Abb. 1: Fundamentalpreis indikator für Wien. 1990–2016 (eigene Darstellung) Datengrundlage: OeNB 2017 Vertikal: Abweichung vom langfristigen Trend in % Abb. 1: Fundamentalpreis indikator für Wien. 1990–2016 (eigene Darstellung) Datengrundlage: OeNB 2017 Vertikal: Abweichung vom langfristigen Trend in %

Das Immobilienwesen im Dienste des Kapitals

von

In seiner kürzlich erschienen Diplomarbeit »Immobilienentwicklung in Wien mit David Harvey lesen« beschäftigt sich Georg Šembera mit der Analyse des einflussreichen marxisti­schen Geografen. David Harvey hat in den letzten Jahren mit Büchern wie »Rebellische Städte« wichtige Impulse für Recht-auf-Stadt-Aktivist*innen auf der ganzen Welt gegeben. Für die Volksstimme stellt Šembera zentrale Ansatzpunkte von Harveys Analyse dar. Und wie diese die exorbitanten Preissteigerungen am Immobilienmarkt in Wien als Klassen ­politik von oben erklären kann.

David Harvey beschäftigt sich seit den 1960ern mit der Bedeutung des Immo­bilienwesens für kapitalistische Entwick­lungen aus marxistischer Perspektive. Seine Theorien wurden bislang aber nur selten auf praktische Beispiele angewendet. Dies aber wollte ich in meiner Diplomarbeit in Bezug auf Wien ausprobieren.

Nach David Harvey kommt es im Kapita­lismus immer wieder zu Krisen, welche auf­grund von Überproduktion und Über ­akkumulation entstehen. Dabei trifft eine im Prinzip unbegrenzte Produktion auf eine begrenzte zahlungsfähige Nachfrage. Tritt dieser Fall ein bedeutet das auch eine Krise für die Mehrheit der Unternehmer* innen, welche dadurch finanzielle Verluste erleiden würden. Dies versuchen sie daher zu vermeiden.

Hier kommt die Theorie der Kapitalkreis­läufe von David Harvey ins Spiel. Nach ihm gibt es drei Kapitalkreisläufe. Der erste besteht aus Investitionen in Gewerbe und der Industrie, der zweite primär aus dem Handel mit Immobilien und der dritte aus Investitionen in physische und soziale Infrastruktur.

Der Überschuss an Kapital und Arbeit, welcher nicht im ersten Kapitalkreislauf verwertet werden kann, kann durch eine Verlagerung in den zweiten und dritten Kapitalkreislauf temporär gebunden und eine Überakkumulationskrise verzögert bzw. abgeschwächt werden. Im Gegensatz zum zirkulierenden Kapital (u. a. Arbeits­kraft und Rohstoffe), bei dem deren Wert im Produktionsprozess unmittelbar auf die produzierte Ware übergeht, geschieht dies bei fixem Kapital (Immobilien aller Art, Infrastrukturen und Maschinen) nur all­mählich. Überschüssiges Kapital, welches also gerade nicht für den unmittelbaren Produktionsprozess in Konsumgüter inves­tiert werden kann, weil die zahlungskräf­tige Nachfrage danach fehlt, kann in Kri­senzeiten auf diese Weise temporär in die­sen Bereichen »geparkt« werden. Nach David Harvey wird dadurch eine Krise aber nicht verhindert, sondern nur zeitlich oder räumlich verlagert.

Das Wiener Immobilienwesens in der Krise

Auch an Wien ist die Krise 2008 ff nicht spurlos vorbeigezogen. Anstatt des Ausbaus der eigenen Kapazitäten, oder Investitio­nen in andere Unternehmen scheinen viele Konzerne seit der letzten Wirtschaftskrise auf sogenanntes »Betongold« zu setzen. Ebenso hat es den Anschein, dass Privat ­personen seit der Wirtschaftskrise ihr Geld lieber in Immobilien investieren, als in Investmentfonds. Dies treibt die Immobi­lienpreise in die Höhe und in Folge auch die Mieten. Höhere Mietzinse »müssen« ver­langt werden, weil sich die Investitionen sonst nicht lohnen würden. Ein weiterer Grund für steigende Mieten in Wien ist auch das Wachstum der Bevölkerung bei gleichzeitig unzureichender Neubau ­leistung. Im Jahr 2014 wuchs die Wohn ­bevölkerung um 33.000 Menschen. Im selben Jahr wurden nach Angaben der Stadt Wien jedoch nur 7.273 neue Wohnungen errichtet.

Zu wenig Immobilien oder zu viel Spekulation?

Eine Frage die sich stellt ist, gibt es zu wenig Immobilien oder sind die Preissteige­rungen auf Spekulation zurückzuführen? Zur Ermittlung, ob die hohen Immobilien- und Mietpreise primär aufgrund einer Ver­knappung des Gutes »Immobilien« herrüh­ren, oder aufgrund spekulativer Investitio­nen, kann der sogenannte Fundamental­preisindikator der Österreichischen Natio­nalbank (OeNB) herangezogen werden. Die­ser Indikator gibt in einem Zahlenwert die Abweichung der Immobilienpreise von einem sogenannten Fundamentalpreis an, den die OeNB berechnet. Berücksichtigt werden dabei u.a. demographische Ent­wicklungen, das gesellschaftlich durch­schnittliche Wohlstandsniveau, oder die Verfügbarkeit von Grund und Boden. Nicht enthalten sind im Indikator jedoch Speku­lationen auf fallende oder steigende Preise. Wenn es über einen längeren Zeitraum zu einer Abweichung der Immobilienpreise vom Fundamentalpreis der OeNB kommt, kann also von einer Überhitzung oder gar einer Blase gesprochen werden.

Die Graphik (Abb. 1 unten) zeigt eindeu­tig, dass die Wiener Immobilien seit Aus­bruch der Wirtschaftskrise 2008/2009 eine starke Überbewertung erfahren haben. Waren sie im Jahr 2008 gegenüber dem langfristigen Trend noch um 5 % unter­bewertet, sind sie der OeNB nach im Jahr 2016 um 21 % überbewertet.

Kann die Immobilienblase in Wien platzen?

Ob der Immobiliensektor als Auslöser für eine Wirtschaftskrise in Frage kommt oder nicht, hängt von einer Reihe spezieller Voraussetzungen ab. Dazu zählen neben demographischen auch wirtschaftspsychologische Fakto­ren, wie das Vertrauen bzw. Misstrauen in die gesamtwirtschaftliche Entwick­lung und die Aktienmärkte, wirtschafts­politische, wie die Höhe des Leitzinses, oder politische Rahmenbedingungen wie Mieter*innenschutz und Ausmaß und Zugang zum kommunalen Wohnbau. Dabei handelt es sich nicht um einen rein automatisch ablaufenden ökonomi­schen Prozess, in denen der Immobilien­sektor integriert wird, sondern um einen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Prozess, der von unterschiedlichen Akteur*innen, maß­geblich beeinflusst werden kann.

Immobilien- und Wohnpolitik als Klassenpolitik von oben

Die Vermarktwirtschaftlichung des Immobilienwesens und der Wohnungs­politik hat sich in Wien über Jahrzehnte hingezogen und wurde von der kapita­listischen Klasse und ihren politischen Vertreter*innen mit viel Mühe und lan­ger Ausdauer vorangetrieben. Dieser Prozess ist aber keineswegs abgeschlos­sen. So beklagen Philipp Geymüller und Michael Christl von der Agenda Austria in ihrem 2014 erschienen Pamphlet »Teurer Wohnen. Wie Politik und Miet­recht den Wohnungsmarkt außer Kraft setzen.«, dass der Wiener Wohnungs­markt dermaßen überreguliert sei, sodass hier erst gar nicht von einem Wohnungsmarkt gesprochen werden kann. Wohnungen im kommunalen Besitz, gemeinnützige und genossen­schaftliche Wohnbauvereinigungen und Mieter*innenschutzbestimmungen wür­den den Markt verzerren. Die Autoren der Agenda Austria schlagen vor, ein Ver­gleichsmietensystem als Übergang zu einem freien Wohnungsmarkt zu etablie­ren. Dies soll Vermieter*innen, deren Wohnungen dem Kategorie- oder dem Richtwertsystem unterworfen sind ermög­lichen bestehende niedrige Mieten an die Durchschnittsmieten anzupassen. Ebenso sollen dadurch Mieterhöhungen in beste­henden Verträgen leichter ermöglicht werden.

Anstatt einer Ausrichtung der Woh­nungspolitik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung können Philipp Geymül­ler und Michael Christl als Lobbyisten der Vermieter*innen betrachtet werden. Dies zeigt sich darin, dass ihre Forderungen sich mit jenen der Vermieter*innen decken. So fordert der Verband der insti­tutionalisierten Immobilieninvestoren (VII), welcher sich als Unterstützer der Wohnungsbesitzer* innen sieht, dass die Wiener Politik aufhören solle die Entwick­lung eines freien Wohnungsmarktes zu behindern. Ausreichende Renditen für Wohnungsinvestor*innen dürften nicht durch Mietgesetze verhindert werden. Die Politik müsse sich klar gegen Mietzinsbe­grenzungen, Leerstandsabgaben und gegen eine Einschränkung befristeter Mietverhältnisse positionieren, wie es in Presseunterlagen des Verbandes heißt. So wie auch von den Lobbyisten der Agenda Austria vorgeschlagen, sollen auch laut dem Verband Altmietverträge schrittweise an das Marktniveau angepasst werden. Ihre politischen Bündnispartnerinnen sieht die VII wenig überraschend in den neoliberalen Parteien ÖVP und NEOS.

Widerstand von Unten: Sozialisierung, Vergesellschaftung, Commons?

Was wären Lösungsansätze von links? Kapitalist*innen als gesellschaftlicher Klasse sollte die Möglichkeit entzogen werden, den Arbeiter*innen und Angestell­ten einen Teil des von ihnen erwirtschafte­ten Mehrwerts durch Mieten zu entziehen. Dadurch würden nicht nur finanzielle Frei­räume und ein Machtzuwachs für die Lohnabhängigen entstehen, weil sie ihre Abhängigkeit gegenüber den Unterneh­mer*innen reduzieren würden. Außerdem würde eine Sozialisierung des Immobilien­ sektors dem kapitalistischen Verwertungs­prozess eine Akkumulationsmöglichkeit entziehen, wodurch dieser nach David Harvey in verstärktem Ausmaß in Krisen geraten würde.

Niedrige Mieten sind nicht per se ein Schritt in Richtung einer egalitären Gesell­schaft, sondern können auch einen stabili­sierenden Effekt für eine kapitalistische Ökonomie haben, wie an Hand des histori­schen Beispiels des »Roten Wiens« sicht­bar wird. Daher müssen für eine Überwin­dung des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems sowohl der Wohn­raum als auch die Produktionsmittel ver­gesellschaftet werden.

Darüber wie Wohnraum sozialisiert wer­den könnte, gibt es in Wien keine im gesamtgesellschaftlichen Maße relevante Diskussion. Genossenschaften und gemein­nützige Wohngesellschaften haben den Nachteil, dass sie die ökonomisch Ärmsten in der Gesellschaft aufgrund fehlender Eigenmittelanteile praktisch ausschließen. Der Recht-auf-Stadt-Aktivist

Raphael Kiczka schlägt in einem Sam­melband der IG Kultur Wien zum Thema »Leerstand in Wien« vor, leerstehende Räumlichkeiten zu Commons/Gemeingü­ter zu machen. Dabei sollen diese nicht vom Staat, sondern von den Commoners, also den Nutzer*innen der Gemeingüter selbst verwaltet werden. Ein Vorteil dieses Ansatzes stellt die Möglichkeit dar, dass es sich dabei sowohl um Räume für das Woh­nen, als auch für das Wirtschaften und andere soziale Aktivitäten handeln könnte. Bleibt die Fokussierung auf leerstehende Gebäude beschränkt, handelt es sich dabei aber um eine Anomalie kapitalistischer Wohnungsmärkte und nicht um die Norm. Da leerstehender (Wohn)Raum zeigt, dass im Kapitalismus nicht die Bedürfnisbefrie­digung im Mittelpunkt steht, sondern Pro­fitmaximierung ist die Sozialisierung von Leerständen aber sicherlich ein praktika­bler Ansatzpunkt marktwirtschaftliche Logiken in Frage zu stellen.

»Rotes Wien«: Keine Rendite mit der Miete

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, wie schon im Roten Wien betrieben, kom­munalen Wohnbau im umfangreichen Aus­maß mit Steuergeldern zu finanzieren, für welche vor allem die wohlhabenderen Teile der Bevölkerung herangezogen wer­den. Dazu müssten linke Kräfte erst einmal die Mehrheit im Wiener Gemeinderat stel­len, oder die Stadtregierung durch außer­parlamentarische Interventionen massiv unter Druck setzen können.

Höchstmietzinse auf niedrigem Niveau würden die Verwertungsmöglichkeiten der privaten Vermieter*innen reduzieren, wodurch die Immobilienpreise fallen wür­den. Daraufhin könnte die Stadt Wien die entwerteten Wohnungen und Häuser ver­hältnismäßig günstig erwerben und so den Anteil des vergesellschafteten Wohnraums erhöhen. Die direkteste und konfronta­tivste Möglichkeit der Sozialisierung des Wohnungswesens würde schließlich die entschädigungslose Enteignung der priva­ten Eigentümer*innen darstellen.

Wie Raphael Kiczka und Sarah Kumnig in einer Schwerpunktbeilage des Augus­tins im April 2017 schreiben, gibt es aber nicht eine einzige, richtige Herangehens­weise an das Thema. Stattdessen sollten Vertreter*innen unterschiedlicher Ansätze sich nicht gegenseitig behindern bzw. gegeneinander ausspielen lassen, sondern sich ergänzen und einander bestärken.

Georg Šembera interessiert sich im politischen Kontext insbesondere für die Geschichte der Lin­ken, Entwicklungen des Städtischen, Linke Organi­sierungen und gesellschaftliche Utopien. Seine Diplomarbeit, mit dem Titel »Immobilienentwick­lung in Wien mit David Harvey lesen«, steht unter tinyurl.com/wiener-immobilienentwicklung zum Download bereit.

Gelesen 5830 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 25 Juli 2019 11:19
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu posten

Kontakt

Volksstimme

Drechslergasse 42, 1140 Wien

redaktion@volksstimme.at

Abo-Service: abo@volksstimme.at

Impressum

Medieninhaber und Herausgeber:

Verein zur Förderung der Gesellschaftskritik
ZVR-Zahl: 490852425
Drechslergasse 42
1140 Wien

ISSN Nummer: 2707-1367