Nach Herzenslust Wikipedia-Artikel verfassen, komponieren, musizieren, Bücher schreiben oder Frei Software entwickeln.
Ein Beitrag von FRANZ SCHÄFER.
»Was sind ihre Hobbys?« wird man oft am Ende eines Vorstellungsgesprächs gefragt. Viele Menschen haben tatsächlich interessante und vor allem auch recht sinnvolle Hobbys. Linux, das Betriebssystem, das heute auf Milliarden von Servern, Smartphones und auch auf immer mehr Desktops läuft, hat auch als Hobby begonnen. Ein Hobby ist allerdings ein Luxus den sich nicht alle leisten können: Wer als Alleinerzieherin mehrere Jobs braucht, um die Wohnung bezahlen zu können, hat wenig Zeit für ein Hobby. Was die Hobbys aber zeigen: Menschen sind mit ihrer Lohnarbeit nicht zufrieden. Die wird meist nur als Mittel zum Zweck wahrgenommen: Damit man Geld hat, um Miete und Essen zu bezahlen. Das Produkt der Arbeit gehört jemand anderem, und selbst der Akt der Produktion wird fremdbestimmt. Marx prägte dafür den Begriff »Entfremdung«.
So genannte »Work-Life Balance«
Verräterisch ist dabei auch die Sprache der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften. Die fordern gerne die so genannte »Work-Life Balance« und meinen damit, dass neben der stressigen Arbeit (»Work«) auch noch Zeit für Familie, Freunde und Hobbys (»Life«) bleiben soll. Das ist ja grundsätzlich eine gute Forderung, aber sie impliziert halt auch, dass »Work« und »Life« zwei verschieden Dinge sind und dass »Work« eben nicht zum »Life« gehört. Die Entfremdung wird hier als gegeben und unveränderlich vorausgesetzt und die Bullshit-Jobs als Status-Quo akzeptiert.
Da sind die Konzerne schon einen Schritt weiter: Google gibt den Mitarbeiter*innen die Möglichkeit, mit 20 Prozent ihrer Zeit für eigene Projekte zu verwenden (Die Ergebnisse gehören dann aber i.a. immer noch Google – wobei Google durchaus auch relativ viel zu Freien/Open-Source Projekten beiträgt). Die Firmen haben jedenfalls erkannt, dass die Entfremdung durchaus ein Problem darstellt und Kreativität gefragt ist. Die Management Literatur ist voll mit Methoden zur »MitarbeiterInnen-Motivation«.
First World Problems
Angesichts dessen, was der Kapitalismus sonst noch so anstellt (Umweltzerstörung, Klimakatastrophe, Krieg), erscheint das mit der »Entfremdung« als »Luxus-Problem«. Aber es gibt doch einen Zusammenhang. Die Überproduktion von unnötigen und schädlichen Produkten hängt halt schon auch damit zusammen, dass die Entscheidung über die Produkte von denen getroffen werden, die sie verkaufen wollen und nicht von denen, die sie herstellen. Auf der anderen Seite taucht in der Diskussion über das Grundeinkommen immer wieder die Frage auf: »Wer wird dann noch arbeiten«? Hoffentlich viel weniger Menschen – denn wir haben genug unnötigen Schrott, den keiner braucht – aber gerade Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft bestreiten müssen, können endlich in Freiheit tätig sein. Nach Herzenslust Wikipedia-Artikel verfassen, komponieren, musizieren, Bücher schreiben oder Freie Software entwickeln.
Freie Software wie Linux wird heute zu einem sehr großen Teil in kommerziellen Firmen weiterentwickelt. Der Grund dafür ist, dass selbst große Konzerne es sich kaum mehr leisten können, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Über Freie Software können die großen Firmen de-facto kooperieren, und Kooperation ist nun mal effizienter als Konkurrenz, aber da jede/r den Source-Code besitzt, ist niemand von den anderen abhängig.
Keimform
Aus der Sicht der Programmierer*innen ist das zwar immer noch Lohnarbeit und natürlich immer noch Entfremdung – letztlich gibt der/die Chef*in vor, was und wo entwickelt werden soll, aber zumindest »gehört« einem dann die Software – weil sie auch allen gehört. In der Oekonux Diskussion (die vor etwa zehn Jahren geführt wurde) unterschied man daher zwischen «Einfach Freier Software« und »Doppelt Freier Software«. Erstere war zwar frei, wurde aber von Unternehmen entwickelt, zweitere von freien Einzelpersonen (als »Hobby«). Wobei es eben gerade der Aspekt, dass Freie Software (die das wichtigste Produktionsmittel für die Schaffung neuer Software ist) eben auch von Unternehmen weiterentwickelt wird. Der Kapitalismus arbeitet hier an seiner eigenen Überwindung. Freie Software wird daher auch als »Keimform« bezeichnet – etwas, das im gegenwärtigen System keimt und wächst, aber auch schon die Überwindung dieses Systems in sich trägt. Ich denke, es ist nützlich, sich bei allen unseren Forderungen auch immer zu überlegen, ob diese Keimformqualität haben oder wie sie gestaltet werden könnten, damit sie diese haben. Bedingungsloses Grundeinkommen ist meines Erachtens eines der wichtigsten Keimformprojekte: Es ist initial durchaus mit Kapitalismus kompatibel, trägt aber seine Überwindung schon in sich. Es greift den Kapitalismus an seinem Kern an: dem Kapitalverhältnis – dass die meisten von uns vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen, während wir doch nützlich (siehe die erwähnten Hobbys weiter oben) tätig sein könnten.
Monopole
Dass es so einfach wird, dass wir herumsitzen und abwarten, bis die Keimform-Pflanze gewachsen ist und dann den Kapitalismus-Drachen verschlingt, hat damals aber kaum jemand geglaubt. Zehn Jahre nach dieser Diskussion ist Linux und Freie Software zwar deutlich weiterverbreitet. In Smartphones, WLAN-Routern und den allermeisten Servern werkelt ein Linux und viele andere Freie Software. Aber Betriebssysteme und Anwendersoftware sind heute weniger relevant: Die Dienste wandern in die »Cloud«, werden also wie Gmail und andere Dienste einfach Online im Web genutzt. Und auch das ist schon wieder Schnee von gestern: Zunehmend werden die Dienste in Social-Media Plattformen integriert, und da zeichnet sich ab, dass wohl nur eine einzige übrig bleibt: Facebook. Selbst Google ist mit dem Versuch, ihre G+ Plattform zu etablieren, gescheitert. Das Ganze hebt auch die Entfremdung auf ein neues Niveau: Unsere soziale, menschliche Kommunikation wird nun selbst zu Ware. Der Kampf gegen die Monopolstellungen erscheint damit extrem schwierig. Auf der anderen Seite ändern sich die populären Apps heute oft relativ schnell. Die App, die vor zwei Jahren noch die wichtigste war, ist nächstes Jahr vielleicht schon wieder überholt.
Kampf gegen Social-Media Konzerne
Ein einfacher Aufruf, diese Netze nicht mehr zu verwenden, wird wohl nicht reichen. Ein FB-Account ist heute fast notwendig, um mit bestimmten Menschen und Gruppen in Kontakt bleiben zu können. Für uns Aktivist*innen ist die Sache natürlich doppelt schwer: Wenn wir nicht auf FB sind, dann erreichen wir die Menschen nicht. Aber wenn wir dort aktiv sind, dann setzten wir einen zusätzlichen Anreiz für alle anderen, dort auch eingeloggt zu sein. Alle Versuche, freie und dezentrale Alternativen zu Facebook zu etablieren, sind bis jetzt gescheitert. Kaum jemand kennt Diaspora*, Friendica oder Mastodon. Der Grund ist wohl weniger die Qualität dieser Netzwerke, sondern der Netzwerkeffekt: Solange dort keine Menschen aktiv sind, besteht auch für andere keine Motivation, dort einzuloggen. Ganz unmöglich erscheint es aber nicht, die Macht von FB zu brechen: Würde ein freies Social-Media Netzwerk eine gewisse Masse erreichen, wären vielleicht andere Konzerne (denen die Macht des Konkurrenten ein Dorn im Auge ist) bereit, ein freies Netzwerk zu unterstützen – nicht um damit direkt Gewinn zu machen, sondern um die Monopolmacht des Konkurrenten zu verhindern. Die Widersprüche innerhalb der verschiedenen Kapitalfraktionen zu nützen, scheint auch hier eine gute Strategie zu sein. Die großen Internet-Konzerne aus dem sonnigen Kalifornien sind den Rechten in den USA üblicherweise zu links-liberal/libertär. Was, wenn man sich Fox News ansieht, wohl relativ gesehen stimmen mag. Aus der Befragung von Zuckerberg durch die progressive Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) wissen wir, dass Facebook zum »Fact Checking« eine Partnerschaft mit einer Rechtsextremen Medien Organisation namens »Daily Caller« eingegangen ist.
Freie Software-Lizenzen im Zeitalter der Cloud
Die Lizenzen Freier Software legen fest, was man mit der Software machen darf. Die GPL-Lizenz fordert, dass, wer die Software weitergibt, die Rechte nicht einschränken darf. Um zu verhindern, dass Menschen zwar ihre Website damit bauen, dann aber die Software, die hinter der Website verborgen bleibt, nicht weitergeben, wurde die AGPL geschaffen. Die fordert, dass, wer die Software benutzt, muss sie auch zum Download anbieten. Wer die Software verändert und verbessert, muss auch die veränderte und verbesserte Version anbieten. Wenig erstaunlich ist, dass Konzerne wie Google, die davon profitieren, anderer Leute Software für sich zu verwenden, die AGPL hassen wie die Pest.
Digitalisierung
Dank Digitalisierung und der laufenden Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz wird unsere Arbeit bald nicht mehr notwendig sein. Die Notwendigkeit, Zugriff auf Sourcecode, Bauplan, Rezepte und die Eingebauten Algorithmen zu haben, ist wohl in Zukunft weniger eine Frage der Freiheit unserer Arbeit als eine Frage der Kontrolle. Ob diese neuen Technologien uns beherrschen oder ob wir sie kontrollieren. Und diese Kontrolle kann nicht erst entstehen, wenn diese Systeme etabliert sind, sondern muss gemeinsam mit ihnen aufgebaut werden und wachsen. Idealerweise würden wir alle Produzent* innen dazu verpflichten, ihre Baupläne, Sourcecodes, Rezepturen etc. offenzulegen und den Schutz so genannten »Geistigen Eigentums« weitgehend abzuschaffen. Nicht nur würde das die Produktivität enorm erhöhen, sondern auch unnötige Ressourcenverschwendung beseitigen (Dinge müssten nicht doppelt und dreifach erfunden oder entwickelt werden), sondern es würde uns eben auch deutlich mehr Kontrolle über die Technologien erlauben, die uns immer mehr beherrschen. Einfacher wäre natürlich, wenn wir PolitikerInnen hätten, die diese Themen verstehen und die im Kampf gegen »Geistiges Eigentum« und gegen Kapitalismus auf unserer Seite kämpften. In diesem Sinne sehe ich auch Bündnisse von Pirat*innen und Kommunist*innen als sehr wünschenswert an.