Huawei – Konzern einmal anders? Foto: Huawei
20 Juni

Huawei – Konzern einmal anders?

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Eine Einführung in ein ungewöhnliches Unternehmen. Von Jonas Kraft.

Huawei ist vielen in Österreich ein Begriff; nicht wenige besitzen selbst ein Handy oder ein anderes Produkt dieser Firma, zumindest ist vielen der Name schon irgendwann in den bürgerlichen Medien untergekommen – meistens im Zusammenhang mit Sanktionen, Spionagevorwürfen und dergleichen, oft mit den üblichen sinophobischen Untertönen. Den wenigsten ist bekannt, dass sich der Konzern im Besitz der Angestelltengewerkschaft befindet. Die Volksstimme hat mit Huawei gesprochen und sich ein eigenes Bild gemacht über den Ursprung und die gegenwärtige Praxis des Unternehmens.

Ren Zhengfei 任正非

Die Geschichte von Huawei ist in vielerlei Hinsicht die Geschichte ihres Gründers, Ren Zhengfei. Nach seiner Geburt 1944 im ländlichen Guizhou im Süden Chinas war seine Kindheit typisch für die Zeit, reich an Hunger und Entbehrung. Seine guten schulischen Leistungen ermöglichten ihm einen technischen Studienplatz in Chongqing zu erreichen. Leider fiel seine Studienzeit in die Wirren der Kulturrevolution, in der er und seine Familie Repressionen durch die außer Kontrolle geratenen Roten Garden ausgesetzt waren. Trotz dieses feindlichen und chaotischen Umfelds schloss er sein Studium erfolgreich ab und absolvierte seinen Militärdienst, nach dem er als Bauingenieur im Ingenieurskorps verblieb. Dort machte er sich rasch einen Namen aufgrund seiner technischen Kompetenz und intensiven Kenntnis der maoistischen Theorie. Mehrmalige Versuche, der KPCh beizutreten, waren zuerst aufgrund der Zugehörigkeit seines Großvaters zu den Nationalisten erfolglos. Schlussendlich wurde er aber 1978 aufgenommen und nahm 1982 als Delegierter am 12. Nationalen Volkskongress teil.

Mit der beginnenden Reform- und Öffnungsperiode wurde seine Funktion abgebaut, weswegen er nach Shenzhen aufbrach und dort Huawei gründete. Heute lebt er eher zurückgezogen. Obwohl er zu den reichsten Personen Chinas zählt, scheint er – anders als die meisten Gewinner der wirtschaftlichen Liberalisierung seit den 90er Jahren – nicht ein Anhänger des typischen Geltungskonsums zu sein. Die sogenannten tuhao 土豪, die chinesische Bezeichnung für die nouveau riche, sind Männer aus bäuerlichen Verhältnissen ohne formelle Bildung, manche sogar Analphabeten, die es im turbulenten wirtschaftlichen Klima des modernen Chinas durch Fleiß, Hartnäckigkeit, Beziehungen an den richtigen Stellen, sprichwörtliche Bauernschläue und einer gehörigen Portion Glück zu schwindelerregendem Vermögen geschafft haben. Ren, als ideologisch gefestigter und gebildeter Mensch, passt nicht zu dieser Gruppe.

Firmengeschichte

Das Unternehmen begann mit dem Weiterverkauf von - aus dem nahegelegenen Hongkong importierten - Telefonanlagen für Büros und andere Firmenkunden. Das Geschäft ging mittelmäßig, bis Ren sich entschied, mit der eigenen Produktion von Elektronik zu beginnen. Der Staat unterstützte dieses Vorhaben im Rahmen der strategischen Entwicklung von inländischer Telekommunikationsindustrie mit Krediten zu günstigen Bedingungen, und die ersten in China produzierten Anlagen waren ein großer Erfolg. Damit begann der Aufstieg von Huawei, der sich mit großen Investitionen in Forschung und Entwicklung, sowie Outsourcing der Produktion europäischer und amerikanischer Firmen an Huawei fortsetzte. Exporte nach Afrika und in den Nahen Osten stiegen ebenfalls stark an. Der große Durchbruch gelang mit der Entwicklung von 5G-Netzwerktechnologie, was allerdings nicht von allen positiv gesehen wurde. Mit der Behauptung, dass die Verwendung von chinesischen Produkten in der Kommunikationsinfrastruktur eine Bedrohung für die nationale Sicherheit sei, verboten die USA mit der sogenannten »The Clean Network Initiative« von Huawei hergestellte Netzsysteme. In weiterer Folge sprachen auch NATO und EU Empfehlungen gegen die Technologie von Huawei und ZTE aus, wobei bislang nur ein Teil der Mitgliedstaaten diese auch tatsächlich umsetzte. Huawei ist der weltweit größte Hersteller von 5G-Ausrüstung und Netzmasten. Die Verwendung von Android, dem hauptsächlich von Google hergestellten Betriebssystem, wurde ebenfalls untersagt, woraufhin Huawei das selbst entwickelte HarmonyOS als Ersatz präsentierte.

Zustand

Gegenwärtig hat Huawei ca. 207.000 Angestellte weltweit, davon arbeiten etwa 55% für Forschung und Entwicklung. Die Einkünfte von etwa 704 Milliarden Yuan im Jahr 2023 stammen nicht nur aus dem Smartphone-Geschäft, sondern auch aus der Herstellung und Installation von Telekommunikations- Infrastruktur, dem Cloud Computing, Photo voltaikanlagen oder Technologien für Elektrofahrzeuge. In Österreich sind die größten Geschäftsbereiche aktuell die Telekommunikation und die Photovoltaik. Die rund 140 Mitarbeiter:innen stammen hier in etwa jeweils zu einem Drittel aus China, aus Österreich sowie aus anderen Ländern. »Wir sind bei Huawei Austria sehr international aufgestellt und profitieren in unserem Arbeitsalltag vom kulturellen Austausch und den verschiedenen Sichtweisen, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unser Unternehmen einbringen «, sagt Michael Nowak, Pressesprecher von Huawei Austria.

Struktur und Kultur

Die allgemein übliche Unterteilung in staatlich und privat ist hier schwierig anzuwenden. Huawei befindet sich zu 99,27% im Besitz der Gewerkschaft der Angestellten, die restlichen 0,73% gehören Ren Zhengfei persönlich. Aktuell halten rund 152.000 der insgesamt 207.000 Mitarbeiter:innen Anteile am Unternehmen. »Auch als Angestellter in Österreich kann man bei entsprechender Leistung nach einigen Jahren Mitarbeit beteiligt werden und bekommt dann jährlich einen Gewinnanteil ausbezahlt«, erklärt Nowak. Die Gewerkschaft ist ein Mitglied des All-Chinesischen Gewerkschaftsbundes (中华全国总工会), einer selbstständigen, aber stark mit Partei und Staat verwobenen Organisation.

Die Mitglieder der Gewerkschaft wählen im Fünfjahreszyklus die Delegiertenkommission mit einer Stimme pro Anteil. Die Kommission, die aus 115 Personen besteht, wählt den 17-köpfigen Vorstand und den 15-köpfigen Aufsichtsrat. Diese wiederum wählen jeweils ein Exekutivkomitee, das Entscheidungen trifft und ihre Ausführung beaufsichtigt. Interessant ist die Ähnlichkeit mit dem Schweizer Bundesrat: Die Position des Vorsitzenden rotiert alle sechs Monate. Im Unternehmensführungsbericht wird Huawei explizit als »Modell der kollektiven Führung« beschrieben, die durch gemeinsame Werte, fokus sierte Verantwortung, demokratischen Zentralismus, gegenseitige Kontrolle und Wachstum durch Selbstreflexion verwirklicht wird. Das sind für ein Unternehmen höchst ungewöhnliche Grundsätze – sie scheinen aber erfolgreich zu sein.

Die Unternehmenskultur von Huawei ist, auch in Österreich, stark vom chinesischen Hintergrund beeinflusst. Dazu zählt auch das Konzept von mianzi (面子), Gesicht wahren. Es ist im Umgang mit den Medien erkennbar; hier wird versucht, wenig an die große Glocke zu hängen und auf Spitzen wird nur dann Kontra gegeben, wenn es als unbedingt nötig empfunden wird. Nach innen hin gibt es regelmäßige Befragungen zu (Un-)Zufriedenheit der Mitarbeiter und den Gründen dafür, was einen stark formalisierten und prozessbasierten Ansatz im Gegensatz zu den in Österreich üblichen informellen Feedback- Mechanismen darstellt.

Ein Beispiel?

Ein Unternehmen dieser Größe und Bedeutung, das sich trotz der Möglichkeiten für die Anwerbung von Investoren nicht dem Aktienmarkt ausliefert, sondern an einer kollektiven, angestelltenbasierten Struktur festhält, ist ein weltweit besonderes Phänomen. Sicherlich gibt es bei Transparenz noch Luft nach oben, aber im Großen und Ganzen ist es ein funktionaler Gegenentwurf zum ungebremsten neoliberalen kapitalistischen Wirtschaftsbetrieb, der nur die Superreichen noch superreicher macht – und durchaus wert, näher im Auge behalten zu werden.

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