Elke Kahr bei der Protestkundgebung von Beschäftigten aus dem Pflege- und Gesundheitsbereich am 19. Oktober in Graz. Elke Kahr bei der Protestkundgebung von Beschäftigten aus dem Pflege- und Gesundheitsbereich am 19. Oktober in Graz. SARAH PANSY / FLICKR

Vom Mieternotruf zur stärksten Kraft

von

Über den Weg der Grazer KPÖ – und über Nüsse, die noch zu knacken sind.

Eine Analyse von Franz Stephan Parteder

Es gibt unzählige Berichte und Analysen über den Wahlsieg der KPÖ in Graz. Teils mit Erstaunen, teils mit Zustimmung nehmen wir die unterschiedlichen Versu­che zur Kenntnis, unsere Arbeit politisch einzuordnen. Mir ist dabei ein Beitrag in der Wochenzeitung Liberté Hebdo aus Lille besonders aufgefallen. Darin beschreibt Jean-Pierre Tonder, seinerzeit Verantwort­licher für internationale Beziehungen der PCF (Region Nord), seine Besuche in Graz zu Beginn der 1990er Jahre und lobt unsere schon damals sichtbare offene Haltung, die sich von den traditionellen Formen der Parteidiplomatie deutlich unterschieden hat. Auch wir erinnern uns an den Genos­sen aus Frankreich: Er war es nämlich, der uns die Idee des Notruftelefons für Mieter Innen eingegeben hat. Er berichtete bei unserem Treffen über das »Telephone d’ur­gence« in Lille. Mit diesem Mieternotruf konnten KP-AmtsträgerInnen in der Region erfolgreich Delogierungen verhindern.

Mit unserem Mieternotruf begann die öffentliche Wahrnehmung der Grazer KPÖ als Wohnungspartei. Auf dieser Grundlage gelang Ernest Kaltenegger 1998 der Einzug in die Stadtregierung. Er wurde Wohnungs­stadtrat und begann, mit einem Großteil seines Politikerbezugs Menschen in Krisen­ Krisen­situationen zu helfen und am Jahresende an einem »Tag der offenen Konten« Rechenschaft über die Verwendung dieser Gelder abzulegen.

Caritas – oder mehr?

In den 23 Jahren, die seither vergangen sind, konnten die StadträtInnen der Grazer KPÖ und seit 2005 auch die Landtagsabge­ordneten insgesamt 2,3 Millionen Euro für diesen Zweck verwenden. Dies bedeutete eine konkrete Unterstützung für zahlreiche Personen, die sonst mit ihren Schwierigkei­ten kaum fertig geworden wären. Diese Aktion schuf darüber hinaus eine starke Welle der Sympathie für die Spitzenleute der KPÖ weit über den Kreis unserer Wäh­lerInnen hinaus. Die jährlichen Berichte über den »Tag der offenen Konten«, der in der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr stattfindet, finden sich in faktisch allen regionalen Medien an prominenter Stelle. Ohne dass wir das aussprechen wür­den, werden Vergleiche zwischen dieser Haltung unserer MandatarInnen und der Praxis der meisten PolitikerInnen der herr­schenden Parteien gezogen. Angesichts der sich häufenden Korruptionsskandale fallen sie sehr positiv für uns aus.

Die abfälligen Urteile einiger Konkurrent ­Innen, die Ernest Kaltenegger oder Elke Kahr deshalb Stimmenkauf vorwerfen oder behaupten, dies wäre Caritas, aber keine Politik, prallen bei der Mehrheit der Bevöl­kerung ab. Sie verdienen trotzdem eine tie­fere Betrachtung, weil diese Behauptungen auch von fortschrittlichen Menschen ganz oder teilweise geteilt werden. Dass Spitzen­personen unserer Bewegung keinen von der Mehrheit der Bevölkerung abgehobe­nen Lohn erhalten sollen, ist keine Erfin­dung der Grazer KPÖ. Ein Blick in das Statut der KPÖ genügt, um das festzustellen. Ihren Ursprung hat diese Bestimmung im »Par­teimaximum«, das die Bolschewiki nach der Oktoberrevolution eingeführt hatten. Wir halten es für wichtig, dass auch große Par­teien mit vielen Mandaten an dieser Bestimmung festhalten, weil sich so die Lebensumstände von führenden Politiker ­Innen nicht allzu sehr von der Mehrheit der Bevölkerung abheben. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zum Partei

maximum: Während in einigen Parteien die Mittel aus den PolitikerInnengagen ano­nym in das normale Partei budget fließen, verwenden Elke Kahr oder Robert Krotzer diese Gelder direkt und persönlich für ihre Hilfsmaßnahmen. Dies schafft ein viel grö­ßeres Vertrauen.

Schritt für Schritt

Diese politische Entscheidung ändert für sich genommen nichts an der sozialen Lage der Menschen. Wenn das »nur« unsere ein­zige Innovation gewesen wäre und wir auf politische Initiativen im engeren Sinn ver­zichtet hätten, dann hätte die Kritik an der »Caritas«-KPÖ eine gewisse Berechtigung. Ein Blick auf unsere Arbeit zeigt aber, dass wir Schritt für Schritt vorgegangen sind und versucht haben, so viele Menschen wie möglich einzubeziehen. Es ging uns darum, mit öffentlichen Aktionen und Kampagnen soziale Forderungen durchzusetzen. Die erste große Aktion war das Eintreten für eine Kostenobergrenze in den städtischen Wohnungen. Wir stellten im Gemeinderat den Antrag, dass durch ein Grazer Woh­nungszuzahlungsmodell niemand mehr als 30 Prozent des Einkommens für die Woh­nung (Miete plus Betriebskosten) zahlen darf.

Zuerst wurde dieses Anliegen von den herrschenden Parteien auf die lange Bank geschoben, obwohl wir 17.000 Unterschrif­ten für diese Forderung gesammelt hatten. Wir stellten deshalb bei jeder Gemeinderats­sitzung vor dem Rathaus eine Mauer auf, die von Sitzung zu Sitzung länger wurde, und verteilten Flugblätter: »Sie mauern gegen eine sinnvolle Sozialleistung«, bis diese Forderung – noch vor unserem ersten gro­ßen Wahlerfolg – einstimmig im Gemeinde­rat beschlossen wurde. Im Jahr 2004 konn­ten wir mit einer Volksbefragung die Priva­tisierung der städtischen Wohnungen ver­hindern. Sie sind bis heute im städtischen Eigentum. Auf unsere Initiative hin wurde ein Kautionsfonds für städtische Wohnun­gen eingeführt, der seither von zahlreichen Gemeinden und vom Land Steiermark über­nommen wurde.

Mit unserer wachsenden Stärke – 1998 Einzug in den Stadtsenat, Übernahme des Wohnungsreferates, 2003 erstmals über 20 Prozent der gültigen Stimmen, 2005 Einzug in den Landtag Steiermark, 2012 zum zwei­ten Mal 20 Prozent, 2017 zweiter Stadtrat in Graz, und schließlich fast 29 Prozent der gültigen Stimmen und stärkste Partei im Gemeinderat – erweiterte sich der Radius unserer Arbeit. Wir wurden von einer Mie­terInnenpartei zu einer politischen Kraft, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in Graz vom Standpunkt der arbei­tenden Menschen betrachtet und entspre­chende Initiativen setzt. Was anfangs (auch in der eigenen Partei) als Beschränkung betrachtet worden war, die dem umfassen­den Anspruch einer Partei unseres Typs entgegenstehen würde, stellt sich jetzt als der Ausgangspunkt für eine originelle Form der Parteientwicklung heraus, bei der es gelingt, immer breitere Kreise in unsere Arbeit einzubeziehen.

Gegenmodell zur etablierten Politik

Wir lernten durch die Verantwortung in der Stadtregierung auch die Mechanismen des bürgerlichen Politikbetriebs genauer kennen. Dabei versuchten wir, unsere starke Position im Rathaus mit ständigem Druck von unten zu verbinden, um Ver­schlechterungen für die Menschen abzu­wenden. Folgende Punkte kann man dabei verallgemeinern:

– Wir haben uns zuerst auf ganz wenige Punkte konzentriert. Man scheitert, wenn man zu viel auf einmal erreichen will. Eine kleine Bewegung, die sich verzettelt, wird immer klein bleiben.

– Wir machen eine Politik und eine Öffentlichkeitsarbeit, die den Bedingungen

unserer Zeit entsprechen. Dazu gehören auch die Personalisierung und das Nutzen alter und neuer Medien.

– Wir fühlen uns nicht als etwas Besseres als die Mehrheit der Bevölkerung. Wer in einer Zeit der Offensive der Reaktion Boden unter den Füßen bekommen und den Weg zu demokratischem und sozialem Fort­schritt öffnen will, der muss die Leute ernst nehmen und ihnen auch im täglichen Leben helfen. Unsere Losung »Wir alle sind Graz« bedeutet auch, dass wir für aus­nahmslos alle Menschen, die in Graz leben, da sind.

– Wir sind in unseren Aussagen glaub­würdig und machen nach einer erfolgrei­chen Wahl nichts anderes als wir vorher versprochen haben.

Als ein Gegenmodell zur herkömmlichen Politik sind wir deshalb über Graz und die Steiermark hinaus für viele Menschen inte­ressant geworden. Das bedeutet aber nicht, dass man uns in anderen Teilen des Landes oder auf Bundesebene einfach kopieren könnte.

Harte Nüsse knacken

Jetzt stehen wir vor einer neuen Herausfor­derung, für die es keine Rezepte gibt. Die KPÖ ist in der zweitgrößten Stadt Öster­reichs zur stärksten Kraft geworden. Wie können wir von dieser Position aus weiter­hin für unsere Ziele arbeiten, ohne in die Falle der Anpassung an das bestehende Gesellschaftssystem zu geraten? Gelingt es uns, die »normative Kraft des Faktischen« so gering zu halten, dass sie unseren Mar­kenkern nicht beschädigt?

Elke Kahr wird mit großer Wahrschein­lichkeit Grazer Bürgermeisterin. Die KPÖ dürfte in der kommenden Periode die stärkste Kraft in einer rot-rot-grünen Rat­hauskoalition sein, trotzdem bleiben wir in gesellschaftlicher Opposition in Öster­reich – und auch in Graz. Der Wahlsieg vom 26. September 2021 hat einen starken Wunsch nach Veränderung gezeigt, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse haben sich aber nicht geändert. Dazu kommt, dass die wirklich Mächtigen uns erstmals als Gefahr wahrnehmen, als Kraft, die ihre Pläne stören könnte. Davon zeugt nicht zuletzt die antikommunistische Kampagne in vielen Medien.

Es wird sehr viele Versuche geben, uns in den nächsten Monaten und Jahren scheitern zu lassen. Die Werkzeuge dafür sind vorhanden. Darüber hinaus machen die sich vertiefenden Krisenerscheinungen des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus die Arbeit für die Grazer Bevölkerung nicht leichter. Vor allem wird von oben her alles unternommen werden, um zu verhindern, dass die positive Ausstrahlung unserer Arbeit zu einer österreichweit massenwirksamen fortschrittlichen politi­schen Kraft führt.

Wir müssen in Graz unter diesen Bedin­gungen Politik machen und auch jetzt Schritt für Schritt vorgehen. Den Mut dür­fen wir dabei nicht verlieren. Wir sind eine Partei für das tägliche Leben und für die großen Ziele der fortschrittlichen Arbeite­rInnenbewegung. Wir haben eine starke Position im Grazer Rathaus: drei Sitze im Stadtsenat, 15 GemeinderätInnen und 59 BezirksrätInnen. Das hat es in der Geschichte unserer Partei noch nie gege­ben. Weit wichtiger ist es aber, unsere Par­teiorganisationen zu stärken sowie den Kontakt und die Zusammenarbeit mit gro­ßen Teilen der Bevölkerung noch besser zu machen. Schritt für Schritt ist es gelungen, dass die KPÖ in Graz wieder alle Funktio­nen einer kommunistischen Partei, die Interessenvertretung, den politischen Kampf und die ideologische Auseinander­setzung beherrscht. Unsere Mitgliederzahl ist gewachsen.

Jetzt stehen wir vor unserer größten Herausforderung. Elke Kahr hat in der Sit­zung der KPÖ-Bezirksleitung am 8. Okto­ber 2021 festgestellt: »Wir müssen wie der Adler einen scharfen Blick auf die Zustände bei uns haben, wir müssen schlau sein wie ein Fuchs, um den Attacken gegen uns auszuweichen, und wir werden – hof­fentlich – stark werden wie ein Bär, um noch größere Herausforderungen zu stem­men. Eines dürfen wir aber nicht verges­sen: Unser Maskottchen in Graz ist das Eichkatzerl. Wir werden in Zukunft mit starkem Biss noch einige harte Nüsse zu knacken haben«.

Franz Stephan Parteder war Landesvorsitzender der KPÖ Steiermark und von 2003 bis 2012 stv. Bezirksvorsteher in Graz – Innere Stadt.

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Gelesen 3098 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 17 November 2021 12:02
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