Geschlechtsspezifische Einkommensdifferenzen können berechnet und ausgewiesen werden. Der von der Regierung propagierte Familienbonus ist hingegen eine Maßnahme, die ihren Namen nicht verdient. Ein Drittel der Kinder in Österreich wird von dem »Bonus« gar nicht oder nicht in vollem Umfang profitieren. Mit diesem Geschenk könnten aber auch andere bedacht werden.
Ein Vorschlag von ROSA LENZ
Zu den »Nicht«-Familien zählen Kinder, deren Eltern arbeitslos sind, von Mindestsicherung leben oder einfach zu wenig verdienen, sei es weil sie Teilzeit arbeiten oder im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, unter anderem als KellnerInnen, GolflehrerInnen oder Hilfsarbeitskräfte. Diese Kinder sind der Regierung nichts wert. Dies wird nicht nur ideologisch vermittelt, sondern auch faktisch. Sie bekommen kein zusätzliches »Familien«-Geld. Selbstredend, dass gerade diese Familien das Geld am dringendsten brauchen würden. Und zwar nicht, um den Kredit für die Eigentumswohnung der Kinder abzubezahlen, sondern um überhaupt Miete und Strom oder die Schikurskosten berappen zu können.
Wer braucht’s und wer kriegt’s?
Wäre es wirklich die Intention der Regierung gewesen, einen Familienbonus für alle einzuführen, dann wäre dies leicht möglich gewesen. Das österreichische System der Familienförderung hat hierzu bereits ein Instrument, die Familienbeihilfe. Es ließe sich natürlich darüber streiten, ob die Anhebung der Familienbeihilfe die sinnvollste Maßnahme wäre, um Kinder, Mütter und Väter zu unterstützen. Aber wenn der Anspruch wäre, allen Eltern bzw. Kindern – unter dem Motto »jedes Kind ist gleich viel Wert« – mehr Geld zukommen zu lassen, dann wäre dies das Mittel der Wahl.
Die gesamten Kosten für den Familienbonus belaufen sich auf von der Regierung geschätzte 1,5 Mrd. €. Abgesehen vom allgemeinen Umverteilungsskandal, den der Familienbonus in sich birgt, liegen noch ein paar Teufel im Detail. Formal gestaltet sich der Familienbonus als Steuerabsetzbetrag. So wie auch der Kinderabsetzbetrag oder der allgemeine Verkehrsabsetzbetrag. Sobald ein Einkommen so hoch ist, dass Lohnsteuern bezahlt werden muss, wird der Familienbonus von der zu zahlenden Lohnsteuer abgezogen. Auf Steuer-deutsch: Steuerabsetzbeträge reduzieren die Steuerschuld. Im Fall des Familienbonus um 125 € im Monat bzw. 1500 € im Jahr pro Kind. Damit handelt es sich mit Abstand um den höchsten Absatzbetrag im österreichischen Steuersystem. Ab einem monatlichen Bruttoeinkommen von 1.256 € müssen Steuern bezahlt werden und ab 1.872,3 € fällt eine Steuerschuld von 125 € im Monat an. D. h. unter 1.256 € gibt es gar keinen Familienbonus und bis 1.872,3 gibt es nicht den ganzen Bonus.
In Österreich leben rund 300.000 Kinder in armutsgefährdeten Haushalten. Dies ist rund jedes sechste Kind. Ihre Lage wird sich durch den Familienbonus nicht verbessern, denn sie bekommen ihn nicht oder nur in geringem Umfang. Alleinerziehende zählen zu den armutsgefährdetsten Gruppen in Österreich. Geringverdienenden Alleinerziehenden wird von der Regierung – quasi als Ausnahme von all jenen Eltern, die keinen Familienbonus beziehen können – ein reduzierter Familienbonus vom 205 € (17,1 € im Monat) im Jahr zugestanden. Das ist ein Siebtel des normalen Familienbonus. Sieben Kinder von Alleinerziehenden bekommen also denselben Betrag wie ein Kind aus einem gut verdienenden Haushalt.
Die 1,5 Mrd. €, die der Familienbonus kostet, aufgeteilt auf alle, die bereits Familienbeihilfe beziehen, brächte eine Erhöhung um 863 € im Jahr (72 €/Monat). Davon hätten auch die Ärmsten etwas. Die Differenz zwischen 1500 € (Familienbonus für manche) und 863 € (höhere Familienbeihilfe für alle) – also 637 € im Jahr – kann (bei gleichbleibenden Gesamtkosten von 1,5 Mrd. €) nur deshalb an Personen mit mittleren, höheren und höchsten Einkommen ausbezahlt werden, weil die untersten Einkommensschichten nichts bekommen.
Ein Väterbonus?
Der Familienbonus wird deutlich öfter von Männern als von Frauen in Anspruch genommen werden können. Rund ein Viertel aller unselbständig erwerbstätigen Frauen ist von vornherein vom Familienbonus ausgeschlossen, weil ihre Einkommen unter der Lohnsteuergrenze liegen. Unter männlichen Erwerbstätigen trifft dies lediglich auf 13 % zu. Bei den Bruttojahreseinkommen der unselbständig Erwerbstätigen besteht eine geschlechtsspezifische Einkommensdifferenz von 37 %. Also, selber Schuld liebe Frauen, wenn ihr wenig verdient oder Teilzeit arbeitet, weil ihr eure Kinder betreut, der Familienbonus geht nicht an euch. Auch das ist der Subtext, der von der Regierung mit der Ausgestaltung dieser »Familienmaßnahme« gesprochen wird.
Anders bei der Familienbeihilfe. Diese wird, so nicht extra anders beantragt, automatisch an die Frau ausbezahlt. Das ist noch kein Betrag zu einer fairen Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Aber das Geld geht zumindest an jene, die den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten und stärkt damit zugleich die finanzielle Autonomie und damit auch die innerfamiliäre Verhandlungsmacht von Frauen.
Der Vergleich Familienbonus und Familienbeihilfe soll nur aufzeigen, wie einfach die gröbsten Schnitzer des Familienbonus vermeidbar wären. Es gibt übrigens auch eine Gemeinsamkeit zwischen beiden Maßnahmen: In beiden Fällen spielt die Regierung die rassistische Karte und versucht Eltern, die in Österreich leben und arbeiten, deren Kinder aber im Ausland leben, vom Bezug auszuschließen oder die Bezugshöhe (Stichwort: Indexierung der Familienbeihilfe) zu reduzieren.
Working poor. Die Definition macht die Zahl.
Wer ist arm oder armutsgefährdet trotz Arbeit? Für diese Frage gab es lange keine sinnvollen Zahlen, zumindest dann nicht, wenn zugleich nach Männern und Frauen unterschieden werden sollte. Die klassischen Zahlen zur Armutsmessung beruhen auf dem Haushaltskontext, was bei Armutsfragen bis zu einem gewissen Grad auch Sinn macht. Beispielsweise können Wohnung oder Auto geteilt werden und reduzieren dadurch die Kosten, die für jede Person einzeln anfallen. Kurz gesagt, zu zweit oder zu mehrt leben ist billiger als alleine zu leben.
Schwierig wird es dann, wenn zugleich die individuellen Einkommen relevant sind – wie etwa bei der Frage: Wer ist arm trotz Arbeit? Denn bei der Haushaltsbetrachtung werden die Einkommen von allen Familienmitgliedern zusammen gezählt. Es gibt dann folglich keine Frauen- und Männereinkommen mehr, sondern nur noch gewichtet Haushaltseinkommen, die für Männer und Frauen gleich hoch sind. Geschlechtsspezifische Einkommensdifferenzen sind damit verschwunden. Dies führt zu dem »Geschlechterparadoxon«, dass bei dieser Armutsbetrachtung erwerbstätige Männer in Österreich ein leicht höheres Armutsrisiko aufweisen als Frauen. Demnach lag die Armutsgefährdungsquote von Männern bei 8,0 % und bei Frauen bei 7,4 %. Dies ist angesichts der Einkommensdifferenzen zwischen Männern und Frauen paradox.
Ein neuer alternativer Indikator versucht die Problematik von Haushaltseinkommen im Zusammenhang von Armut und Erwerbstätigkeit zu umgehen (Knittler, Heuberger 2018). Anstatt der gewichteten Haushaltseinkommen werden die individuellen Einkommen herangezogen. Dies führt zu völlig anderen Ergebnissen. Demnach wiesen erwerbstätige Frauen in Österreich (2015) mit einer Armutsgefährdungsquote von 19 % ein deutlich höheres Risiko auf, trotz Erwerbsarbeit armutsgefährdet zu sein als Männer (8 %). Zugleich war rund eine Viertel Million (226.000) erwerbstätiger Frauen vom Einkommen ihrer Partner (oder Partnerinnen) abhängig, um nicht als armutsgefährdet zu gelten. Sie zählen jedenfalls auch zu der Gruppe, die keinen Anspruch auf den Familienbonus haben, aber vielleicht ihre Partner. An innerfamiliären Abhängigkeiten ändert der Bonus nichts.
Familienbonus. Nein. Danke.
Unabhängig davon, ob der Familienbonus als Steuerabsetzbetrag oder als Familienbeihilfe ausgestaltet ist, die 1,5 Mrd. € fehlen dann im Budget. Im ersten Fall, weil weniger Steuern eingenommen werden, im zweiten Fall blieben die Steuereinnahmen gleich hoch, aber die Ausgaben würden steigen.
Es besteht übrigens ein formaler Grund, warum Kurz und Co. den Steuerabsetzbetrag einer Beihilfe vorziehen. Budgettechnisch ist es egal, so oder so werden die 1,5 Mrd. € irgendwo eingespart werden müssen, aber ersteres senkt die Abgabenquote, zweiteres nicht. Und es war ein neoliberalvernebeltes Wahlversprechen von Kurz, die Steuerquote zu senken.
Hier lässt sich trefflich der von Christa Schlager und Elisabeth Klatzer, beides Ökonominnen, geprägte Satz zitieren: Einen schlanken Staat können sich nur reiche Männer leisten. Wo gespart wird, ist noch offen, aber die bisherigen Kürzungen lassen nichts Gutes erahnen.
Um rund 200.000 € wurden bis jetzt verschiedenen feministischen Projekte, u. a. Zeitschriften oder dem Verein Maiz die Mittel gekürzt. Was wäre also naheliegender – bei genügend hohem Einkommen – als den Familienbonus ganz oder zum Teil zu spenden, z. B. an die von Kürzungen betroffenen Projekte.
Hier eine Orientierungshilfe: 637 € im Jahr sind jener Teil des Familienbonus, der nur deshalb ausbezahlt werden kann, weil nicht alle in die Gunst des Familienbonus kommen. Das mittlere Nettoeinkommen liegt bei 1.999 € (inkl. anteiligem 13. und 14. Monatsgehalt) im Monat. Die Hälfte der unselbständig Erwerbstätigen verdient mehr, die andere Hälfte weniger. Ab rund 3.000 € zählt mensch bereits zum höchsten Einkommensviertel. Schön wäre eine groß angelegte Kampagne gegen den Familienbonus, bei der zehn Promis und viele andere mit hohen Einkommen sagen: Danke, aber nein Danke. Ich verzichte. Ich spende.