerlichen Inhalten angeeignet haben und sie dann im Brustton der Überzeugung vertreten. Es ist an den Unis leider nicht so, dass kreatives Denken vermittelt wird, sondern oft nur die Reproduktion vorgegebener Lehrinhalte. Den Lehrkräften ist es in der Regel lieber, die Studierenden eignen sich den von ihnen vorgegebenen Lehrstoff rasch an, möglichst ohne persönliche Interaktion. Das würde zu viel Zeit kosten. Bei Prüfungen werden daher gerne multiple choice Fragen eingesetzt, wo eine von mehreren vorgegebenen Alternativen anzukreuzen ist. Das spart der Lehrkraft kostbare Beurteilungszeit, da die Ergebnisse standardisiert ausgewertet und benotet werden können (was sie oft an ihre Assistent*in outsourced). Diskussion über die Antworten gibt es keine. Der äußerst wichtige wissenschaftliche Diskurs findet nicht statt. Ein wahres, aber vielleicht absichtlich den Lehrbetrieb karikierendes Beispiel aus einer Philosophieprüfung an der Universität Wien: Auf die Frage: »Gibt es einen Gott?« konnte zwischen »ja«, »nein« und »weiß nicht« gewählt werden. Man bekam seinen Punkt, wenn genau eine der Möglichkeiten angekreuzt wurde, welche, war lt. Auskunft des Professors für die Benotung gleichgültig.
Die Abschlussarbeit (Diplomarbeit, Dissertation und die früher für eine Position als Professor*in nötige Habilitation) ist oft der krönende Beweis, dass die Zähmung gelungen ist. In meinem Habilitationsverfahren warnte einer der Gutachter, dass meine Arbeit nicht auf der Basis des Positivismus stehen würde (ein Code, der allen Wissenden anzeigte, so jemand wird nicht habilitiert). Ein anderer, ein linkeres Mitglied der SPÖ, später Vorsitzender des Finanzschuldenausschusses (seit 2013 Fiskalrat genannt), ließ per E-Mail verlauten: »Sie werden die Sklavensprache schon noch lernen!«
Disziplinierung durch Förderung
Nach dieser universitären Abrichtungsperiode ist die Dressur noch lange nicht zu Ende. Vor allem jetzt, wo die Fördertöpfe für Sozialwissenschaften immer mehr ausgetrocknet werden, machen viele Kolleg* innen kaum mehr etwas anderes als Anträge zu formulieren, bei Erhalt der Förderung rasch das Projekt abzuarbeiten, um dann sofort das nächste zu beantragen. Für ein sammelndes Innehalten, das innovative Einsichten bringen könnte, gibt es keine Zeit, obwohl jede* Forscher*n seine Vorlieben und speziellen Interessen für das eine oder andere Thema hat und sich gerne grundlegender damit beschäftigen würde. Immer mehr Kolleg*innen raufen sich um die rar gewordenen Fördergelder.
Junge Wissenschaftler*innen müssen an ihre Zukunft denken. Jede Arbeit, die sie veröffentlichen, wird bei einer Bewerbung darauf untersucht, ob sie Ergebnisse verspricht, die der finanzierenden Institution nützen. Wenn z.B. die Wiener Arbeiterkammer ein Projekt über die Entwicklung der Lohneinkommen der ArbeitnehmerInnen in Österreich finanziert, will sie weder, dass die ÖGB-Politik heftig kritisiert wird, noch, dass herauskommt, dass die Lohnabhängigen in Österreich von dieser Politik gar keine Vorteile haben. Auch die Bundeswirtschaftskammer, andere Interessensvertretungen und private Unternehmungen arbeiten so.
Etwas besser ist es bei den öffentlich finanzierten Fonds (siehe www.wien.gv.at/ forschung/foerderungen/oester.html) die transparent die Bedingungen definieren, unter denen eine Finanzierung möglich ist.
Selbstbeschränkung und Selbstzensur
Für Berufstätige, die sich mit ihren Vorgesetzten nicht streiten wollen, tritt ein Mechanismus der Selbstzensur in Kraft, der verblüffend effektiv ist. Arbeitet man nicht auf marxistischem Terrain, bleibt für Ausflüge in den Marxismus kaum Zeit übrig.
»Ein Marxist wird bei mir in der Akademie nix«, hat der damalige Generalsekretär der Österreichischen Akademie der Wissenschaft noch zu mir unter vier Augen gesagt. Das ist immerhin schon 40 Jahre her. Mittlerweile ist die Lage für aktive Linke nicht mehr ganz so schlecht, aber damals war das eine klare Verletzung der Menschenrechte und eine explizite politische Diskriminierung, die mir vorübergehend den Aufstieg im wissenschaftlichen Bereich erschwert hat. So wurde ich als Habilitierter (ich hatte den Rang eines Dozenten) nicht Direktor an meinem Institut, sondern ein Kollege ohne Habilitation, obwohl die Stellenausschreibung eine Habilitation explizit erforderte.
Es gab und gibt im Kreis der Linken, vor allem bei den Kommunist*innen, viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung aus politischen Gründen. Mir war seinerzeit das Verhalten meiner Vorgesetzten zwar unangenehm, aber ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass hier eine Rechtsverletzung vorläge. Es war quasi normal, dass Linke diskriminiert wurden. Aber immerhin konnten meine KollegInnen und ich die stärkste Fraktion im Betriebsrat der Österreichischen Akademie der Wissenschatten stellen, obwohl die Akademie-MitarbeiterInnen als äußerst konservativ galten. Trotzdem war es für mich als Betriebsrat eine schöne Zeit der beständigen Auseinandersetzung mit der Akademieleitung, die mich die Diskriminierung vergessen ließ.
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing
Die permanente Diskriminierung der Denkweise von Linken führt dazu, dass marxistisches Denken nur selten Gegenstand der Forschung ist und sich kaum weit verbreiten kann. Und so sieht auch die Arbeit der meisten Ökonominnen und Ökonomen aus. Sie haben die Wahl, sich entweder aller politischen Äußerungen zu enthalten oder – in beinahe mittelalterlicher Manier – das Lied derer zu singen, deren Brot sie essen, mit aller Energie, die ihnen zur Verfügung steht. Sie werden so zu echten Apologeten des Kapitalismus, Sprachrohre der Ausbeutung und Entfremdung. Das heißt nicht, dass sie in dieser Rolle nicht Intelligentes leisten würden, im Gegenteil, es ist auch in den heutigen Zeiten nicht leicht, die richtigen Argumente zu finden, um ein ineffizientes, korruptes und faulendes Gesellschaftssystem zu verteidigen, von dem sogar Papst Franziskus sagt »Diese Wirtschaft tötet«. Denn es produziert anstelle der Voraussetzungen für ein gutes Leben für alle Ungleichheit, Ausgrenzung und Umwelt-, Wirtschafts- und Finanzkrisen am laufenden Band. Nur mit einem komplexen intellektuellen Eiertanz können sie rechtfertigen, dass die reichsten 10 Prozent der Menschen in Österreich 56,4 Prozent des gesamten Vermögens besitzen, während die ärmeren 50 Prozent nur 3,6 Prozent ihr Eigen nennen können. Dabei werden sie von den neoliberalen Thinktanks unterstützt, die seit Jahrzehnten ganz gezielt als Bollwerk gegen jegliche Kritik am Kapitalismus aufgebaut und finanziert wurden.
Dass darüber hinaus der Inhalt der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften ebenfalls höchst kritikwürdig ist, verdient eine genauere Analyse. Aber das ist eine andere Geschichte.
Erosion menschenfreundlicher Ziele
Die Zielvorstellungen der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft verschoben sich im Zuge der Ausbreitung der neoliberalen Pandemie zum Schlechteren. Einer der Begründer der ökonomischen Klassik, Adam Smith, hat im 18. Jahrhundert noch durchaus moralisch argumentiert und von Empathie (Einfühlungsvermögen in andere) gesprochen, was Menschen daran hindern würde, gegen die Interessen ihrer Mitmenschen zu handeln, und zeitgleich hat Bentham im Utilitarismus noch die Maxime vertreten, dass »das größte Glück für die größtmöglich Zahl« zu ermöglichen sei. Noch in der Nachkriegszeit war von magischen Vielecken als konsensualer Zielsetzung für eine Volkswirtschaft die Rede, bei einem Dreieck etwa wurden die Ziele Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Preisstabilität verlangt. Das niederländische Centraal Planbureau beschäftigte sich noch bis 2017 mit der Erreichbarkeit dieser Ziele, dann wurde es ausschließlich der Untersuchung der Möglichkeiten von Produktivitätssteigerungen (engstens verbunden mit Profitabilität) untergeordnet. Diese Verschiebung des Fokus zeigt sich an allen Ecken und Enden der EU. Die Österreichische Nationalbank ist deshalb nicht zuständig etwa für die Verhinderung von Arbeitslosigkeit, nein, »der EU-Vertrag legt Preisstabilität als vorrangiges Ziel des Eurosystems fest. Zur Umsetzung dieses Ziels hat der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB-Rat) Preisstabilität als mittelfristigen jährlichen Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) von unter, aber nahe zwei Prozent definiert.«* Da gibt es keine direkte Orientierung auf humanes Wirtschaften mehr, sondern es geht nur noch um die Absicherung von arbeitslosem Einkommen (Erträge aus Wertpapieren, Mieten oder Pacht) gegenüber der Inflation.
Am weitesten verbreitet und besonders bedeutsam für uns ist die Verleugnung von objektiv vorhandenen Alternativen zur herrschenden Wirtschaftsordnung. Daher erscheint den bürgerlichen Ökonom*innen deren Erforschung gar nicht nötig. Thomas Mann hat diese Einstellung schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als das gebrandmarkt, was sie ist: »Der Antikommunismus ist die Grundtorheit unserer Epoche.«
*https://www.oenb.at/Geldpolitik.html