GRAFIK: PETJA DIMITROVA GRAFIK: PETJA DIMITROVA

Von Diana Leah Mosser

Liebe Genoss*innen, auf der vorherigen Seite seht ihr ein Glossar. Ein großes Feld, in dem Begriffe erklärt werden, die angeblich niemand ver­steht. Zum Glück mag ich Begriffsdefinitio­nen. Enzyklopädien. Glossare. Sie geben mir Klarheit darüber, wie Begriffe verstan­den werden (können). Deshalb bin ich gern eine der Ersten, die sich meldet, wenn wo ein Glossar oder Begriffskastel zu schreiben ist.

Ich nehme mir Zeit und Platz, überlege »Was heißt das für mich«. Beim Erklären von Begriffen aus queeren Bereichen – also z. B. die trans-inter*-nonbinary-Ecke – komm ich ein bisschen in ein Spannungs­feld. Ich beschreibe Begriffe, die auch andere Menschen verwenden, um sich zu beschreiben. Ich erforsche mich selbst, aber nehme auch Definitionen vorweg. Ich helfe meinen Mitmenschen, Dinge besser zu verstehen, aber erfülle auch eine Erwar­tungshaltung, die unangemessen ist.

Von uns nichtbinären und trans Personen wird sehr oft erwartet, dass wir uns selbst erklären. Und zwar höflich, freundlich und ohne Gegenleistung. Wir erklären uns auf Social Media, im Freundeskreis, in Polit­gruppen, vor den Türen von Frauenzen­tren. Wir erklären uns vorm Psychiater, vorm Standesamt, vor der Polizistin, die grade die falsche Anrede verwendet hat. Das ist oft ermüdend, vor allem weil wir statt der Gegenleistung auch gern mal Skepsis, Misstrauen, Argwohn oder blanke Gegnerinnenschaft ernten, und nie so genau wissen, wann das passieren wird.

Diese komplexen Anforderungen und der häufige Druck, mein Dasein zu erklären, gibt mir manchmal das Gefühl, meine Mit­menschen wären schon mit meiner bloßen Existenz – als nichtbinäre trans Frau – überfordert. Manchmal sagen Leute, nicht-binär oder transgender wären universitäre, elitäre Begriffe. Und dann denke ich an Hörsäle, PhD Abschlüsse und Gender Studies und irgendwie sind das nicht die Dinge, die ich selber mit transgender und nichtbinär verknüpfe: Ich hab’ keine Matura.

Ich muss Leuten erklären, was ich bin, aber kenne diese Judith Butler nicht.

Erfahrungsgemäß (meine ... Erfahrungen) haben trans Personen kein fertiges Stu­dium und gehören keiner Elite an. Und mit Karriere is’ oft auch nix. Weil während unsere cis Schulkolleg*innen mit 25 über­legen, ob sie den Job bei der Bank mit guten Aufstiegschancen behalten oder ihr neues Hobby – Webdesign oder Schmuck­design oder Gartendesign – zum Beruf machen, haben wir als trans Personen oft grad erst mal raus gefunden, wie wir an ein Maturazeugnis kommen, auf dem der richtige Name steht (wenn wir uns in dem Alter überhaupt schon so ernst nehmen, dass wir uns einen richtigen Namen zuge­stehen).

Das Gefühl, das ich bekomme, wenn mein Sein zu einer Sache deklariert wird, die man dauernd erklären muss – oder gar studieren – ist ein sehr hemmendes Gefühl. Denn mir – UNS – wird damit vermittelt, meine Existenz, meine Erfahrungen, die Art wie ich ausgegrenzt werde und wie über mich bestimmt wird, sei etwas sehr Kompli­ziertes und eine Auseinandersetzung damit sei der breiten Masse nicht zumutbar. Als wäre mein Geschlecht eine persönliche Angelegenheit, die ich bitte für mich behal­ten soll, wenn es gerade um etwas Anderes geht.

Aber dieses hemmende Gefühl … Das ist doch gar keine trans Erfahrung, keine Ein­zelbefindlichkeit. Es ist Alltag im Patriar­chat: Ihr kennt das.

Anwältinnen kennen das. Mechanikerin­nen kennen das. Reinigungskräfte kennen das. Frauenministerinnen ... kennen das auch, verdammt.

Drei Augenpaare, die euch anschauen mit diesem »Was willst du jetzt?«-Blick. Fremde Menschen, die ungefragt erklären, was der wahre Hintergrund eurer Erfahrungen mit Diskriminierung ist.

Auf der vorhergehenden Seite seht ihr ein Glossar, eine Liste von Worten, die die Welt begreifbarer und damit veränderbar machen. Zaubern ist die Veränderung der Realität durch Worte.

Wenn ihr im Glossar Begriffe lest, die ihr nicht versteht, versucht sie nachzu ­empfinden. Zu fühlen. Wenn ihr sie nicht fühlen könnt, fragt eure Mitmenschen: »Warst du schon einmal in einer Situation, in der du …?«

Denn was nützen uns Begriffe, wenn wir nicht empfinden.

Was nützt uns das Be-Greifen, wenn wir nichts fühlen?

Danke.

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Gelesen 3115 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 03 März 2022 11:25
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