Die Bewegung gegen die Autobahnen wird dramatischer und drastischer.
Ein Essay von Robert Sommer
Es gibt eine Pose, die wie keine andere für den freien Mann relevant ist. Das ist die Bedienung der Gangschaltung, im Normalfall der H-Schaltung, mittels der rechten Hand Gottes. Die Autokonzerne helfen durch ihren Automatisierungsschwall mit, im Zusammenleben mit einem privaten PKW die liturgischen Ausdrucksformen der Automanie (Titel einer aktuellen Ausstellung im MOMA New York) zu missachten. Im Lager der Autogegner*innen könnte ja dann eventuell eine Campagne »Rettet die H-Schaltung« Verwirrung stiften. Diesen Spaß wird ihr die Protestbewegung gegen den Erderwärmer Nr. 1 kaum ermöglichen.
Auch wenn der Widerstand gegen den Lobau-Autobahntunnel, wie es vor Redak tionsschluss dieser Ausgabe aussah, nur langsam auf Touren kommt, so wird er doch ein weiteres Kapitel unserer kurzen Geschichte der Dramatisierung, der Dramaturgie und der Drastik der globalen Bewegung gegen die Autoindustrie schreiben. Schätzungsweise im Wochenrhythmus werden neue Aktionsformen bekannt, deren Erfinder*innen sich über Nachahmungen freuen. Festivals der Autokonzerne, wie Mitte September die IAA in München, sind der Kreativität der Autogegner*innen besonders förderlich; das kommt von der Dialektik der Erzeugung falscher Erzeugungen.
Dramatisierung. Dramaturgie. Drastik. Die drei Begriffe stehen für die Ausdrucksformen einer neuen Radikalität eines zivilgesellschaftlichen Engagements. Unsere kurze Geschichte des »Autohasses« beginnt in Basel. Lucius Burkhardt, einer der gesellschaftskritischen Intellektuellen dieser Stadt (heutigen Urbanist*innen ist er vor allem als Begründer der »Spaziergangswissenschaften« bekannt), erkannte, dass das Auto im Begriff war, die gewachsenen Innenstädte zu zerstören, gleichzeitig relativierte er aber den Triumph des motorisierten Individualverkehrs in den europäischen Städten. Der »erste Nachkriegsautorausch« werde möglicherweise 30 Jahre dauern, dann sei die Gesellschaft von der Mobilitätssucht genesen und eine vernünftige Verkehrspolitik könne in Gang gesetzt werden. An dieser Prognose ist etwas umwerfend bemerkenswert: sie stammt aus dem Jahre 1949, als stadt-auf-land-ab der Duft der Freiheit noch mit dem Benzin geruch identisch war.
Burkhardt wusste vor 75 Jahren, dass neue Verkehrsflächen Städte niemals entlasten, sondern mehr Verkehr generieren, der dann wiederum als Rechtfertigung neuer Straßenflächen herhalten muss. Die 1982 gegründete staatliche Autowahnbaugesellschaft Asfinag denunziert diese Warnung als Ausgeburt einer Ideologie. Ideologiefrei ist aus dieser Sicht nur die Tunnellobby, die aus Wirtschaftskammer, ÖGB, SPÖ, FPÖ, ÖVP, Stadt Wien, Porr, Strabag, ÖAMTC und chinesischen Kreditgebern besteht.
Diese Lobby und ähnliche Netzwerke in ganz Europa sind derzeit dabei, die zweifellos radikalisierte Ohne-Auto-Bewegung in die Nähe des Terrorismus zu rücken. Terrorismus liege vor, wenn Greenpeace-Mitglieder, so geschehen in der ersten Juliwoche 2021, die Schlüssel von tausend VW-Neuwagen klauten. Aber nicht, um sie zu recyceln. Die Volkswägen warteten wenige Tage im Verladehafen Emden darauf, deutsches Exportgut zu werden. Die Schlüssel musste sich der Autokonzern aus einem der Zugspitzengletscher holen, die durch die Warmfront bedroht sind. Vor dem Hintergrund der Klimakrise weitere Verbrennungsmotoren auf die Straße zu bringen sei so kaltblütig, dass ihre Organisation nicht einfach nur zuschauen wollte, sagte die Greenpeace-Sprecherin Marion Tiemann, während die Polizei wegen schwerstem Hausfriedensbruch ermittelte.
Immer wieder kommt es zu Autobrand serien. Der Höhepunkt dieser Feuerwerke des Punks war 2011 in Berlin. Dort wurden innerhalb einer Randale-Saison 700 Autos abgefackelt. Der politische Hintergrund ist allerdings unklar, vor allem dann, wenn der Fokus keineswegs auf Luxusautos liegt. Bestrafungen gibt‘s kaum, denn es ist leichter, Autos zum Knistern zu bringen als den Holzofen eines Anarchistenkellers. Man lege einen Grillanzünder aus dem Supermarkt auf den Autoreifen. Man entferne sich bewusst unauffällig oder man laufe weg, je nach Temperament, ließ sich die Wochenzeitung aus Zürich einschlägig unterrichten. Fünf Minuten später brennt der Reifen, nach zehn Minuten ist das Auto ein Wrack. Auch unter sehr am Unrecht Leidenden (also unter uns) ist die politische Korrektheit dieser antikonsumistischen Geste ein Thema. Befindet sich ein angezündetes Auto in Hanglage, können die Bremsen versagen, und die Fackel auf Rädern schlittert gegen einen völlig unschuldigen 2CV, dem Irokesen unter den Automarken.
Die Erfahrung von 1968 und der globalisierungskritischen Bewegung der 80er und 90er Jahre kristallisierte sich in einer neuen Partnerschaft – die so neu war, dass sie von den Ordnungskräften als Verwirrungssystem wahrgenommen wurde. Es kam zunehmend zu performativen, durchdramatisierten Ereignissen im öffentlichen Raum, etwa zu einer Flashmobkultur, die die Zuseher*innen entzückte und die Sicherheitskräfte zurück in ihre Schulbank zwängte.
In Erwägung, dass es in den 50er Jahren, als der Fetisch des Tempos noch unwidersprochen war, als die Männer ihr Herzklopfen dem Rhythmus des Scheibenwischers anpassten und als die DDR-Führung noch glauben machen wollte, ein Trabi sei dem Körper eines Arbeiterundbauern, sofern er weniger als130 Kilo hinters Lenkrad stopfen musste, wie an den Leib geschneidert – in Erwägung dieser Lage also war es fast ein bisserl selbstverständlich, dass Künstlerinnen und Künstlern einsprangen, wenn dem politischen Widerstand die Phantasien ausgingen. Hätten damals die Gewerkschaftsführer Lust auf Verkehrsplanung gehabt, lägen heute liebliche Weinorte wie Spitz oder Weißenkirchen zwischen den Pfeilern der Wachaubegleitautobahn, und von Rust aus wäre man nicht in einer Stunde, sondern in fünf Minuten drüben in lllmitz. Die Brücke über den Neusiedlersee war schon beschlossene Sache. Dem Landeshauptmann Kery (SPÖ) war es völlig denkunmöglich, Widerstand gegen die vier Kilometer Brücke in Betracht zu ziehen. Eine Schriftstellerin aus Wien, Klara Köttner-Benigni, wurde zum Kristallisationspunkt zivilen Ungehorsams. Das Bauwerk, ein Projekt der 60er Jahre, wurde erst 1975 fallen gelassen.
Was die Kritik an den Autokonzernen betrifft, denen es in manchen Nationalökonomien gelang, die jeweiligen Regierungen in Agenturen des Autoexports zu verwandeln, wurde der Geist von 68 schon in den 50erJahren vorweggenommen. Es fehlt hier der Platz, darüber zu spekulieren, wie dieser Vorsprung zustande kam. (Man könnte auch leicht wegdriften von der Ökonomie zur Vulgärpsychologie: etwa zur Analyse des sexuellen Untergrunds der KFZ-Fetischisierung, symbolisiert im ständigen Masturbationsgriff des Mannes auf die Sexgangschaltung).
Lucius Burckhardt wusste nicht, was ihn mehr empören sollte: die Zerschneidung der Alpen durch Asphaltbänder oder der Plan, seine Stadt Basel autogerecht zu gestalten; dadurch wäre die vom Krieg verschont gebliebene heimliche Hauptstadt der Schweiz ebenso ruiniert worden wie die deutschen und österreichischen Städte durch die Bombardierungen. Unglaublich, wie sehr Burckhardt der Zunft der Stadtplaner voraus dachte. Unter dem Titel »Altstadt in Gefahr« schrieb er: »Leider wird auch in der Tagespresse keine kritische Stimme laut, die Kommentatoren scheinen von der Verkehrspsychose angesteckt worden zu sein (soweit sie nicht sowieso ihren Geschmack den Bedürfnissen der Wirtschaft anpassen). Wenn die Zerstörung der Altstadt aufgehalten werden kann, bis der erste Nachkriegsautorausch verflogen ist, und die Entwicklung der Verkehrsmittel wieder ein Stück weiter übersehen werden kann, bis der gute Geschmack etwas nachgewachsen und die Skala der Wertungen wieder korrigiert, bis die Bombenverluste Mitteleuropas auch dem Basler Unterbewußten bewußt geworden sind, – wenn die Zerstörung der Altstadt, sagen wir, dreißig Jahre aufgehalten werden kann, so ist alles gewonnen.« (»Die Altstadt in Gefahr«. In: Basler Studentenschaft Nr. 1, Oktober 1949, 31. Jahrgang)
Wie sehr im Speziellen Lucius Burckhardt ein Stadtkritiker war, der in allen seinen Aktionen die feste Grenze zwischen Kunst und Revolution zerbröckeln ließ, zeigt sein späterer Werdegang. Als Lehrender an der Uni Kassel entwickelte er die soziologische Methode der Spaziergangswissenschaft bzw. Promenadologie, und mit Garantie ist so mancher strenge Akademiker heimlich empört darüber, dass Scharlatane Ausbildungsgelder verurassen.
Lucius Burkhardt starb 2003. Dass die Generation seiner Student*innen heute eigenmächtig genug erscheint, um nach leidenschaftlichem Hin und Her die demokratische Entscheidung zu treffen, die Frankfurter oder Münchner Internationalen Automessen in erster Linie durch Hunderttausend auf der Straße oder eher durch Akte individueller Sabotage zu bekämpfen, legitimiert durch das unumstößliche, in fast allen Verfassungen verankerte »abendländische« Prinzip der Freiheit der Kunst – das sorgt für den Hauch von Stolz, der seinem Grab entweht. Inzwischen genießen auch die deutschen Autokonzerne, dass es aus PR-Perspektive besser ist, in Zukunft auf SUV-Shows zu verzichten. Burkhardt repräsentiert den seltenen Typus von Akademiker*innen, die die Mauern zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, nach ihrer Meinung ein Relikt des Faschismus, zum Einsturz bringen wollen.
Und man kann ihn auch zu jenen Intellektuellen rechnen, die die neue Radikalität der »Autohasser« öffentlich nachvollziehen können. Logischerweise wird von diesen angegriffen, was am angreifbarsten ist. Das sind etwa die erwähnten Automessen, die notwendigerweise öffentlichen Raum beanspruchen, weil Messen im gesperrten Raum nicht dem Warenrausch, sondern der Pandemieverdünnung dienen. Netzwerk-Titel wie »Sand im Getriebe« signalisieren, dass die Bereitschaft, sehr konsequente Formen von zivilem Ungehorsam vorzuziehen, weit verbreitet ist.
Bei der IAA handle es sich um »die größte obszöne Glitzermesse der kriminellen Autoindustrie. Den knapp eine Million Besucher*innen werden die neuesten luftverpestenden und klimaschädlichen Kutschen präsentiert, die dem deutschen Exportkapitalismus den Schwarzmeerkaviar auf den Teller zaubern. Hier wird eine Zukunft unter dem Motto ›Driving tomorrow‹ präsentiert, wenn es eigentlich heißen müsste: Hier suhlt sich die kapitalistische Externalisierungsgesellschaft in ihren mörderischen Fetischen. (…) Wir glauben, dass jetzt alle Bedingungen gegeben sind, um damit einen solchen Kristallisationspunkt für eine Anti-Auto-Bewegung zu schaffen.
Gleichzeitig können die schon bestehenden Gruppen und Aktionen gegen das Auto, die sich auf lokaler Ebene finden, als Anknüpfungspunkte für eine breite Verwurzelung dienen. Denn gerade langfristiger Bewegungsaufbau lebt davon, dass Aktivist*innen sich nicht nur auf Massenevents einmal im Jahr sehen, sondern dass sie vor Ort in ihren Lebenswelten weiterkämpfen können. Und wirklich jede auch nur mittelgroße oder kleine Stadt bietet dafür die besten Anknüpfungspunkte. Denn das System Auto hat es in den letzten 70 Jahren geschafft, unsere Gesellschaft komplett zu durchdringen. Insofern sehen wir auch keinen Widerspruch zwischen lokalen Kämpfen und größeren Massenaktionen, sondern vielmehr die transformative Kraft, die sich durch das Zusammenspiel des Drucks von unten zeigt. Und den wollen wir jetzt gemeinsam aufbauen!«
Ein »Sand im Getriebe«-Text, dessen unbekanntem Autor der Besuch einer zapatistischen Schule für Dichtung, Abteilung Angewandte Ironie, sicherlich guttun würde. Bei ausreichendem Mitmach-Interesse würde sich übrigens die Volksstimme, warum nicht, zur Anlaufstelle eines Wettbewerbs zur Verfügung stellen. Die Teilnehmer*innen müssten bloß die den Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen entsprechenden Sprüche liefern. Man könnte sie groß auf die Windschutzscheiben kleben. Weil die Autos ohnehin bald alle automatisch fahren, könnte der existentielle Hinweis die Größe der Scheibe haben. Es sei eingeräumt, dass dieser nette Vorschlag, der einer der größten Schritte der Menschheit in die Zukunft ist, von Mikael Cilvill-Andersen stammt. Ein politischer oder künstlerischer Akt? Heute kann man die Frage noch stellen, aber übermorgen wird man nur noch »Bahnhof« verstehen. »Stellen Sie sich einmal vor, was dann los wäre. Was wäre, wenn ab Montag alle Autos mit Warnhinweisen fahren müssten? Das würde die Wahrnehmung des Autos komplett verändern. Dann würden wir vielleicht bemerken, dass in Europa jährlich 35.000 Menschen durch Autos sterben. Dazu kommt die Luftverschmutzung, die Lärmbelastung. Ich finde, da sind Warnhinweise angemessen«, bekräftigte der Autor des Buches »Copenhagenize«.
Wo werden wir übrigens (falls wir wirklich den Entschluss gefasst haben, unsere Kiste zu verschrotten und keinen Ersatz mehr in Erwägung zu ziehen) die Loslösung gebührend feiern? Natürlich in den Tankstellen, für die wir erst eine neue Funktion erfunden werden müssen. Nur tanzen, wo getankt wurde, ist nicht sehr einfallsreich (und reimt sich nicht einmal). Das Kunstprojekt Mein letztes Auto (2020) der in Wien lebenden Performerinnen Cosima Terrasse, Veronika Hackl und Andrea Visotschnig wies wohl viele erstmals auf das Problem hin, dass wir nicht nur alternative Nutzungskonzepte für Weinkeller, Vierkanthöfe, katholische Kirchen, Truppenübungsplätze und Flüchtlingsboote bräuchten, sondern auch Ideen für neues Leben auf den Tankstellen. Die Ideen können zündend sein – es wird uns nicht an Benzin mangeln. Die symbolischen Autobegräbnisse an den Tankstellen werden dem Tod in Wien erst jenen Mythos verleihen, für den er auf der Welt bekannt ist. An diesen Tankstellen setzen die Pompfüneberer ihre Professionalität fort – galten sie doch als einzige Berufstätige, die die Versiegelung des Bodens verlangsamten. Sie schaufelten nicht Meuter, sondern Erde in die Gruben.