VON EVA BRENNER
Er tritt auf, er wirkt ernsthaft, seriös, gefasst. Er ist in Kontrolle, er versichert, er sichert zu. Jung, attraktiv, slimfit, rhetorisch geschult hat er schnell in seine Krisen-Rolle gefunden, was man vom »grünen« Vize leider nicht sagen kann. Jeden Abend spult die makellose Inszenierung punkt 19.30 Uhr im Staats-TV als gut geprobtes Schauspiel vor uns ab. Aber der Kanzler ist nicht allein; die Choreographie der Pinguine – ein Krisenquartett des Ausnahmezustands bestehend aus Kanzler, Vize, Innenminister und Gesundheitsminister – ist perfekt getimt. Im Gleichklang treten sie vor aufgepflanzten Österreich- und EU-Fahnen auf, im verordneten Sicherheitsabstand, anfangs ohne, dann mit Masken. Frauen kommen kaum ins Bild, das maskuline Zuckerbot- und Peitsche-Theater braucht sie nicht, es handelt von Message Control, Disziplin und Ordnung. Parallel zum Anstieg der Infizierten und Todesfälle mutieren die Vermittlungstaktiken von »Team Österreich« und »Wir« (minus der »Ausländer«, versteht sich). Eine ganze Nation wird wochenlang in die eigenen vier Wände verbannt, abwechselnd beruhigt dasKrisenquartett oder droht mit drastischen Strafen. Der Strahle-Kanzler spielt nicht nur die Hauptrolle, er verkörpert sie: Prediger, Staatsmanager, Retter in der Not, Arzt am kranken Volksköper. Er beherrscht sein Skript wie der Darsteller des Jedermann auf dem Domplatz zu Salzburg. Die Corona-Krisenperformance ist die Stunde des Herrn Kurz.
Das »Theater« (mit) der Politik
Was ist der Theaterbegriff dieses Stücks? Wes Geistes Kind ist der »Krampus-Diskurs« (Falter-Chefredakteur) des obersten Staatsdieners, der mit der Rute droht, sollten die braven Schäfchen – ein Volk von »Staats hörigen« (NZZ) – sich nicht wohl verhalten und zuhause bleiben. Egal, ob sie nun ins Landhaus im Grünen flüchten können oder in kleinen Innenstadtwohnungen zusammengepfercht sind? Das ständestaatliche Szenario kennt keine sozialen Unterschiede. Im deutschen Feuilleton wird der Kanzler mit »Siegfried« verglichen, während ein heimischer Kritiker vom »verhinderten Ministranten« spricht, der mit Engelszungen die Einübung in den autoritären Staat vorbereitet. Der Verkündigungston kommt mit leeren Worthülsen aus, der Kanzler spricht mit emotionsloser Miene – ein Signum neoliberalisierter Manager-Performance. Das Szenario: Es ist schlimm, es ist schon besser, es kann schlimmer werden – es gilt die Regeln zu beachten, wir sind noch lange nicht über den Berg! Die mediale Präsenz ist die Message, bald kommt die neue Überwachungs-App, natürlich zum Schutz aller. Form geht vor Inhalt.
Auf in die Schlacht!
Mit der Ansteckungsgefahr wächst die Angst. Sind wir auf dem Weg zum Order-Regime? Die Kriegsmethaper stammt vom israelischen Premier, mit dem sich unser Kanzler gern berät, sowie vom französischen und amerikanischen Staatspräsidenten. Wir sind im Krieg gegen das Virus. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, das Regelwerk des Rechtsstaates gerät ins Wanken, im Land herrscht Stillstand. Die Folgen der Corona Virus-Katastrophe sind nicht abzusehen, es droht Rezession, die Situation wird mit der Depression der 30er Jahre verglichen. Zur Kriegsrhetorik passen die Einberufung von 3.000 Milizionären, Grenzschließungen, Aufstockung der Polizei, Verstärkung durch das Bundesheer – ganz so als stünde ein Krieg ins Haus. Nach Überwindung der ersten Krisenphase, die das kleine Österreich vorbildlich gemeistert hat, folgt nun die schrittweise Öffnung kleiner Geschäfte sowie von Bau- und Gartenmärkten. Aber »wir sind noch lange nicht dort, wo wir hinwollen«, trommelt der Gesundheitsminister. Wissen wir, wo wir hinwollen? In welcher Gesellschaft wir aufwachen wollen, wenn dereinst die Corona-Krise bezwungen sein wird? Warum nützt der »grüne« Vize seine Rolle nicht, um über nun zutage tretende Zusammenhänge zwischen Globalisierung, Umweltkrise und Virengefahr aufzuklären? Wann bekommt die glatte Fassade der Krisen-Performance Risse, wird die Achillesferse des Strahle-Kanzlers sichtbar?
Gesellschaft des Spektakels
Das Krisen-Spektakel (Guy Debord) folgt einer wohlüberlegten Absicht. Jedem der Statisten ist eine genaue Rolle angepasst, die Masken sitzen. Manchmal darf der Innenminister als Scharfmacher »mit-spielen« und wiederholt mit deutlich schwächerer Rhetorik die gut geölten Aussagen des Kanzlers. Neben dem jugendlichen Helden besteht einzig der sympathische Gesundheitsminister, der mit Statistiken und Besonnenheit punktet. Dem grünen Vize, oft erzürnt in den Hufen scharrend, bleibt als Junior Partner nicht mehr als die undankbare Nebenrolle. Er versprüht hemdsärmelige Volksnähe, bemüht sich stets um Authentizität, man merkt, er denkt, was er sagt und hat vielleicht mehr zu sagen. Aber mit der Kurz-Show kann er nicht mithalten. Dann wird sein Unbehagen über das festgezurrte koalitionäre Korsett schmerzlich spürbar, aber jetzt ist es zu spät, jetzt sitzt er mit am Tisch der Mächtigen, jetzt kann er nicht mehr aus der Rolle fallen. ProduzentInnen (Türkis/ÖVP) und RegisseurInnen (PR-StrategInnen) haben die Show im Griff: Alles in diesem Schauspiel zielt ab auf politische Breitenwirksamkeit – und die befindet sich in Österreich im Augenglick rechts des Zentrums. Die Performance ist ideologisch zugeschnitten auf den »jungen Kaiser«.
Kein Widerspruch, nirgends
Akute Themen wie die katastrophale Situation Geflüchteter, Klimakrise, Kriege (nicht nur in Syrien) hat die Covid-19-Tragödie längst aus den Medien verdrängt. Im ständestaatlich-nationalen Schulterschluss schnüren sich der Kriegs-Diskurs im Tandem mit Sicherheits- und Schutzmaßnahmen enger und enger, werden gigantische Geldpakete zur Abfederung der Wirtschaftskrise, sozialer Härtefalle und möglicher Unruhen verabschiedet. Die Bevölkerung nimmt die Einschnitte in die Freiheitsrechte sadomasochistisch-sprachlos hin. Bisweilen entsteht der Eindruck, die Türkisen hätten geradezu Spaß am Ausnahmezustand-Spiel. Es gibt ihnen Macht. Nach Einführung der Maskenpflicht konnte man zusehen, wie die Leute nur darauf warteten, ihre selbstgenähten Kreationen öffentlich auszuführen. Und währenddessen nähen die Werkstätten österreichischer Theater Masken und Schutzkleidung, anstatt Kostüme. Viel mehr Rolle kommt der Kunst in Zeiten der Krise nicht zu, mal abgesehen von der Flut an Online-Video-Programmen, die kaum zu über blicken ist und keinen Ersatz für das live Erlebnis darstellen.
Das Wahre und das Falsche
Nur wenige kritische Intellektuelle thematisieren den mit gespenstischer Geschwindigkeit vor sich gehenden Verlust von über Jahrhunderte erkämpften Freiheitsrechten, rufen auf zur Mäßigung, versuchen die Selbstorganisation linker Kräfte. Herr und Frau Durchschnitts-ÖsterreicherIn bleiben jedoch frei/willige ZuschauerInnen im Krisenmodus, sitzen stumm vor den Bildschirmen und starren auf die perfekte Zurschaustellung des Krisen-Managements. Es soll kein Staubkorn auf die reine Weste des Strahle-Kanzlers fallen, nichts Unerwünschtes soll ans Tageslicht gebracht, keine Krisenursachen enthüllt werden, das Stück ein baldiges Happy End finden. Die Message: Wir haben alles fest im Griff – und nach der Krise soll alles wieder so werden wie zuvor, höchstens ein klein bisserl anders! Vielen dämmert: So schnell wird es nicht gehen. Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man lachen, aber hier gibt es nichts zu lachen. The Show must go on – Bravo Kanzler!