10 März

ARM TROTZ ARBEIT: Wessen Kinder sind nichts wert?

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Geschlechtsspezifische Einkommensdifferenzen können berechnet und ausgewiesen werden. Der von der Regie­rung propagierte Familienbonus ist hingegen eine Maß­nahme, die ihren Namen nicht verdient. Ein Drittel der Kinder in Österreich wird von dem »Bonus« gar nicht oder nicht in vollem Umfang profitieren. Mit diesem Geschenk könnten aber auch andere bedacht werden.

Ein Vorschlag von ROSA LENZ

Zu den »Nicht«-Familien zählen Kinder, deren Eltern arbeitslos sind, von Min­destsicherung leben oder einfach zu wenig verdienen, sei es weil sie Teilzeit arbeiten oder im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, unter anderem als KellnerInnen, Golflehre­rInnen oder Hilfsarbeitskräfte. Diese Kinder sind der Regierung nichts wert. Dies wird nicht nur ideologisch vermittelt, sondern auch faktisch. Sie bekommen kein zusätzli­ches »Familien«-Geld. Selbstredend, dass gerade diese Familien das Geld am drin­gendsten brauchen würden. Und zwar nicht, um den Kredit für die Eigentumswohnung der Kinder abzubezahlen, sondern um über­haupt Miete und Strom oder die Schikurs­kosten berappen zu können.

Wer braucht’s und wer kriegt’s?

Wäre es wirklich die Intention der Regie­rung gewesen, einen Familienbonus für alle einzuführen, dann wäre dies leicht möglich gewesen. Das österreichische System der Familienförderung hat hierzu bereits ein Instrument, die Familienbeihilfe. Es ließe sich natürlich darüber streiten, ob die Anhe­bung der Familienbeihilfe die sinnvollste Maßnahme wäre, um Kinder, Mütter und Väter zu unterstützen. Aber wenn der Anspruch wäre, allen Eltern bzw. Kindern – unter dem Motto »jedes Kind ist gleich viel Wert« – mehr Geld zukommen zu lassen, dann wäre dies das Mittel der Wahl.

Die gesamten Kosten für den Familienbo­nus belaufen sich auf von der Regierung geschätzte 1,5 Mrd. €. Abgesehen vom all­gemeinen Umverteilungsskandal, den der Familienbonus in sich birgt, liegen noch ein paar Teufel im Detail. Formal gestaltet sich der Familienbonus als Steuerabsetzbetrag. So wie auch der Kinderabsetzbetrag oder der allgemeine Verkehrsabsetzbetrag. Sobald ein Einkommen so hoch ist, dass Lohnsteuern bezahlt werden muss, wird der Familienbonus von der zu zahlenden Lohnsteuer abgezogen. Auf Steuer-deutsch: Steuerabsetzbeträge reduzieren die Steuer­schuld. Im Fall des Familienbonus um 125 € im Monat bzw. 1500 € im Jahr pro Kind. Damit handelt es sich mit Abstand um den höchsten Absatzbetrag im österreichischen Steuersystem. Ab einem monatlichen Brut­toeinkommen von 1.256 € müssen Steuern bezahlt werden und ab 1.872,3 € fällt eine Steuerschuld von 125 € im Monat an. D. h. unter 1.256 € gibt es gar keinen Familienbo­nus und bis 1.872,3 gibt es nicht den ganzen Bonus.

In Österreich leben rund 300.000 Kinder in armutsgefährdeten Haushalten. Dies ist rund jedes sechste Kind. Ihre Lage wird sich durch den Familienbonus nicht verbessern, denn sie bekommen ihn nicht oder nur in geringem Umfang. Alleinerziehende zählen zu den armutsgefährdetsten Gruppen in Österreich. Geringverdienenden Alleiner­ziehenden wird von der Regierung – quasi als Ausnahme von all jenen Eltern, die kei­nen Familienbonus beziehen können – ein reduzierter Familienbonus vom 205 € (17,1 € im Monat) im Jahr zugestanden. Das ist ein Siebtel des normalen Familienbonus. Sieben Kinder von Alleinerziehenden bekommen also denselben Betrag wie ein Kind aus einem gut verdienenden Haushalt.

Die 1,5 Mrd. €, die der Familienbonus kos­tet, aufgeteilt auf alle, die bereits Familien­beihilfe beziehen, brächte eine Erhöhung um 863 € im Jahr (72 €/Monat). Davon hät­ten auch die Ärmsten etwas. Die Differenz zwischen 1500 € (Familienbonus für man­che) und 863 € (höhere Familienbeihilfe für alle) – also 637 € im Jahr – kann (bei gleich­bleibenden Gesamtkosten von 1,5 Mrd. €) nur deshalb an Personen mit mittleren, höheren und höchsten Einkommen ausbe­zahlt werden, weil die untersten Einkom­mensschichten nichts bekommen.

Ein Väterbonus?

Der Familienbonus wird deutlich öfter von Männern als von Frauen in Anspruch genommen werden können. Rund ein Vier­tel aller unselbständig erwerbstätigen Frauen ist von vornherein vom Familienbo­nus ausgeschlossen, weil ihre Einkommen unter der Lohnsteuergrenze liegen. Unter männlichen Erwerbstätigen trifft dies lediglich auf 13 % zu. Bei den Bruttojahres­einkommen der unselbständig Erwerbstäti­gen besteht eine geschlechtsspezifische Einkommensdifferenz von 37 %. Also, sel­ber Schuld liebe Frauen, wenn ihr wenig verdient oder Teilzeit arbeitet, weil ihr eure Kinder betreut, der Familienbonus geht nicht an euch. Auch das ist der Sub­text, der von der Regierung mit der Ausge­staltung dieser »Familienmaßnahme« gesprochen wird.

Anders bei der Familienbeihilfe. Diese wird, so nicht extra anders beantragt, auto­matisch an die Frau ausbezahlt. Das ist noch kein Betrag zu einer fairen Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Aber das Geld geht zumindest an jene, die den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten und stärkt damit zugleich die finanzielle Auto­nomie und damit auch die innerfamiliäre Verhandlungsmacht von Frauen.

Der Vergleich Familienbonus und Famili­enbeihilfe soll nur aufzeigen, wie einfach die gröbsten Schnitzer des Familienbonus vermeidbar wären. Es gibt übrigens auch eine Gemeinsamkeit zwischen beiden Maß­nahmen: In beiden Fällen spielt die Regie­rung die rassistische Karte und versucht Eltern, die in Österreich leben und arbei­ten, deren Kinder aber im Ausland leben, vom Bezug auszuschließen oder die Bezugshöhe (Stichwort: Indexierung der Familienbeihilfe) zu reduzieren.

Working poor. Die Definition macht die Zahl.

Wer ist arm oder armutsgefährdet trotz Arbeit? Für diese Frage gab es lange keine sinnvollen Zahlen, zumindest dann nicht, wenn zugleich nach Männern und Frauen unterschieden werden sollte. Die klassi­schen Zahlen zur Armutsmessung beruhen auf dem Haushaltskontext, was bei Armuts­fragen bis zu einem gewissen Grad auch Sinn macht. Beispielsweise können Woh­nung oder Auto geteilt werden und reduzie­ren dadurch die Kosten, die für jede Person einzeln anfallen. Kurz gesagt, zu zweit oder zu mehrt leben ist billiger als alleine zu leben.

Schwierig wird es dann, wenn zugleich die individuellen Einkommen relevant sind – wie etwa bei der Frage: Wer ist arm trotz Arbeit? Denn bei der Haushaltsbetrachtung werden die Einkommen von allen Familien­mitgliedern zusammen gezählt. Es gibt dann folglich keine Frauen- und Männereinkom­men mehr, sondern nur noch gewichtet Haushaltseinkommen, die für Männer und Frauen gleich hoch sind. Geschlechtsspezifi­sche Einkommensdifferenzen sind damit verschwunden. Dies führt zu dem »Geschlechterparadoxon«, dass bei dieser Armutsbetrachtung erwerbstätige Männer in Österreich ein leicht höheres Armutsri­siko aufweisen als Frauen. Demnach lag die Armutsgefährdungsquote von Männern bei 8,0 % und bei Frauen bei 7,4 %. Dies ist ange­sichts der Einkommensdifferenzen zwischen Männern und Frauen paradox.

Ein neuer alternativer Indikator versucht die Problematik von Haushaltseinkommen im Zusammenhang von Armut und Erwerbs­tätigkeit zu umgehen (Knittler, Heuberger 2018). Anstatt der gewichteten Haushalts­einkommen werden die individuellen Ein­kommen herangezogen. Dies führt zu völlig anderen Ergebnissen. Demnach wiesen erwerbstätige Frauen in Österreich (2015) mit einer Armutsgefährdungsquote von 19 % ein deutlich höheres Risiko auf, trotz Erwerbsarbeit armutsgefährdet zu sein als Männer (8 %). Zugleich war rund eine Vier­tel Million (226.000) erwerbstätiger Frauen vom Einkommen ihrer Partner (oder Part­nerinnen) abhängig, um nicht als armutsge­fährdet zu gelten. Sie zählen jedenfalls auch zu der Gruppe, die keinen Anspruch auf den Familienbonus haben, aber vielleicht ihre Partner. An innerfamiliären Abhängigkeiten ändert der Bonus nichts.

Familienbonus. Nein. Danke.

Unabhängig davon, ob der Familienbo­nus als Steuerabsetzbetrag oder als Familienbeihilfe ausgestaltet ist, die 1,5 Mrd. € fehlen dann im Budget. Im ersten Fall, weil weniger Steuern eingenommen werden, im zweiten Fall blieben die Steuereinnahmen gleich hoch, aber die Ausgaben würden steigen.

Es besteht übrigens ein formaler Grund, warum Kurz und Co. den Steuer­absetzbetrag einer Beihilfe vorziehen. Budgettechnisch ist es egal, so oder so werden die 1,5 Mrd. € irgendwo einge­spart werden müssen, aber ersteres senkt die Abgabenquote, zweiteres nicht. Und es war ein neoliberalverne­beltes Wahlversprechen von Kurz, die Steuerquote zu senken.

Hier lässt sich trefflich der von Christa Schlager und Elisabeth Klatzer, beides Ökonominnen, geprägte Satz zitieren: Einen schlanken Staat können sich nur reiche Männer leisten. Wo gespart wird, ist noch offen, aber die bisherigen Kür­zungen lassen nichts Gutes erahnen.

Um rund 200.000 € wurden bis jetzt verschiedenen feministischen Projekte, u. a. Zeitschriften oder dem Verein Maiz die Mittel gekürzt. Was wäre also nahe­liegender – bei genügend hohem Ein­kommen – als den Familienbonus ganz oder zum Teil zu spenden, z. B. an die von Kürzungen betroffenen Projekte.

Hier eine Orientierungshilfe: 637 € im Jahr sind jener Teil des Familienbonus, der nur deshalb ausbezahlt werden kann, weil nicht alle in die Gunst des Familienbonus kommen. Das mittlere Nettoeinkommen liegt bei 1.999 € (inkl. anteiligem 13. und 14. Monatsgehalt) im Monat. Die Hälfte der unselbständig Erwerbstätigen verdient mehr, die andere Hälfte weniger. Ab rund 3.000 € zählt mensch bereits zum höchsten Ein­kommensviertel. Schön wäre eine groß angelegte Kampagne gegen den Famili­enbonus, bei der zehn Promis und viele andere mit hohen Einkommen sagen: Danke, aber nein Danke. Ich verzichte. Ich spende.

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