ZWISCHEN DER MUSIK: Live-Ansagen als Pop-Politik

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Politisches in der Musik taucht oft auch neben ihr auf: in Form von Live-Ansagen von Bands und Acts. Hip Hop, Grunge, Electro-Clowning – Gedanken zu Worten und Gesten aus dreißig Jah­ren Live-Shows.

VON DREHLI ROBNIK

In der Frage, was Musik politisch macht – und was sie alles macht, wenn sie poli­tisch ist –, ist ein Blick bzw. Hinhören auf Live-Ansagen aufschlussreich. Die Live-Ansage ist, wie ihr Name sagt, eine Ansage; das hat sie gemeinsam mit dem Beziehen von Stellungen und mit der öffentlichen Artikulation, die für Politik zentral sind. Und: Die Ansage erfolgt in einem Dazwi­schen – zwischen Songs oder Tracks – bzw. ›daneben‹: neben der Musik. Die Live-Ansage ist nicht selbst Musik. Und das hat sie gemeinsam mit Popmusik (im weiten Sinn, samt Rock & Rap): Die läuft immer wesentlich auch neben der Musik ab. Das lehrt uns etwa Poptheoretiker Diedrich Die­derichsen, sowie schon das Leben mit Pop­musik und deren theoretischen Skills – also mit der Fähigkeit von Popmusik, aus der Einsicht heraus pointiert zu denken. Und das wiederum ist zwar nicht gleich Politik, aber ein Einstieg in sie; zumal wenn Politik etwas anderes sein will als Kapitalfluss ­management, Erlöserkanzlermarketing oder Fremdenbekämpfung.

Als Ansage, die neben der Musik erfolgt, teilt die Live-Ansage mit der Popmusik auch dies: Sie will nicht wesentlich sein (wie sakrale oder ›ernste‹ Musik), sondern ist eines der vielen Nebenbeis, auf die moder­nes Leben fokussiert. Und sie ist im Neben­bei doch eine Setzung als prägnante Ver­dichtung, wie klassischer Weise der Drei-Minuten-Song im Radio und überall, eben nebenbei. Das Nebenbei wird zentral. Des­halb muss Gesellschaftskritik, wenn sie ›Grundlegendes‹ erfassen will, Aufmerk­samkeit auf das Unbeachtete, das immer um uns ist, richten. Etwa im ›Lesen‹ von Äußerungen als ›Symptome‹, wie es Psychoanalyse und Ideologiekritik tun. Da sind wir, wieder, nicht mit­ten in, aber nahe an der Politik.

Live-Ansagen im Nebenbei der Popmusik gibt’s viele. Manche wurden Klassiker, oft durch kano­nische Live-Aufzeichnungen: »Gimme an F – U – C– K!« von Country Joe & The Fish, Woodstock 1969 (fast schon ein Chant); »This next one is the first song on our new album!« von Cheap Trick live at Budokan, Tokio 1979 – geläufig als Nonsens-Intro zum Beastie Boys-Album Check Your Head, 1992. Im folgenden ordne ich Gedanken zu Live-Ansagen, die Politik-affin sind, chronologisch über drei Jahrzehnte. Meine subjektive Auswahl kreist ums Motiv des Double Take, des Zweimal-Hin­schauens oder -Hinhörens, weil das erste Mal erstmal stutzig macht.

Ein deutscher Gruß

Die erste Ansage ist ein Anfang: Band begrüßt Publikum – Laibach live beim Big Beat-Festival, 4. Juni 1988, im Wiener Messepalast (heute ist dort das Muse­umsquartier). Aus dem Kunst-Kollektiv-Umfeld der slowenischen Industrial-Band heraus absolvierte Ende der 1980er auch Slavoj Žižek erste Wien-Auftritte (Lai­bach allerdings debütierten in Wien – in der Arena – schon 1983, ihre erste Show außerhalb Jugoslawiens). Jedenfalls war 1988 in Wien geläufig, dass Laibach Stile totalitärer Politik, vor allem Nazi-Propa­ganda, auf unironische Weise nachstell­ten und so Parallelen zur Popmusik her­vorhoben: Massenanbetung von Idolen, Allheits-Parolen, Befehlston, Lebens­born-Vitalismus; so etwa in Laibachs damals aktueller Eindeutschung von »Live is Life« von Opus als »Leben heißt Leben«. Und so kam also die nach dem kolonial-österreichisch eingedeutschten Ljubljana benannte Band auf die Bühne, in faschistisch anmutender Uniformie­rung, in Military bzw. Trachtenjanker, mit Frisuren, die heute Undercut heißen, damals »Hitler jugend« riefen. Sänger Milan Fras begrüßte ein Festival-Wien so akzentuiert wie Akzent-gefärbt, mit der kehlig-tief in den Saal geherrschten Ansage: »Eestarraicha, ihr said Daitsche!«

Was war damit gesagt? Wurden da – kurz nach Kontroversen zum 1938-Gedenkjahr und zum Historikerkommis­sionsbericht über die SA- und Wehr­machtslaufbahn des amtierenden Bun­despräsidenten Kurt Waldheim – »Öster­reicher«*innen zu »Deutschen« erklärt? Im double take, auf den zweiten Blick, zeigte sich: Da agierte eine slowenische Band als Verkörperung eines aufschluss­reichen Symptoms österreichischer Natio­nalidentitäts- und Geschichtspolitik. Also von etwas, das hervortritt und nicht so leicht weggeht, hier: das mit Waldheim 1986 als obszön hervorgetretene Fortwir­ken des Nazismus in einem selbstverniedli­chend zum Opfer stilisierten Land. Dort, wo ›man‹ Schuldeinsicht zur Nazi-Vergangen­heit gern den ›Deutschen‹ (damals noch in Ost und West) überließ, mitten in Wien also wurde den stellvertretend beim Konzert versammelten »Eestarraichan« ein Bekenntnis zum Deutsch-Sein aufgenötigt; eine Ansage wie ein Dekret, wie eine ›Volksgruppen‹-Zwangszuordnung. Und zwar seitens Stellvertretern einer Popula­tion, die – auch vor und nach Jörg Haider – als Minderheit im Süden Österreichs von Mehrheits-»Daitschen« stigmatisiert und zum Schweigen gebracht wurde.

Hip Hop Capital Accumulation

Eine Ansage, die Projektionen von ›ethni­sierten Anderen‹ zutage brachte, enthielt auch die Wien-Show von Public Enemy am 17. Juni 1992. Die White Supremacy- kritische, in appellativen und analytischen Texten wie auch im Sampling wegweisende Hip Hop-Truppe bespielte ein Konzert-Zelt am Stadtrand, das alle paar Monate nach einer anderen Sponsoren-Bank benannt war; damals Bank Austria. Zwischen den Tracks forderten Chuck D. und Flavor Flav – flankiert von ihrer Black Panther-Garde, auch sie martialisch uniformiert – ihr Publikum zum Winken auf und umwarben es mit Ansagen wie »Vienna is the Hip Hop capital of the world!«. Das war fakten ­widrig – und eine Frechheit, denn: Wir bra­ven Konzertkartenkund*innen erwarteten von Public Enemy scharfe Attacken auf Machtformationen von Whiteness, zumal kurz nach den L.A. Riots infolge des Rodney King-Unrechtsurteils – und in einer eth­nisch so hierarchisierten Gesellschaft wie der in Österreich (damals und heute). Und nun diese Anbiederung! Anderseits war das die ultimative Chuzpe gegenüber relativ wohlhabenden mitteleuropäischen Whi­teys: ihnen die Black Ghetto Riot-Show zu verweigern, ihre Authentik-Sehnsüchte zu frustrieren. Und so brüskierten Public Enemy bei der Geldbeschaffung für die gute Sache – eben: Bank Austria – ihre Klientel gerade mit Anbiederung: Ansagen von Ver­weigerung auf den zweiten Blick.

Zwei weitere Ansagen – beide Male gesti­sches Clowning. Bei der ersten war ich lei­der nicht live dabei. Sie stammt von Kurt Cobain bei einer späten Nirvana-Show; ich habe sie im April 2004 in einer TV-Doku zu Cobains 10. Todestag gesehen, nicht mehr vergessen und unlängst online wie­dergefunden. Die Ansage ist eine Absage: Beim MTV Live & Loud-Konzert in Seattle am 13. Dezember 1993 äfft Cobain im Abgehen von der Bühne sekundenlang sein applaudierendes Publikum nach, mit affenhaftem Klatschen, stierem Blick, ver­zerrtem Mund. Eine Geste der Verar­schung und Verachtung? Oder eine Symp­tomhandlung, in der sich Widersprüche einer historischen Konstellation verdich­ten? Nämlich der Stern- und Sterbestunde des Konzepts und der Popmusik-Form Underground: Eine Erfolgsverweigerungs-Form – Grunge, bei Nirvana in einer anti­maskulinistischen Freak-Pop-Version – verglüht im Erfolg, in rasanter Überfüh­rung in globale Verwertungs zyklen. Das ist bei Cobain verdichtet zum Ausdruck der Unaushaltbarkeit einer Einsicht in die Beziehung von Musikdienstleister und Publikum. Mit einem rettenden Touch von Harpo Marx.

Cobains Pose ist ein Endpunkt. Eine Pose von Peaches hingegen, bei ihrer Show im Kleine Zaal des Paradiso, Ams­terdam am 11. April 2002, markiert einen Beginn. Auch ihre Ansage ist Gestik-Komik. Peaches sang damals zu trocke­nem Electroclash Refrains wie »Fuck the Pain Away« oder »I’m Only Double A, but I’m Thinking Triple X«. Sie praktizierte auch etwas, das im Schatten ihrer (später erweiterten) Register von Sexualpädago­gik und kostümiertem Queerfeminismus blühte: ein Auftreten als unsanfte Come­dienne. Und da flashte mich ihr zwischen zwei Songs nebenbei angespielter Double Take mit Mikrofon in der einen Hand, Bierflasche in der anderen: versehentlich aus dem Mikro trinken und in die Bottle singen wollen. Ein Klassiker des gespiel­ten Witzes in der Tradition von Stan Lau­rel, Jerry Lewis oder Paul Löwinger – und bei Peaches 2002 ein Moment von Aufbre­chen einer Männerdomäne: der Comedy-Pose himmlisch-närrischer Zerstreutheit. Die wird heute etwa in Live-Ansagen von Ankathie Koi oder Andrea »Dreli« Maut­ner von pop:sch kultiviert.

Unter Bobos, nicht grantig

Zuletzt zweimal die Open Air-»Seebühne« am Wiener Karlsplatz, zwei Ansagen zur Befindlichkeit in der Show-Situation. Am 30. April 2016 spielte Monobrother beim Rap Against-Festival. Zwischen Kurt Sowi­netz-Samples und Tracks aus seinem Unguru-Album sagte der Wien- bzw. Most­viertel (»Mostblock«)-Bewohner und süffi­sante Links-Hip Hop-Sozialdiagnostiker (der neuerdings mit do!-Demo-Basecap auf­tritt): »I find’s eh voll oasch, da in die Bobo-Blas’n einipredigen, aber was willst’ machen?« Monobrother sagte es zu seinem Publikum, vielmehr: über sein Publikum bzw. sein Daneben-Verhältnis zu diesem. Das ist auch ein Klassenverhältnis und eine Frage von homogenisierten Gruppen: etwa die Bobo-Blas’n. Das sollte eine Standardvo­kabel im Soziologiestudium werden – und das Einipredigen zur Fortsetzung von drop­pin’ science.

Am 27. Juli 2018 spielte das Wiener Riot-Grunge-Powertrio Aivery als Headliner am zweiten »Seebühne«-Abend des Popfests Wien. Sängerin/Bassistin Franziska Schwarz eröffnete die dröhnende Show mit der Ansage: »Wir sind Aivery. Wir sind nicht grantig; wir freuen uns, hier zu spielen!« War das etwa der Rückzug einer Riotgirl-Haltung in brave Dankbarkeit? Auch hier ist Double Take angebracht: Schwarz’ Ansage bezog sich darauf, wie zuvor Pop­fest-Co-Kurator Nino Mandl die vor Aivery spielende Band Kreisky angekündigt hatte, nämlich als grantig – wie es bei Kreisky (und schlechteren Bands) zum Routine-Habitus gehört. Aiverys anscheinend anbie­dernde Ansage war in Wahrheit eine kom­plexe Wendung: Eine verbreitete dogma­tisch übellaunige Buben-Attitüde, die leicht zum Arroganzkörperpanzer gerät, wurde abgeräumt in einem Sprechakt hochver­dichteter Pointiertheit: Wir – hier – nicht grantig. Selbstbehauptung als Setzung auf der Seebühne. Aivery gibt es nicht mehr. Aber ihre Ansage gibt mir was mit.

Drehli Robnik ist Theoretiker in Sachen Film & Poli­tik und Autor einiger Bücher, zuletzt zu Jacques Rancière und zu »Kontrollhorrorkino«, demnächst zu Siegfried Kracauers DemoKRACy.

https://independent.academia.edu/DrehliRobnik

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Gelesen 7081 mal Letzte Änderung am Freitag, 26 Juli 2019 15:28
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