Im Jahr 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik mit dem rot-schwarz-goldenen Emblem Hammer-Sichel-Zirkel gegründet, das als Arbeiter-Bauern-Wissenschaftssymbol gedacht war.
Erinnerungen von BÄRBEL DANNEBERG.
Ich kam 1949 gerade in die Schule und wohnte mit meinen Eltern im amerikanisch besetzten Teil Berlins. Meine zwei Jahre ältere Cousine Jutta war im östlichen, sowjetischen Teil zu Hause. Wir sahen uns oft, hüben wie drüben. Wir sangen gemeinsam unsere alten Kindheitslieder. Erst später unterschieden sie sich. Während ich »Abendstille überall ...« sang, hatte Jutta das sozialistisch geprägte Liedgut im Repertoire: »Unsere Heimat ...« mit dem aufdringlichen Refrain: »... wir schützen sie, weil sie unserem Volke gehört.« Unsere Welten begannen sich zu teilen. Juttas Mutter, eine Alleinerziehende und SED-Genossin, nahm mich zusammen mit ihrer Tochter als »ihr« Kind mit ins Ferienlager der Jungen Pioniere nach Babe auf Rügen.
Meine Mutter war froh darüber, sie hatte vier Kinder durchzufüttern und Essen war damals knapp bei uns. Deshalb ging sie immer »nach drüben« in den HO einkaufen. In der staatlich verwalteten Handels Organisation (so etwas Ähnliches wie später bei uns die Konsum Genossenschaften) gab es die staatlich gestützten Grundnahrungsmittel für uns Westler zu einem Spottpreis. Das ging damals noch problemlos: Mit der S-Bahn von Schöneberg bis Friedrichstraße fahren, die zum östlichen Teil Berlins gehörenden Stationen wurden ohne Halt durchfahren. Typischer Ost-Geruch war für mich neben Calciumcarbit der köstlich frische des Brotes, das meine Mutter aus dem HO mitbrachte.
Widerstand vs. Wohlstand
Meine Mutter bedauerte sehr den 17. Juni 1953, der später zum »Tag der deutschen Einheit« erklärt wurde, denn er riss ein Loch in ihr Haushaltsbudget. Es war nun nicht mehr so leicht möglich, im Osten einzukaufen. Ich war gerade zehn Jahre alt und verstand nicht, warum es jetzt so schwierig wurde, meine Cousine Jutta zu sehen. Der »Arbeiter- und Bauernaufstand« in der Täterä, wie man Walter Ulbrichts sächsischen Dialekt hämisch nachäffte, wurde in den westlichen Nachrichten ausgiebig als »Volksaufstand« kommentiert und die sowjetischen Panzer als »Aggression Moskaus«, während Walter Ulbricht von den »Bonner Ultras« und den »Revanchisten« sprach. Im West-Radiosender RIAS war von einem »Terrorstaat« die Rede, wenn es um die DDR ging, und in Westberlin wurden die Streiks der Bauarbeiter in der Stalin-Allee von den Düsenjägern der AMIS mit Überschall-Geknalle begleitet, sodass bei uns etliche Fensterscheiben zu Bruch gingen. Es gab 55 Tote, es war das Jahr, in dem Stalin starb. Mein Vater sagte bitter: Fängt das jetzt schon wieder alles an? Es waren gerade einmal acht Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen. Nun hatten wir einen neuen, einen Kalten Krieg.
Initiationsriten hüben wie drüben: Ich ging in den evangelischen Konfirmandenunterricht und wurde eingesegnet; meine Cousine war in der sozialistischen FDJ und bekam die Jugendweihe.
Noch konnte man in der viergeteilten Stadt Berlin zwischen Ost und West hin- und herfahren. Meine Cousine sah ich aber kaum noch. Jutta studierte im Osten Mathematik, ich erlernte nach meiner Schneiderlehre im Westen den Beruf Krankenschwester. In meinem Krankenhaus arbeiteten auch viele »Ostärzte«, sie wohnten im östlichen Teil Berlins und tauschten ihr bei uns im Westen verdientes Geld eins zu acht um. Ein Ungleichgewicht ökonomischer Verhältnisse zum Vorteil des Westens und zum Nachteil des Ostens, bei dem krasse Un gleichheit nicht am Programm stand. Und so löste der 13. August 1961 bei uns im Spital große Empörung aus, denn in einer Nacht- und Nebelaktion wurde mitten durch Berlin eine Mauer gebaut! Ulbricht nannte das den »Antifaschistischen Schutzwall«. Nun war es in meinem Spital vorbei mit den billigen »Ostärzten«, sie durften nicht mehr hin- und herpendeln. Wir spürten diesen Fachkräftemangel deutlich.
Später war es möglich, mit einem Passierschein, den man auf einem westlichen Amt beantragen musste, in den Osten zu fahren. Meiner Cousine Jutta brachte ich Perlonstrümpfe und Kaffee mit, und sie schenkte mir Bücher und Schallplatten. Punkt 24 Uhr musste man die Besuche in der DDR beendet haben, und am Grenzübergang Friedrichstraße herrschte jedes Mal großes Gedränge, um rechtzeitig wieder zurück in den Westen zu kommen. Jutta, mittlerweile fertige Mathematikerin, war stolz auf »ihre Heimat«. Und ich, von der Fabriksnäherin zur Krankenschwester aufgestiegen, auf »meine«. Sie hatte den Sozialismus und ich die Freiheit, wurde uns gesagt. Als 1969 der Fernsehturm als höchstes Bauwerk Deutschlands fertiggestellt wurde, führte sie mich stolz nach oben und wir bewunderten beide ihre Stadt und meine Stadt, die uns zu Füßen lag. Die Teilung war klar sichtbar. Wir sahen uns wieder öfter.
Antifaschismus vs. Antikommunismus
Von den politischen Hintergründen, der industriellen Demontage und den Reparationsleistungen in Milliardenhöhe, die von der DDR geleistet wurden, oder von dem Marshallplan, der den Westlern einen wirtschaftlichen Startvorteil verschaffte, hatte ich damals keine Ahnung. Wir im Westteil waren das Schaufenster zum Osten, wir fühlten uns im steigenden Wirtschaftswunderkonsum als »was Besseres«. Viele Studierende trieb es in den 1960er Jahren nach Westberlin, denn dort entgingen sie dem Bundeswehrdienst. Die StudentInnenbewegung dieser Zeit hat mich »Nichtstudierte« dann politisch voll erwischt. Die Nazivergangenheit wurde für mich plötzlich zum brennenden Thema. Wurde bei uns über diese Zeit geschwiegen, machte ich bei meinen Besuchen im Ostteil der Stadt die Erfahrung, dass Antifaschismus hier nicht nur in Straßennamen anzutreffen ist. Von Konzentrationslagern habe ich hier zum ersten Mal gehört. Ich hatte in der Schule ja noch vom »verlorenen Krieg« und vom Vorteil der Autobahnen, die Hitler gebaut hat, gelernt. Der kulturelle Bruch zwischen Ost und West sprang mir nicht zuletzt in den Buchläden ins Auge: Literatur war ein Kulturgut und gab es zum Spottpreis, und meine Cousine besorgte uns für meine Besuche oft Theaterkarten.
Dass ich später Kommunistin wurde, nachdem mich die 1968er-Bewegung in Westberlin in einem Klima des Antikommunismus als Staatsdoktrin voller Elan und Widerstandsgeist mitgerissen hatte, hat mit vielen Mosaiksteinchen einer deutsch-deutschen Geschichte zu tun, die ich mir mühsam zusammengesucht habe. Den Mauerfall habe ich in Wien erlebt. Wehmut und Erinnerung an meine Kindheit und Hoffnung auf eine künftig bessere Welt verdichteten sich zu der Erkenntnis, dass die deutsche Wiedervereinigung eine unerfüllte Sehnsucht und vertane Chance blieb.