100 JAHRE: Kommunismus im 21. Jhdt?

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100 JAHRE: Kommunismus im 21. Jhdt?

Redaktionell gekürzte Fassung einer Rede von MICHAEL SCHMIDA bei der Festveranstaltung »100 Jahre KPÖ Oberösterreich« am 16.2.2019 in Linz.

Die hier vorgenommene Positionsbestimmung einer progressiven Linken verbindet ein theore­tisch fundiertes Denken mit einer reflektierenden, emanzipatorischen Praxis. Der lange Atem, den die KPÖ in den letzten 100 Jahren bewiesen hat, reicht auch längst ins Neue. Das Erscheinungsbild der Partei ist vielfältig und das Streben nach Befreiung und Solidarität gilt für alle.

Wenn wir uns heute, gut 100 Jahre nach der Gründung der KPÖ, fragen »Was bleibt für die Zukunft?«, dann müssen wir uns zuerst selbstkritisch vielen Tatsachen aus der Vergangenheit, die mit dem Kom­munismus in Verbindung gebracht werden, stellen. Es gilt der bekannte Satz von Max Horkheimer über den Zusammenhang von Faschismus und Kapitalismus auch abge­wandelt hier: »Wer heute vom Kommunis­mus redet, darf von Realsozialismus und Stalinismus nicht schweigen.«

s15Die Anerkennung der negativen Entwick­lungen, der inakzeptablen Verbrechen im Namen des Kommunismus ist aber nur der erste Schritt. Der marxistische Philosoph Ernst Bloch hat das zwar auf das Verhältnis »Marxismus und Realsozialismus/Stalinis­mus« bezogen, nämlich ob sich »der Mar­xismus im Stalinismus zur Kenntlichkeit oder bis zur Unkenntlichkeit verändert« hat, aber allgemeiner kann auch gefragt werden, ob sich der Kommunismus, wenn er in der Vergangenheit Wirklichkeit wurde, zur Kenntlichkeit oder zur Unkenntlichkeit verändert hat. Gläubige des Antikommunismus und des Sowjetkommunismus würden diese Frage gleichsam mit erster Beschreibung beant­worten. Für uns, wo wir uns weder unver­antwortlich aus der Geschichte stehlen wol­len, noch etwas beschönigen, gibt es eigent­lich nur die Möglichkeit, darauf mit der Feststellung der Unkenntlichkeit zu ant­worten. Damit müssen wir uns aber immer auch die Frage gefallen lassen, was habt ihr denn, ihr Kommunist*innen, für eine Garantie, dass nicht wieder in Zukunft diese Idee bis zur Unkenntlichkeit verzerrt Realität wird?

K und Partei

Es wird also viel Fingerspitzengefühl von uns abverlangt, wie wir mit dem Erbe umgehen. Wo ist es angebracht, Verweise zu setzen, positiv sich auf Vergangenes zu beziehen, und wo ist es eher für viele kon­traproduktiv, ruft die falschen Assoziatio­nen hervor und stellt uns auf die Seite des Alten, wo wir doch Neues und Anderes wol­len. Von einem der wichtigsten Marxisten und Kommunisten des 20. Jahrhunderts, von Antonio Gramsci, stammt der Satz »Eine Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann.« In einem solchen Stadium der Zei­tenwende befinden wir uns gerade. Wir sehen vor uns eine große Gesellschaftskrise im umfassenden und mehrfachen Sinn. Aber auch kaum zu übersehen ist eine Krise der dieser Gesellschaft kritisch bis ableh­nend gegenüberstehenden Linken.

Wir haben viel dazugelernt, wir sind weit weg von dem, was Kommunistische Partei im 20. Jahrhundert und was damals Kom­munismus-Verständnis war. Das ist gut so! Wir haben gebrochen mit stalinistischen, autoritären Politikmodellen, die die Partei­verhältnisse, die Beziehungen der Genos­sinnen und Genossen zueinander im Inne­ren, aber auch die Anschauungen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, zu denen sich die KPÖ in der ein oder anderen Weise in Stellung gebracht hatte, prägten.

Das Gespenst das K heißt

Ich hänge nicht am Namen mit dem K. Viel wichtiger wären mir andere, bessere Lebensumstände für alle Menschen, z.B. hier in Österreich, wozu es eine starke linke politische Kraft dringend braucht. Wir haben mit dem alten, rohen K auf vielfäl­tige Weise gebrochen, haben unser K-Bild modernisiert, den aktuellen Gegebenheiten angepasst, aber trotzdem ist das alles andere als eindeutig. Das K ist und bleibt im höchsten Maße ambivalent, mehrdeutig und widersprüchlich und lässt sich (noch) nicht auf den von der KPÖ eingeschwenk­ten Weg eindeutig festlegen. Mächtig steht dem manche geschichtliche, aber auch gegenwärtige Interpretation entgegen.

Das eine ist das K im Parteinamen. Aber ist das K-Wort überhaupt noch zu retten? Auch nach den verheerenden Niederlagen ist das K jedenfalls noch immer da. Es bleibt Reiz- und Schimpfwort für die Mächtigen, Unwort in der veröffentlichten Meinung und ein umkämpfter Begriff auch in der Linken. Bei den Anti-Trump Protesten in London hat sich im britischen Fernsehen ein bekannter männlicher, älterer Journa­list über die Protestierenden empört. Sie würden ja nur gegen Trump protestieren, weil sie alle für Obama wären. Daraufhin hat ihm eine junge britische Social Media-Bloggerin und Aktivistin trotzig-scharf mit dem Satz geantwortet: »I‘m not a Fan of Obama or the democratic party because I‘m literally a communist you idiot!« Ich bin wirklich / buchstäblich eine Kommunistin! Damit war alles gesagt! Mehr Distanzierung vom liberaldemokratischen Establishment in einem Satz geht kaum! Der Clip mit die­sem unmissverständlichen kommunisti­schen Widerspruch wurde im Internet viral.

Aus den Trümmern des alten Kommunismus

Ich habe Garantien erwähnt, Garantien, die wir als Kommunist*innen abgeben müssen, wenn wir für diese Anschauung weiter wer­ben wollen. Dies betrifft aber übrigens auch die gesamte Linke, wenn sie eine andere Gesellschaft mit grundsätzlichen Verände­rungen anstreben will. Bei der Einordnung von Parteien oder Bewegungen im politi­schen Spektrum hat sich neben der klassi­schen Links-Rechts-Unterscheidung, die sich heutzutage in erster Linie auf ökono­mische Fragen bezieht, also pro- oder anti­kapitalistisch, noch eine zweite Achse etab­liert. Diese Achse bezieht sich auf die sozio­kulturelle, individuelle Ebene und wird mit den Polen »autoritär« oder »selbstbe­stimmt/libertär« beschrieben.

Auf diesen politischen Kompass verwei­sen auch die aktuellen Debatten, wenn eine Politik der Verteilung einer Politik der Identität bzw. Anerkennung gegenüberge­stellt wird. Von bestimmter Seite wird dann argumentiert, eine linke Politik der Zukunft braucht die Rückkehr zu mehr Klassenkampf und weniger Identitätspoli­tik. Aus Didier Eribons Biografie wie auch aus den mit eingeflochtenen Lebensge­schichten seiner Eltern im Buch »Rückkehr nach Reims« lässt sich aber schön ableiten, dass es zwingend beides braucht: Die Soft­ware der Identitätspolitik und die Hard­ware des Klassenkampfs. Und dass beide sich im Idealfall auch gegenseitig unter­stützen können.

Vernachlässigen wir das eine oder das andere, ist es entweder diskriminierend und ungerecht oder umgekehrt ungerecht und diskriminierend. Außerdem verlangt der aktuelle Rechtsrutsch mit dem Populis­mus, Antifeminismus und Nationalismus geradezu ein starkes Engagement für Frau­enrechte, sexuelle und andere Minderhei­ten. Im Konzept der Menschenrechte ist dieser umfassende Anspruch auf menschli­che Befreiung bzw. auf Selbstbestimmung gegen Unfreiheit in ein individuelles Schutzrecht gegossen, in dem soziale und demokratische Rechte angeführt werden. Bei aller auch berechtigten Kritik an die­sem Konzept, gerade aus aktuellem Anlass, aber auch aus der Geschichte und den Erfahrungen des Staatssozialismus, sollten Menschenrechte eine dieser Garantien sein, die für Kommunist*innen weder teilbar, noch verhandelbar sind.

Das Kommunistische im 21. Jahrhundert

Wir müssen auch festhalten: Es gab nie den Kommunismus im Singular, es gab immer nur DAS Kommunistische im Plural. Histo­risch sind sehr verschiedene Ansätze, Pro­jekte, Versuche und Utopien wie Theorien bekannt, die sich als kommunistisch bezeichneten oder als solche dargestellt wurden, wie der deutsche Philosoph Michael Brie sehr schön im gleichnamigen Buch zeigt. Sogar dort, wo der Kommunis­mus herrschte, gab es kommunistischen Widerstand, gingen Kommunist*innen in den Gulag, auch weil sie ihren Idealen treu geblieben sind.

Wo der sowjetische Staatsparteisozialis­mus sich umfassend durchsetzte, wurde das Kommunistische immer mehr unterdrückt und zurückgedrängt. Der autoritäre oder rohe Kommunismus muss unterscheiden werden vom freiheitlichen Kommunismus, der Assoziation, in der die freie Entwick­lung eines jeden/einer jeden, zu freien Ent­wicklung aller wird. Die Künstlerin und politische Autorin Bini Adamczak sieht das Unsterbliche des Kommunismus eben darin, dass erst er »das historisch einklag­bare Anrecht in die Welt gezwungen hat, keine Entmündigung hinnehmen, nicht eine einzige Erniedrigung mehr ertragen zu müssen. Seitdem ist noch das kleinste Unrecht größer und das größte schmerzt um ein Vielfaches mehr.«

Was die Umsetzung dieses emanzipatori­schen Impulses betrifft, gilt es aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zu ler­nen, dass es nicht die große einmalige Kraftanstrengung mit dem einzig-richtigen Bewusstsein sein wird, die uns näher in eine kommunistische Zukunft bringen wird. Es sind vielmehr die vielen kleinen Kämpfe und Widersprüche, in denen Men­schen, darunter auch Kommunist*innen, lernen und sich und die Umstände zu einem Besseren verändern. Oder wie es Michael Brie formuliert: »Das Kommunisti­sche erwächst aus dem Alltag – gefordert ist die Fähigkeit, es zu erkennen, unabhän­gig davon, welche Attribute es sich gibt oder ihm gegeben werden.«

Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert sein, wo die heutige Zivilisation an ihr Ende kommen wird. So viel steht mit ziemlicher Sicherheit fest. Die Frage ist nur, wie dieses Ende aussehen wird! Die menschliche Zivi­lisation kann in maximaler Kapitalverwer­tung, verheerender ökologischer Zerstö­rung, Nationalismen, neuen Faschismen und Kriegen untergehen. Oder eben es ent­steht eine neue Zivilisation, die ein grund­sätzlich anderes Verhältnis der Menschen zu sich selbst (also ihrer eigenen Natur), zueinander und zur äußeren Natur begrün­det. Das Kommunistische steht hier am radikalsten und umfassendsten für diese diametral andere Zukunft.

Rote Fahnen sieht man besser … Stationen in der Geschichte der KPÖ in Oberösterreich 1918–2018. Die Doku­mentation kann in Printform oder als PDF bestellt werden:

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Gelesen 6769 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 13 Juni 2019 12:46

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