Von Elisabeth Rausch
Bruno-Schulz-Jahr 2022: vom Senat der polnischen Regierung so festgelegt, um an den ersten polnischen avantgardistischen Künstler und dessen Geburts- und Todesjahr zu erinnern oder ihn überhaupt erst weiter bekannt zu machen. Aus diesem Anlass wurde vom Polnischen Kulturinstitut in Wien, zahlreichen örtlichen Kulturvereinen und dem Warschauer Adam-Mickiewicz-Literaturinstitut ein Überblick über Leben und Werk des Künstlers zusammengestellt. Am Wiener Yppenplatz standen den Sommer über drei Litfaßsäulen, »Säulen der Erinnerung«, mit Texten und einigen Zeichnungen von Schulz.
Hierzulande ist der Künstler mit dem deutsch klingenden Namen wahrscheinlich nur einem sehr kleinen Kreis bekannt. Er war ein »Altösterreicher«, wie manchmal bei uns Leute bezeichnet werden, die mit der Ex-Monarchie Österreich-Ungarn zu tun hatten, zu deren Zeit aufgewachsen sind und von denen viele auch den ganzen Wahnsinn ihres bitteren Endes erleben mussten.
Im Erdöl-Land
Also: Bruno Schulz wird 1892 in Drohobycz (ausgesprochen Drohóbitsch) im Kronland Galizien geboren. Seine Eltern polnisch-jüdisch, der Mutter Henriette Schulz gehört der Tuchladen, das Stoffgeschäft, das der Vater führt und die Basis, die Vorlage für die späteren Erzählungen von Schulz wird. Der Bruder ist Ingenieur in der Erdölbranche. Bruno besucht das k. k. Franz-Josef-Gymnasium in der Stadt, interessiert sich früh für Sprachen und Literatur, malt und zeichnet gern und will Malerei studieren. Als Vorzugsschüler schließt er das Gymnasium ab. Auf Anraten der Familie beginnt er in Lemberg Architektur zu studieren. Doch er erkrankt, der Vater wird krank, das Studium wird abgebrochen und er kehrt nach Hause zurück. Nach zwei Jahren geht es wieder nach Lemberg, dort legt er die erste Staatsprüfung an der Technischen Hochschule ab. Man schreibt das Jahr 1914, der erste Weltkrieg wird ausgebrochen, mit der Unterschrift des Kaisers aus Wien auf der Kriegserklärung gegen Serbien. Es braut sich was zusammen. Der Vater stirbt, das Haus wird bei Kriegshandlungen zerstört, Bruno fährt nach Wien, um hier Architektur zu studieren, kehrt jedoch nach einigen Monaten zurück, wird als untauglich nicht zum Kriegsdienst eingezogen. Er muss die Familie unterstützen und macht eine Ausbildung zum Zeichen- und Handarbeitslehrer. Er tritt der Gruppe »Kalleia« bei, lernt Künstlerinnen und Künstler der örtlichen jüdischen Intelligenz kennen und vertieft sich ins Selbststudium der Malerei und des Zeichnens, portraitiert Freundinnen und Freunde und fertigt phantastische und phantasievolle Bildwerke an. Er nimmt an zahlreichen Ausstellungen teil, in verschiedenen Städten, Warschau, Lemberg, Krakau etc. und unterrichtet wieder an seiner Schule, die jetzt Jagiełło-Gymnasium heißt. Er ist kränklich, geht auf Kuraufenthalte und lernt dort wichtige Unterstützerinnen und Unterstützer seiner Arbeit kennen. Zum Beispiel die Kunsthistorikerin, Dichterin, Schriftstellerin Debora Vogel. Sie ist von seiner Art zu schreiben sehr angetan und ermutigt ihn, unbedingt weiterzumachen. Der Briefwechsel mit ihr ist für Schulz so etwas wie der Beginn der Erzählungen der »Zimtläden«. Dies ist sein erstes Buch, 1934 in Warschau erschienen, hochgelobt von den einen, völlig unverstanden von anderen. 1938 erhält er dafür den Goldenen Lorbeer der Polnischen Akademie für Literatur.
Immer wieder beteiligt er sich an Ausstellungen, pflegt die Briefwechsel mit den Freundinnen und Freunden, Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Das Briefschreiben ist für ihn eine literarische Ausdrucksform und eine Verbindung in die Welt. Seiner Verlobten Jozefina Szelinska, einer Lehrerin für Polnisch, hilft er bei der Übersetzung von Kafkas Prozess. Zwischendurch unterrichtet er auch, ist immer wieder zermürbt, auch vom Zeitmangel, wünscht sich »Nebengleise« der Zeit, für die dringlichen Umsetzungen der Ideen ins Schreiben und ins Zeichnen. Die Zeit ist zu knapp dafür und das Entsetzen über die Vorgänge in den Nachbarländern, den westlichen, manifestiert sich in Krankheit und tiefsten Depressionen. Auch in der kleinen Stadt Drohobycz wird es zunehmend wahnsinnig. Einst als galizisches Pennsylvanien bezeichnet, ist die Gegend wegen der reichlichen Erdölvorkommen Ziel von Begierden und Übernahmezwängen. Man stelle sich nur vor: in der Monarchie war dieses Gebiet der viertstärkste Lieferant von Erdölprodukten weltweit. Tausende Schächte und Erdölbrunnen durchzogen die Landschaft. Besitzwechsel, Todesfälle in den ungesicherten Schächten, die zum Teil 150 Meter tief waren, und andere Kalamitäten machten es möglich, dass es in der Stadt das größte Bezirksgericht in der ganzen Monarchie mit 30 Richtern und vielen Zuarbeitenden gab.
Im Kolonialland
Nach dem ersten Weltkrieg, im zweiten, wird das Gebiet zum »deutschen Osten«. Oberstes Prinzip allen Denkens und Schaffens: Eindeutschung. »Da grode Michl«, der schnurgrade Michael, als Kolonisationsprinzip. Der Diplomlandwirt Himmler, inspiriert von seinem Vordenker und Vormörder, Reinhardt Heydrich, lässt etliche Fachkräfte in Aktion treten. 18 Diplomgärtner stünden für den Osten bereit. Architekten, Landschaftsgärtner, Raumplaner für Stadt und Land, stehen sozusagen Stift bei Blatt, Gewehr bei Fuß stehen andere. Zuerst das schwere Gerät, dann etwas leichtfüßiger die Zeichner, Planer, Maler, Fotografen, Soziologen. Zuletzt die Mörderbande-Unterstützerinnen, Haudeginnen, Knaller-frauen zuhauf. Ziel der Aktion: die unbedingte »Neuordnung bei Menschen und Sachen«. Die Haupttreuhandstelle Ost beginnt rasch zu werken. »Zur Isolierung der polnischen Bevölkerung soll sie durch natürliche Abriegelung zersprengt und unter die Aufsicht und Führung der deutschen Bevölkerung gestellt werden.« Der Präsident der Reichsschrifttumskammer Hanns Johst meint damals: »Die Polen sind kein staatsbildendes Volk. Ein Land, das so wenig Sinn für das Wesen der Siedlung hat, ... hat keinen Anspruch auf irgendeine selbständige Machtstellung im europäischen Raum. Es ist ein Kolonialland.« Weiters sollten, so ein anderer Angehöriger der deutschen Funktionselite, er meint es in Bezug auf den Umbau von Lodsch (sic!) vulgo Litzmannstadt (nach einem Nazi und Offizier so benannt), »die asiatischen Erbteile mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.«
In Drohobycz schaut das dann ungefähr so aus: 1939 hatte die Stadt rund 35.000 EinwohnerInnen, zehntausend Polinnen und Polen, zehntausend Ukrainerinnen und Ukrainer, und fünfzehntausend Jüdinnen und Juden. Etwa zehntausend von letzteren wurden erschossen, die meisten an der Erschießungsmauer in der Stadt oder auf den Straßen. Der Wiener Tischler und damalige SS- und Gestapo-Chef Felix Landau galt als der »Judengeneral« und war für seine Schießeinlagen gefürchtet. Ebenso seine Frau, eine Wienerin und einstige Sekretärin in der Gestapo-Hauptstelle in Wien, die sich freiwillig zum Einsatz gemeldet hatte – so wie ihre Freundin, auch Sekretärin in Wien, und Gefährtin des Leiters der Gestapo-Stelle in Drohobycz. Beide, Gertrude Sengel und Josefine Krepp, machten aus »freien Stücken« ihre Mörderinnenarbeiten.
Felix Landau ließ sich in der Stadt eine größere Villa herrichten und nahm Bruno Schulz, der noch als Zeichenlehrer am nunmehrigen ukrainischen Gymnasium unterrichtete, als persönlichen Sklavenzeichner auf, um mit diversen Wandmalereien und Fresken das Kinderzimmer der Landau-Villa und andere Gebäude zu verschönern. Diese zeitweilig verloren geglaubten Fresken sorgten noch im neuen Jahrtausend für einen veritablen Kunst-Entführungskrimi.
Am 22. Juni 1941 wird die Sowjetunion von den Nazis überfallen, das Unternehmen Barbarossa wälzt sich ins Land. Drohobycz wird am 1. Juli von den Nazis besetzt. Schulz verliert seinen Arbeitsplatz, ein Ghetto wird errichtet, auch er muss übersiedeln. Die ganze rassistische Vorschriftenscheiße wird auch hier übergestülpt. Bruno kann noch beim Katalogisieren von 100.000 konfiszierten wertvollen Büchern helfen.
Am 19. November des Folgejahres gibt es wieder eine Terroraktion der Gestapo in der Stadt, im Ghetto. Bruno Schulz hatte für seine beabsichtigte Flucht schon alle Papiere beisammen und machte sich auf den Weg, seine Brotration vom örtlichen »Judenrat« abzuholen, ein Viertellaib Schwarzbrot für die Woche. Ein auf Felix Landau angeblich beleidigter SS-Mann, Karl Günther, erschießt Bruno Schulz, den »Leibjuden« von Landau, weil dieser angeblich seinerseits seinen Leibjudenzahnarzt Dr. Löw erschossen hatte. An diesem schwarzen Donnerstag werden rund 230 jüdische Personen ermordet. An den Erschießungen beteiligen sich auch ukrainische Milizen und ukrainische junge Frauen. Diese halfen auch bei den anstrengenden anstehenden Tagesprogrammen.
An der Erschießungsmauer in der Stadt gibt es ein Denkmal, im nahegelegenen Wald von Bronica ebenfalls (2016 wird in Drohobycz ein Bruno-Schulz-Museum eingerichtet. Und in einem Park der nun in der Ukraine gelegenen Stadt steht heute ein Denkmal für Stepan Bandera). Insgesamt wurden in Polen, und dazu gehörte damals auch der Bezirk Drohobycz, von den Nazis rund drei Millionen jüdische und drei Millionen nicht-jüdische Menschen erschossen oder in Gaswagen, später in Konzentrationslagern, umgebracht. Fast der gesamte Freundeskreis von Bruno Schulz war dabei. Alle weg und verschollen.
Irgendwo in seinen Schriften steht: »Hinter diesem Wirrwarr den eigentlichen Text finden.«
Sofern man in der Lage ist, zu lesen.
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Leseempfehlungen:
Bruno Schulz: Die Zimtläden. Neuübersetzung von Doreen Daume. Carl Hanser Verlag
Bruno Schulz: Das Sanatorium zur Sanduhr. Neuübersetzung von Doreen Daume. dtv
Bruno Schulz: Die Wirklichkeit ist Schatten des Wortes. Aufsätze und Briefe. Herausgegeben von Jerzy Ficowski. dtv
Verwendete Literatur:
Wendy Lower: Hitlers Helferinnen. Deutsche Frauen im Holocaust. Fischer Taschenbuch
Martin Pollack: Galizien. Insel Verlag
Albert Freiherr von Margutti, Kaiser Franz Joseph. Manz'sche Verlags- u. Univ. Buchhandlung