Van der Bellen – dem ich so wie sehr viele Nicht-Grüne meine Stimme gegeben habe – hat kurz vor der Stichwahl die Richtungen, die zur Wahl standen, zusammengefasst. Er stehe für »Europafreundlichkeit«, musste ich mir im ORF anhören, Hofer dagegen sei »rückwärtsgewandt«. Auch wenn diese Kurzfassung dem Wahlkampfmodus geschuldet war, nehme ich sie als Symptom einer in der liberalen Mitte verbreiteten politischen Haltung – und die ist einfach ein Jammer. Dass »Europafreundlichkeit« in großen Teilen der Bevölkerung assoziiert wird mit sozialer Kälte und Freundlichkeit gegenüber Banken, Konzernen und Geldsäcken, dieser einfachen Tatsache gegenüber verschließt sich diese Art von Modernität, nicht bereit zur Artikulation zumindest des kritischen Gedankens, dass ein anderes, soziales Europa nötig ist, wenn es sich integrieren soll. Und überlässt es Hofer & Strache, »die da unten« gegen »die da oben« einzusammeln und die Hälfte des Wahlvolks mit der extremen und deutschnationalen Rechten zusammenzubringen. »Rückwärtsgewandt«? Ja. So wie große Teile der lohnabhängigen Bevölkerung, die sich zurücksehnen in den Sozialstaat, der heute unter ihren Füßen zerbröckelt; diese Erfahrung, dieses Erleben zu ignorieren heißt, es dem Bodyguard der Superreichen zu erleichtern, sich in die Pose des Hüters des Sozialstaats zu werfen, der von Flüchtlingen und von allen anderen bedroht wird, nur nicht von jenen, die von Kürzungspolitik, Flexibilisierung und Privatisierung profitieren. Hofer als Deutschnationaler ist ideologisch rückwärtsgewandt; seine politische Strategie ist allerdings die des Vorwärtsschreitens zu einem an Deutschland angehängten österreichischen Staat in einem zerbröselten Europa der »Völker«, vertreten durch FührerInnen, die am besten durch das Volk direkt legitimiert werden.
Endstation FPÖ
Man kann es drehen und wenden wie man will, es bleibt dabei: Auch wenn es Norbert Hofer nicht gelungen ist, die Stichwahl für das Bundespräsidentenamt zu gewinnen – Österreich ist am Sprung, zum ersten westeuropäischen Land mit einer rechtspopulistisch dominierten Regierung zu werden.
Schon vor der Bundespräsidentschaftswahl ist die Zweite Republik an einem kritischen Punkt angelangt. Die neoliberale Erzählung – das heißt, der als »Reform« bezeichnete Sozialabbau, die Übernahme der auf EU-Ebene beschlossenen Sparpolitik in die nationale Gesetzgebung, Privatisierungen bis hin zur Altersversorgung etc. – hat ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Eine steigende Zahl arbeitsloser und verarmter Menschen, und mehr noch: Die Angst vieler Menschen, die sich dem Mittelstand zurechnen, vor sozialem Absturz bilden den sozialen Hintergrund der politischen Krise, die tiefer reicht, als selbst die jüngsten wahlpolitischen Umbrüche vermuten lassen.
Die liberale propagandistische Endlosschleife von der Alternativlosigkeit und die Marginalisierung rationaler, feministischer und kapitalismuskritischer Stimmen aus dem politischen und kulturellen Leben, die liberale Arroganz der »Eliten« haben den Frust in die Kanäle der FPÖ geleitet, die sich anschickt, zur bestimmenden Kraft im Lande zu werden. Letztlich verantwortlich dafür sind eine an den Kapitalinteressen ausgerichtete Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Bildungspolitik. Solange das neoliberale Paradigma nicht in Frage gestellt ist, kann keine Personalrochade an der Spitze der SPÖ etwas ändern, egal, wie kernig sie abläuft. Zu einflussreich ist auch der in Zeiten der antikommunistischen Staatsräson aufgepäppelte rechte Flügel dieser Partei, der jetzt deftig zu sich kommt. Mit dem neuen SPÖ-Parteichef ist die Krise der SPÖ in keiner Weise aufgehoben, wohl auch nicht einmal aufgeschoben; der Verfall der Sozialdemokratie und des politischen Zentrums einerseits sowie der Aufstieg der radikalen Rechten andererseits sind ein EU-weiter Prozess, der zur politischen Krise der Staaten die Krise der europäischen Integration hinzufügt, und Österreich ist, wie es sich in den letzten Wochen unübersehbar herausgestellt hat, diesbezüglich keine Ausnahme.
Dies alles ist keine vorübergehende politische Episode, sondern kündigt eine nachhaltige Umgruppierung unter den herrschenden Kräften an, eine neue ideologische Hegemonie und Änderungen in den Formen der staatlichen Machtausübung in den Staaten und in der EU.
In dieser Situation stehen nicht mehr nur soziale und wirtschaftliche Rechte auf dem Spiel. Die FPÖ zielt darauf, die Macht und die Möglichkeit zu erhalten, den Staat in ihrem reaktionären Sinn umzubauen. Sie kommt, um zu bleiben, und in der gesellschaftlichen Mitte, in der sie schon angekommen ist, Wurzeln zu schlagen. SPÖ und ÖVP haben sich aufgrund ihrer Einbindung in das neoliberale kapitalistische Reglement als unfähig erwiesen, diesen Prozess zu stoppen. Und sie sind am Ende ihres Willens und ihrer Kraft angelangt, sich der FPÖ zu widersetzen (auf kommunaler und regionaler Ebene wird ja das Kooperieren schon längere Zeit eifrig trainiert); sie hecheln beide der FPÖ in Fragen der Migration und des Asyls hinterher, verwandeln deren rassistische Vorgaben in Gesetze und sind beide bereit, mit der FPÖ zu koalieren.
Aufbruch nach links
Die österreichische Linke, die KommunistInnen, die Feministinnen, die GewerkschafterInnen und die Aktiven in vielfältigen sozialen Bewegungen können in dieser Situation nicht einfach weiterwurschteln; will die Linke sich selbst ernst nehmen, dann muss sie ein Faktor im Umbruch der österreichischen Parteienlandschaft werden; das heißt nicht nur, sich gemeinsam auf die bevorstehende NRW vorbereiten, die schneller herannahen kann als erwartet, sondern auch, sich darüber zu verständigen, wie eine soziale und politische Linke – zu der auch die christliche gehört – sich so formieren kann, dass sie die Kräfteverhältnisse im Land verändert, indem sie gegen die extreme und populistische Rechte sowie links von der liberalen, sozialdemokratischen und grünen Mitte einen dritten Pol bildet.
Ein Schritt in diese Richtung kann auch die unter dem Titel »Aufbruch« laufende Sammlung werden, die zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes unmittelbar bevorsteht. Vielleicht gelingt es ja, die geplante Sozialkampagne sowohl zu fokussieren als auch sie mit einer möglichst breit angelegten wahlstrategischen Orientierung zu verbinden. Das wäre ein klares Signal, dass es viele sind, die den Zeitpunkt des Umbruchs in der österreichischen politischen Landschaft in seiner strategischen Dimension begreifen und nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen wollen.