Rosa Luxemburg: Zum 150. Geburtstag einer Revolutionärin

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Von Amir Sturm

»Ich war, ich bin, ich werde sein« – dies attestierte Rosa Luxemburg der sozialistischen Revolution in ihrem letzten Aufruf an das deutsche Proletariat vor ihrer Ermordung 1919. Dasselbe könnte man auch von ihr selbst behaupten, angesichts der breiten Rezeption, die sie und ihr Leben auch über 100 Jahre später noch erfahren. Anlässlich ihres 150. Geburtstags diskutieren wir im Folgenden einige wenige Gesichtspunkte des – mitunter umstrittenen – Vermächtnisses Rosa Luxemburgs. Dafür greift der Beitrag zwei Aspekte ihres Lebens und Werks auf, um im Anschluss den Versuch zu wagen, sie für Fragen der Gegenwart fruchtbar zu machen: erstens Luxemburgs Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten linker Regierungsbeteiligung im bürgerlichen Staat und zweitens die ihr stellenweise zugeschriebene Rolle als feministische Theoretikerin.

 

Biographische Positionen

Aus einer prekären jüdisch polnischen Kaufmannsfamilie stammend, war Luxemburg schon von Kindheit an ein feinsinniger und politischer Mensch. Sie schrieb in der Schulzeit politische Gedichte, trat als Gymnasiastin gegen schulische Ungerechtigkeit auf und kam bereits als Jugendliche mit der polnischen Arbeiter*innenbewegung in Kontakt. Ende der 1880er Jahre begann sie ihr Studium der Rechtswissenschaften und Nationalökonomie und nahm aktiv am Aufbau der und Diskussionen inder polnischen Sozialdemokratie teil. Ein Dauerbrenner, der letztlich auch eine Spaltung der Partei unter ihrer Führung provozierte, war die Unabhängigkeit Polens, die Luxemburg Zeit ihres Lebens auf das Schärfste ablehnte. Als sie in den späten1890ern nach Deutschland übersiedelte, trat sie sogleich in die SPD ein und agitierte unter der deutschen und polnischen Arbeiter*innenschaft für Solidarität und Sozialismus. Bereits kurz nach ihrem Eintritt machte sie mit ihrer Schrift »Sozialreform oder Revolution?« auf sich aufmerksam, in der sie dem Revisionismus Eduard Bernsteins ein vernichtendes Zeugnis ausstellte – erneut hatte sie sich mit ihrer Haltung einige Feinde gemacht. Ebenso widerwillig nahm die SPD Führung Luxemburgs Rezeption der russischen Revolution 1905 zur Kenntnis, die sie als leuchtendes Beispiel für Deutschland verstanden wissen wollte. Bis zur völligen Unvereinbarkeit zugespitzt wurde der Konflikt mit der Parteiführung im Zuge des Ersten Weltkrieges: Während die Parteispitze in »Burgfrieden« und patriotischen Taumel verfiel, lehnte Luxemburg das Völkerschlachten als imperialistischen Raubkrieg zutiefst ab. Nachdem die Sozialdemokratie endgültig abgewirtschaftet war, gründete sie mit dem linken Flügel der Partei zunächst den Spartakusbund und schließlich die Kommunistische Partei Deutschlands. Als diese die deutsche Novemberrevolution bis zum Sozialismus voranbringen wollte, wandelte sich die Ablehnung der SPD ihr gegenüber zu blankem Hass: Die von der SPD unter Friedrich Ebert bezahlten Freikorps ermordeten Luxemburg kaltblütig unter dem Applaus von Parteispitze und Reaktion.

Zurück in der Gegenwart wundert man sich ob dieser Tatsachen über so manchen Luxemburg-Bewunderer. Wenn beispielsweise die Friedrich-Ebert-Stiftung – deren Namensgeber Luxemburg als »Schutzwand der Bourgeoisie« bezeichnete, mit dem es abzurechnen gelte – ihre »Gedanken- und Ideenwelt als »anregend und wichtig« bezeichnet, kommt man doch etwas ins Grübeln. In dieser Lesart wird Luxemburg als das Gegenteil Lenins und allen, die sich auf ihn berufen, stilisiert und ihr eine Art parlamentarisch-demokratischer Antiautoritarismus zugeschrieben. Diese Charakterisierung trifft aber auf keine Periode in ihrem Denken zu. Schon 1898 legte sie in »Sozialreform oder Revolution« ihr instrumentelles Verständnis zum Parlamentarismus dar und stellte klar, dass ihr Ziel die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus und Errichtung des Sozialismus ist. In ihren Artikeln in der Roten Fahne im November 1918 werden die revolutionären Reflexionen zu konkreten Taktiken, die die Tagesaufgaben für die deutsche Revolution formulieren. Und dass Luxemburgs Kritik am Bolschewismus nicht mit dessen völliger Ablehnung zu identifizieren ist, hat Clara Zetkin bereits in den frühen 1920ern dargelegt. Entgegen der verbreiteten Rezeption historisch losgelöster Zitate, aber auch unter Ablehnung eines Dogmatismus, der Parallelen zu heute zieht, wo keine sind, schlagen wir eine pragmatische Umsetzung ihrer Kerngedanken vor: Für welche Probleme der Gegenwart lassen sich Anleihen aus ihrer Argumentation entnehmen? Wie kann uns Luxemburgs Interpretation der historischen Umstände helfen, Schwierigkeiten der Kapitalismusanalyse zu überwinden, wo sind ihr aber auch Grenzen gesetzt?

 

Aktualität in der Krise

Gegenwärtig befinden wir uns in den schwersten sozialen und wirtschaftlichen Krisen seit den 1930er Jahren; die Schlagkraft linker Politik in Österreich bleibt in Diskurs und Wirtschaft aus. Vor diesem Hintergrund gewinnen Debatten an Aufwind, die sich linken Strategien der Krisenbewältigung widmen. Ohne auf die Details entsprechender Kampagnen einzugehen, drängen sich in diesem Zusammenhang Fragen nach dem Verhältnis zwischen linker Regierungskritik und Regierung selbst auf. In Luxemburgs Abhandlungen zum »Fall Millerand« diskutiert sie anhand des französischen Fallbeispiels linker Regierungsbeteiligung die Rolle sozialistischer Politik; analysiert dabei die Kluft zwischen sozialistischer Praxis und marxistischer Theorie. Ihr Fazit ist eindeutig: Der Platz einer revolutionären Partei, will sie nicht zum Steigbügelhalter des bürgerlichen Staats verkommen, ist die Oppositionsbank. Reformen sind stets als Zweck und nicht als politisches Ziel zu betrachten; sie bewegen sich als Teil »revolutionärer Realpolitik« im Spannungsfeld zwischen erfolgreicher Lebensstandardverbesserung und Agitationskraft einerseits, kapitalistische Vereinnahmung und Resignation andererseits. Im Kontext linker Regierungsbeteiligung kritisiert sie den »vollkommen utopische[n] Plan [...] zu denken, ein Ressort der Regierung könne bürgerliche, ein anderes sozialistische Politik treiben, und die Zentralverwaltung könne somit stückweise, nach einzelnen Ressorts für die Arbeiterklasse erobert werden«.

Angesichts der aktuellen Schwäche der Linken stellen sich Fragen in dieser Form nicht. Jedoch lässt sich mit Luxemburgs Hilfe kritisch fragend in die Debatte intervenieren: Was ist angesichts der realen Kräfteverhältnisse die Aufgabe der Linken – oppositionelle Regierungskritik oder alternativer Krisenverwaltungsvorschlag? Wie können wir das »Maximum fordern, um weniges zu erreichen« ohne dabei in Verbalradikalismus zu verfallen? Und wie müssen Forderungen formuliert werden, damit sie, selbst bei einer bloß partiellen Umsetzung, noch die Bevölkerung erreichen? Diese Fragen können an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden; sie stellen lediglich einen Versuch da, mit Luxemburg einen Schritt hinter die Konfrontationslinien der – nun doch endlich stattfindenden – Debatte zurückzutreten, um sie auf ihre realen Möglichkeiten hin abzutasten.

 

Rosa, die Feministin?

Zweitens wurden angesichts des überragenden Lebenswerks der Revolutionärin auch Versuche unternommen, die »Feministin Rosa Luxemburg« zu entdecken. Allerdings waren andere Themen – Revolutionstheorie, Reformismuskritik, Sozialismus und nationale Frage – ihr schöpferischer Schwerpunkt, wobei die »Frauenfrage« nur am Rande explizit von ihr behandelt wurde. Ein rigoroses Beispiel für derartige Vorhaben liefert die feministische Ökonomie. Innerhalb der sogenannten »Hausarbeitsdebatte« fand eine bestimmte Rezeption Luxemburgs »Die Akkumulation des Kapitals« für die Frage der sozialen Reproduktion Verbreitung. Die zentrale These dabei: Luxemburgs Verständnis der Angewiesenheit des Kapitalismus auf »nicht-kapitalistische Produktionsformen« kann auf die mehrheitlich unbezahlte Reproduktionsarbeit in den Zentren der kapitalistischen Produktion angewendet werden. In der Bewertung dieses Ansatzes hat sich nicht nur der theoretisch grobe Vergleich von Frauenunterdrückung und Kolonialismus – diesem Verständnis nach zwei analog ausgebeutete Sphären der kapitalistischen Produktion – als analytisch unhaltbar erwiesen, auch die Bedienung an den Begriffen von Marx und Luxemburg bei gleichzeitiger Verwässerung ihrer Bedeutungen sorgte für kritische Repliken. Das überzeugendste Argument liefert der Frauenarbeitskreis des Institut für marxistischeStudien und Forschung, wenn die Autorinnen darauf verweisen, dass das Charakteristische der Hausarbeit – nämlich ihre kontinuierliche Ausbeutung und ständige Reproduktion – genau nicht mit Luxemburgs Akkumulationstheorie erfasst werden kann. Sie schreiben: »Rosa Luxemburg sieht ja gerade im Angewiesensein des Kapitals auf ein nicht-kapitalistisches Milieu und dessen allmähliche Zerstörung die Schranke der Produktionsweise.« In der Gegenwart zeigt sich aber, dass weder die kapitalistische Produktionsweise noch die Hausarbeit im Niedergang begriffen sind. Der theoretisch akrobatische Versuch, das Werk der Ökonomin in feministische Reproduktionstheorien einzugliedern, droht zu scheitern und nimmt es auch gewissermaßen nicht Ernst. Muss Luxemburg – eben weil sie eine Frau ist – zwangläufig die feministische Theorie bereichern?

Der Versuch, Luxemburgs Bedeutung für die Frauenbewegung anhand theoretischer Beiträge zum Feminismus festzumachen, verfehlt den wahren Wert ihres Lebenswerks. Der feministischen Theorie als solche, die Frauen und Fragen der sozialen Reproduktion explizit zum Thema machen, haben sich historisch andere Persönlichkeiten gewidmet. Was sich Feminist * innen von Luxemburg abschauen können, ist vielmehr die Praxis weiblicher Teilhabe am politischen Geschehen. Luxemburgs Mut, sich mit radikalen Standpunkten einzumischen und dabei so manche sozialistische Altherrenrunde aufzuschrecken, zeugt von enormer politischer Kraft. Dass es für sie als Frau irgendeine spezielle politische Stellung zu geben habe, die sich von ihren männlichen Genossen unterscheiden würde, war ihr nicht mal einen Gedanken Wert – es war für sie völlig klar, dass eine Frau als Kampfgenossin mit genau denselben Aufgaben betraut ist.

Es bleibt die Schwierigkeit zeitgenössischen Denkens, an politische Tradition anzuknüpfen und von ihr zu lernen, ohne dabei einer Vereinfachung oder Überzeichnung aufzusitzen. Zum 150. Geburtstag Rosa Luxemburgs setzen wir in diesem Sinne einen kritischen Apell, für und mit einer Revolutionärin, die sich selbst Zeit ihres Lebens dem kritischen Denken verschrieben hat.

Amir Sturm, geboren 1995, Student der Geschichte und Anglistik. Aktiv in der KPÖ Meidling und bei Junge Linke Wien.

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Gelesen 4369 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 27 April 2023 10:03
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