14 Juni

STEUERREFORM : Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

von

Das »Leuchtturmprojekt« Steuerreform der mittler­weile geschiedenen türkis-blauen Regierung liegt vor­erst auf Eis.

MICHAEL GRABER wirft für die Volks­stimme dennoch einen Blick auf das Vorhaben. Denn die unsoziale Umverteilung von unten nach oben kann im Herbst schnell wieder an Fahrt aufnehmen.

Nach der Wiedereinführung des 12-Stundentages und der 60-Stundenwo­che nach über hundert Jahren, Abschaffung der Mindestsicherung zugunsten der »Sozi­alhilfe neu« und der Aushebelung des Ein­flusses der InteressenvertreterInnen der Versicherten in der Sozialversicherung präsentierte die mittlerweile geschiedene Regierung das »Leuchtturmprojekt« Steu­erreform. Der propagandistische Wirbel der dabei erzeugt wurde (»größte Entlas­tung der Geschichte«), resultierte zwar aus der »message control«, die die Regierung bestens beherrschte, hält aber einer kriti­schen Prüfung der Fakten insbesondere für die Klein- und Mittelverdiener nicht stand. Oberstes Anliegen der Regierung sei es, die niederen und mittleren Einkommen deut­lich und zeitlich vor allen anderen zu ent­lasten. Dafür stünden 4,9 Milliarden Euro zur Verfügung, die in zwei Etappen – 2021 und 2022 – durch Herabsetzung der ersten drei Grenzsteuersätze ausgeschüttet bzw. eben nicht eingehoben werden sollen. 2021 wird der Eingangssteuersatz, der ab 11.000 Euro Jahreseinkommen greift, von 25 auf 20 Prozent herabgesetzt. In der nächsten Etappe sinken die Steuersätze von Einkommen ab 18.000 Euro Jahreseinkom­men von 35 auf 30 Prozent und von Jahres­einkommen ab 31.000 Euro von 42 auf 40 Prozent. Davon profitieren natürlich auch höhere Einkommen, trotzdem die Spitzen­steuersätze von 50 Prozent (ab 60.000 € Jah­reseinkommen) und 55 Prozent (für Ein­kommen ab einer Million Euro) unverän­dert bleiben. Damit ist schon ein wesentli­ches Merkmal der Steuerreform angespro­chen. Kleine Einkommen profitieren mini­mal, hohe Einkommen jedenfalls ein Vielfa­ches davon. Selbst die von der Regierung den Medien zur Verfügung gestellten Zah­len zeigen: Bruttoeinkommen zwischen 1.500 und 2.500 Euro werden mit 528 bis 722 Euro (pro Jahr) entlastet; Bruttoein­kommen von 5.000 bis 6.000 Euro und darü­ber aber mit 1.427 bis 1.661 Euro, also mit mehr als dem Doppelten. Wo Tauben sind fliegen Tauben zu, oder wer hat, dem wird gegeben. Diese Verteilungswirkung unter­scheidet sich allerdings nicht wesentlich von der Steuerreform 2016 unter Rot-Schwarz.

Brösel für kleine Einkommen

Nachdem EinkommenbezieherInnen, deren Gehälter oder Pensionen so niedrig sind, dass sie keine Lohnsteuer bezahlen, von einer Lohn- und Einkommenssteuerentlas­tung überhaupt nicht profitieren, kündigte die Regierung an, ab 2020 die Krankenver­sicherungsbeiträge für diese Menschen im Ausmaß von 900 Millionen Euro zu reduzie­ren. Das macht bei einem Einkommen von der Geringfügigkeitsgrenze von 450 bis zu 2.201 Euro monatlich zwischen 100 und 350 Euro jährlich aus. Im Durchschnitt laut Finanzminister etwa 280 Euro für Arbei­tende, 170 Euro für PensionistInnen im Jahr. Das betrifft 1,8 Millionen Arbeitneh­merInnen, 1,8 Millionen PensionistInnen, 500.000 Kleingewerbetreibende und Bau­ern. Für diese 4,1 Millionen stehen damit laut Regierung 900 Millionen Euro zur Ver­fügung. Ein überproportional großer Rest der von der Regierung bezifferten Entlas­tung über die Lohn- und Einkommensteuer von 3,9 Mrd. Euro kommt so den paar Hun­derttausend Wohlhabendsten zugute.

Die Staffelung der jährlichen Entlastungs­beträge sieht also folgendermaßen aus: 100 bis 350 Euro für die niedrigsten, 528 bis 722 Euro für die mittleren und 1.427 bis 1.661 Euro für die höchsten Einkommen. Die Spreizung der Verteilungseffekte beträgt demnach fast eins zu zehn und darüber. Die Brösel für die Kleinen, die Tau­ben für die Großen. Eine echte Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen sei über die bloße Senkung der Steuerstufen eben nicht möglich, sagt Friedrich Schnei­der, Wirtschaftsprofessor an der Uni Linz, in der Kleinen Zeitung (07.04.2019), denn: »Unser progressiver Stufentarif ermöglicht zwar eine Entlastung der großen Einkom­men, ohne dass die kleinen davon profitie­ren, nicht aber das Gegenteil.«

Die Regierung rechnet noch den bereits in Kraft getretenen Familiensteuerbonus zur Steuerreform dazu, was das Gewicht der Entlastung der besser Verdienenden noch beträchtlich erhöht. Zur Erinnerung: Den Bonus von 1.500 Euro pro Kind und Jahr (als Abzug von der Lohn- oder Einkom­mensteuer) erhält nur, wer derart hohe Einkünfte hat, dass das persönliche Lohn- bzw. Einkommensteuervolumen die Höhe des Bonus erreicht oder übersteigt.

Die Senkung der Krankenkassenbeiträge hat überdies einen Haken. Den Verlust der Krankenkassenkassen von 900 Millionen Euro will die Regierung aus dem Budget ersetzen. Abgesehen davon, dass sich dadurch das Gewicht der Regierung in der sowieso schon abgewerteten Selbstverwal­tung in den Kassen weiter erhöht, bleibt die Frage offen, ob und wie dieser Betrag in Zukunft valorisiert wird. Wir kennen das Problem z. B. aus dem Bereich des vom Bund gezahlten Pflegegeldes, das seit sei­ner Einführung 1993 wegen mangelnder Valorisierung mehr als ein Drittel seines Werts verloren hat. Die Krankenkassen müssten also jährlich mit dem Finanzmi­nister über den Ausgleich der entfallen­den Krankenkassenbeiträge verhandeln, sprich: betteln. Die bessere Lösung wäre die Aufhebung der Höchstbeitragsgrund­lage in der Krankenversicherung.

Gewinnsubvention für Konzerne

Das Lohnsteueraufkommen seit der letz­ten Steuerreform 2016 bis zum Wirksam­werden der Reform dieser Regierung im Jahr 2022 wird nach diversen Schätzun­gen über 8 Milliarden Euro zusätzlich betragen, wovon ein Teil durch den Beschäftigungszuwachs, ein Großteil aber durch die sogenannte »Kalte Progres­sion«, der Abschöpfung inflationsbeding­ter Einkommenszuwächse zu erklären ist. Davon fließen also entsprechend den Angaben der Regierung 4,9 Milliarden Euro durch die Entlastung wieder zurück. Und der Rest? Der wird nach oben umver­teilt. Allein die geplante Senkung der Kör­perschaftsteuer von 25 auf 21 Prozent soll den großen Konzernen etwa 1,3 Milliar­den Euro bringen. Das ist fast ein Viertel des Jahresgewinns 2018 der im österrei­chischen Leitindex ATX angeführten bör­sennotierten Konzerne (die auch heuer wieder ein Rekordergebnis erzielen wer­den) oder fast 50 Prozent der im Vorjahr ausgeschütteten Dividenden.

Nicht zu vergessen: die Körperschaft­steuer als Gewinnsteuer der Kapitalgesell­schaften ist eine »flat tax«, unterliegt also keinerlei Progression, weder der »Kalten Progression«, weil ein einheitlicher Tarif, noch einer Staffelung nach Höhe des Gewinns. Die Ungleichheit und Ungerech­tigkeit des gesamten Steuersystems bleibt also auch nach dieser Reform prolongiert. Eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Mieten und Heiz­kosten, welche tatsächlich eine nachhal­tige Entlastung der großen Masse der kleinen und mittleren Einkommen bedeu­ten würde, ist bisher keiner Regierung, die gegenwärtige natürlich eingeschlos­sen, einer Überlegung, geschweige denn einer Maßnahme wert gewesen.

Sparen im Sozialsystem für den Budgetüberschuss

Die »Kalte Progression« wird entge­gen dem Wahlversprechen der Regie­rungsparteien nicht abgeschafft, son­dern – wenn überhaupt beschlossen – dann auf die nächste Legislaturperi­ode verschoben. Der Schnösel im Bundeskanzleramt hat nämlich ent­deckt, dass diese Maßnahme ein För­derungsprogramm für die Besserge­stellten sei. Dem lässt sich finanz­technisch natürlich begegnen. Aber die gescheiterte Regierung gab damit immerhin zu, dass sie das Körberlgeld aus der »Kalten Progression« braucht, um die Steuerreform zu finanzieren. Dieses und die Erhöhung einiger Verbrauchssteuern reichen dafür aber nicht aus, weswegen bereits neue Sparmaßnahmen im Budget angekündigt wurden. Alle Ministerien müssten ein Prozent ihres Budgets einsparen. Nachdem das Bundesbudget, nach Abzug der Zinszahlungen, fast 75 Milliarden Euro ausmacht, geht es in dieser Rechnung demnach um an die 750 Millionen Euro. Der größte Brocken ist dabei natürlich das Sozialbudget, weshalb ein Einsparungsposten schon definiert ist: der Zugang zur Invalidi­täts- und Berufsunfähigkeitspension soll drastisch erschwert werden. So werden die Betroffenen per Dekret gesünder. Der Rest ist die Hoffnung auf ein Anhalten der Konjunktur – und auf einen anderen Wahlausgang.

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