»Und wir schreien’s laut: Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus.« Den Rauch-Haus-Song von Ton Steine Scherben kann man getrost auch Jahrzehnte nach seinem Erscheinen noch als Evergreen der Hausbesetzer-Szene bezeichnen. Und als Rio Reiser diese Zeilen sang, meinte er damit ein sehr konkretes Haus: Das besetzte ehemalige Schwesternwohnheim des Bethanien-Krankenhauses in Berlin-Kreuzberg.
Haus Österreich
Dass mit einem Haus jedoch viel mehr gemeint sein kann als nur ein Haus, zeigte im vergangenen Wahlkampf die Propagandaabteilung der FPÖ. In drei leicht verdaulichen Kurzfilmchen wurde das Haus des fiktiven Ehepaars Hubers stellvertretend für die Nation Österreich in Szene gesetzt: Das ist unser Haus. Das ist unser Österreich. Und wer rausgeschmissen werden soll, liegt auf der Hand: AusländerInnen, MigrantInnen und Flüchtlinge.
Doch der Reihe nach: Bereits im Intro von Die Hubers zeigt eine überdimensionierte Österreichfahne über dem Dachfirst, wofür das Haus der Hubers eigentlich steht. Hier ist bereits das Fundament der Erzählung angelegt. Das Haus gehört jemanden: Das Ehepaar Huber steht stellvertretend – je nach Lesart – für die ÖsterreicherInnen, die Autochtonen oder die Volksgemeinschaft. Das Haus hat ein Innen und ein Außen. Die Haustüre ist die Grenze zwischen diesen Bereichen und mimt gleichzeitig die Staatsgrenze, die man vermeintlich öffnen oder schließen kann.
Ausschnitte aus dem FPÖ-Werbespot
Die Geschichte nimmt ihren Lauf: Aufgeschreckt durch ein Geräusch fährt Frau Huber mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Ihr Mann hat vergessen die Haustür zuzusperren. Doch im Wohnzimmer überraschen die Hubers keinen Einbrecher, sondern finden eine Schar von Menschen vor, die es sich gemütlich eingerichtet hat. Die einen spielen Schach, andere breiten sich auf der Couch aus und wieder andere bedienen sich aus dem Kühlschrank und backen Brötchen. Die uneingeladenen Gäste machen sich ein sorgenfreies Leben. Anstatt die Menschen wieder rauszuwerfen, übt sich Herr Huber, der die Bundesregierung symbolisiert, in Gastfreundschaft: Er macht für die Gäste Palatschinken und schreibt eine Einkaufsliste. Seiner skeptischen Frau beteuert er Herr der Lage zu sein. Doch schon bald wird den Hubers der Strom abgedreht, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlen konnten. Der drohende Herzinfarkt von Frau Huber käme laut ihrem Mann zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, weil das ganze Geld doch in die medizinische Versorgung der Gäste geflossen sei. Die Situation gerät für die Hubers zunehmend außer Kontrolle und als Höhepunkt nehmen die Gäste auch noch das Familienporträt von der Wohnzimmerwand. Es folgt der Auftritt Straches durch seine Stimme aus dem Off: Mit mir an der Macht gehört das Haus wieder euch.
Damit wäre der Inhalt der handwerklich gut gemachten Kurzfilmreihe bündig zusammengefasst. Die Botschaft ist prägnant: Österreich ist unser Haus. Es ist voll. Die Kapazitäten sind ausgeschöpft. Die Gäste müssen verschwinden.
Weit mehr als eine Metapher …
Mit diesem anschaulichen Beispiel vor Augen widmen wir uns den theoretischen Grundlagen: Die Erzählung wird vom Kollektivsymbol des Hauses getragen. Doch was steckt hinter diesen sogenannten Kollektivsymbolen?
Menschenfeindliche Politik lässt sich so kuschelweich und leicht verständlich verpacken.
Kollektivsymbole lassen sich in einer ersten Annäherung als Metaphern beschreiben. Bei näherer Betrachtung sind sie jedoch weit mehr als das. Unter dem Begriff Kollektivsymbolik versteht der Sprachwissenschaftler Jürgen Link »die Gesamtheit der sogenannten Bildlichkeit einer Kultur, die Gesamtheit ihrer am weitesten verbreiteten Allegorien und Embleme, Metaphern, Exempelfälle, Vergleiche und Analogien«. Kollektivsymbole sind also mehr als bloße Metaphern. Sie sind bildliche Symbole, die kollektiv verstanden werden, weil sie komplexe Wirklichkeiten auf eine bildliche Vorstellungsebene herunterbrechen. Kollektivsymbole stellen ein prinzipielles Deutungsmuster dar, auf das alle – oder zumindest fast alle – Gesellschaftsmitglieder zugreifen können.
Die Sprachwissenschaftler und Diskursanalytiker Siegfried und Margarete Jäger beschreiben einige Kriterien, die Kollektivsymbole erfüllen müssen, um ihre volle Wirkung zu entfalten.
- Kollektivsymbole sind immer semantisch sekundär. Das bedeutet, sie haben eine indirekte Bedeutungsfunktion. Das Bezeichnete, z. B. das Haus der Hubers, wird zu einem Signifikanten eines anderen Signifikanten. Das Haus steht im Beispiel der Hubers für »Österreich«.
- Kollektivsymbole lassen sich visuell darstellen. Ein Haus lässt sich fotografieren, zeichnen, etc. Und vor allem kann man es sich vorstellen. Auch wenn jede und jeder von uns eine unterschiedliche Vorstellung von einem idealtypischen Haus hat, weiß man, wie es aussieht: dass es ein Innen und ein Außen gibt, eine Türe, bestimmte Zimmer mit bestimmten Funktionen, usw.
- Das Verhältnis zwischen der ersten (nicht symbolischen) und zweiten (symbolischen) Bedeutung des Kollektivsymbols ist nicht zufällig, sondern motiviert. D. h., das Haus kann auch deshalb für Österreich stehen, weil man ja tatsächlich in Österreich lebt.
- Kollektivsymbole sind immer mehrdeutig. So kann das Haus der Hubers z.B. nicht nur für »Österreich«, sondern je nach Kontext und Lesart auch für »unser Sozialsystem« oder »unsere Volksgemeinschaft« stehen.
- Kollektivsymbole entfalten eine sogenannte syntagmatische Expansivität. D. h., sie lassen sich weitererzählen. Wenn von einem Haus die Rede ist, tut sich ein weiteres Feld von Symbolen auf, die diesem Bedeutungsfeld angehören: Haustüren, Fenster, Keller, Obergeschoss, Dach, Bewohner, Gäste, Einbrecher …
Kollektivsymbole treten besonders häufig in Konfliktdiskursen auf und sind insbesondere bedeutungsvoll, wenn gesellschaftliche Innen- und Außenbereiche codiert werden können. Sie beschreiben bildlich, wer zur eigenen Gruppe gezählt wird und wer nicht dazu gehört. Wer, zugespitzt formuliert, Freund ist und wer Feind ist.
Wenn die Flut droht, baut man Dämme …
Bei Körper- und Fahrzeugsymbolen werden Innen und Außen eindeutig codiert. Körper im weiteren Sinne, wie etwa ein Schiff, ein Auto, ein Haus codieren dabei jeweils das Innere, welches sich von einem chaotischen, denormalisiernden und meist subjektlosen Außen abgrenzt. Als Körper im engeren Sinne lässt sich dabei das Symbol des menschlichen, medizinischen Körpers zählen. Hier wird das Innere als funktionierender Kreislauf symbolisiert und das Äußere als störender bzw. gefährlicher Einfluss wie etwa Krankheiten, Erreger, Parasiten, usw. Aus dem Bereich der Natur-Symbolik, lässt sich etwa die Wasser- bzw. Flutsymbolik als Beispiel anführen. Konkret kennen wir die Begriffe »Flüchtlingswelle« oder »Flüchtlingsstrom« nur zur Genüge. Aus dem Bereich der Technik-Symbolik lassen sich Beispiele wie die Begriffe »Kettenreaktion«, »Hochdruck« oder »Explosionsgefahr« nennen.
Die massenmediale Verbreitung von Kollektivsymbolen trägt also dazu bei, dass kollektive Handlungsbereitschaften entstehen bzw. akzeptiert werden.
Sowohl Natur- als auch Techniksymbolik vermitteln dabei oft eine nicht kontrollierbare, subjektlose Eigendynamik. Dem eigenen System kommt im Gegenzug ein Subjektstatus einer autonomen, zurechnungsfähigen Person zu. Es ist ein Körper mit Kopf, der sich Therapien gegen eine Krankheit überlegen kann; es ist ein Auto mit Fahrer, der den Fuß vom Gas nehmen kann, es ist ein Haus mit Bewohnern, die die Tür zumachen können.
Durch den Einsatz von Kollektivsymbolen lassen sich bestimmte Zustandsdeutungen dramatisieren und gleichzeitig kann die Notwendigkeit produziert werden, die so wahrgenommen Zustände wieder zu normalisieren und in geregelte Bahnen zu führen. Kollektivsymbole legen also einen (dringenden) Handlungsbedarf nahe. Wenn eine Flut droht, sollten Dämme gebaut werden. Wenn das Boot voll ist, muss der Rest an Land bleiben oder kann nicht aus dem Wasser gerettet werden. Wenn jemand droht, in das Haus einzudringen, sollten Türen und Fenster gut verschlossen werden. Wenn das Fahrzeug außer Kontrolle ist, sollte vom Fahrer die Bremse getätigt werden (Beispiel: »Schuldenbremse« oder »Flüchtlingsbremse«). Wenn etwas zu explodieren droht, sollten Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Die massenmediale Verbreitung von Kollektivsymbolen trägt also dazu bei, dass kollektive Handlungsbereitschaften entstehen bzw. akzeptiert werden. Sie stellen auf einer symbolischen, einfach verständlichen Ebene Zustimmung her für symbolisch verschlüsselte politische Praxen, die wesentlich komplexer sind. Wer im Fall der Hubers zustimmt, dass die Gäste das Haus verlassen müssen und hinter ihnen die Türe verriegelt wird, ist eher dazu bereit auch Abschiebungen und militärisch gesicherten Grenzen zuzustimmen.
Der bewusste Blick auf diese Symbole bietet die Möglichkeit, auf die dahinter liegenden, codierten Motivationen zu blicken. Die eindeutige Einteilung in Innen- und Außenbereiche, in Wir-Hier und Die-Da, die Reduktion von Komplexität und die Entsubjektivierung bis hin zur Entmenschlichung des vermeintlich chaotischen und bedrohlichen Äußeren machen Kollektivsymbole zum massentauglichen Kommunikationsmittel für identitätsstiftende Politik. Im vergangenen Wahlkampf nutzte allen voran die FPÖ die bildhafte Macht der Kollektivsymbole. Menschenfeindliche Politik lässt sich so kuschelweich und leicht verständlich verpacken. Historisch belastete Begriffe wie den der »Umvolkung« brauchen Strache und Co. so gar nicht mehr in den Mund nehmen. Denn sie verstehen es, die dahinterliegende Ideologie in eine für jedermann verständliche Erzählung einfließen zu lassen, die kaum am Radar des bürgerlich-liberalen Antifaschismus auftaucht. Die vom Kollektivsymbol des Hauses getragene Geschichte der Hubers wurde auf Youtube über 1,5 Millionen Mal abgespielt.
Linke Kollektivsymbole?
Der Eindruck mag täuschen, doch bildhafte und symbolisch aufgeladene Sprache spielt innerhalb der politischen Linken eine untergeordnete Rolle. Nach dem Credo »Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten« gäbe es entlang der Kategorien »Oben und Unten«, »Reich und Arm«, »Ausbeuter und Ausgebeutete« oder »Kapitalisten und Proletarier« durchaus gesellschaftliche Machtverhältnisse, die prädestiniert sind, um sie mittels Kollektivsymboliken zu verschlüsseln und damit auch auf einer emotionalen Ebene verständlich zu machen. Dennoch wird – und hier mag man mich gerne widerlegen – auch bei linken Kernthemen wie Einkommensverteilung, Vermögenssteuern, usw. vorrangig auf harte Fakten, Verdatung und Statistiken zurückgegriffen. Steht die Linke im Bereich der Kollektivsymbolik also auf verlorenem Posten? Traut sie den Menschen zu viel zu, indem sie auf eine emotional gefärbte Reduktion der Komplexität verzichtet? Oder schreckt sie zu Recht davor zurück, komplexe gesellschaftspolitische Themen auf diese Weise zu behandeln?
Einerseits gibt es in einer Gesellschaft, in der sich viele das Ende der Welt eher vorstellen können als das Ende des Kapitalismus, jedenfalls die Notwendigkeit die herrschenden Verhältnisse greifbarer – auch emotional greifbarer – darzustellen. Anderseits liegt in einer kapitalismusüberwindenden Perspektive, welche Komplexität reduziert und streng dichotom die Fronten festlegt, wie es eine von Kollektivsymbolen getragene Sprache eben ermöglicht, bereits das Fundament zur Verschleierung der tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse.
Dies sind Fragen, die es sich zu diskutieren lohnt. Die »Erfolge« der FPÖ lassen sich bestimmt nicht monokausal auf ihre Kommunikationsstrategie oder gar die Hubers zurückführen. Klar ist aber, dass die postdemokratische Parteienlandschaft, die von Marketingstrategien und perfekt inszeniertem Storytelling geprägt ist, wie eine Spielwiese für die Rechten scheint. Für die politische Linke bleibt sie hingegen ein hartes Pflaster.