LINKER FUSSBALL IN WIEN

von

»Es geht hier nicht um Leben oder Tod …

… es geht um mehr.« Es gibt in Wien zwei berühmte linke Fußballvereine – der »First Vienna FC 1894« in Döbling und der »Wiener Sport-Club« in Hernals. Die Frauenteams beider Vereine spielen in der ÖFB-Frauen 2. Liga, die Männer des schwarzweißen Sport-Clubs spielen in der Regionalliga Ost, die Männer der blau-gelben Vienna in der Stadtliga. Die Anhänger*innen der beiden Clubs sind bekannt für ihr aggressionsfreies, inklusives und fortschrittliches Fantum. Passenderweise treffen sich die beiden Vereine regelmäßig zum »Derby of Love«. Die Volksstimme hat je eine Fan gefragt, warum ihr Verein der beste Verein der Welt ist.

FIRST VIENNA FC 1894

 

VON VALERIA MIGSCH

 

Die Liebe meines Lebens, für immer blau und gelb

Ein bisschen ein Zoo ist es ja schon immer da oben in Döbling. Inmitten von Wiens Nobelbezirk liegt die Naturarena Hohe Warte, die Heimstätte von Österreichs ältestem Fußballverein, dem First Vienna Football Club 1894. Und zumindest jedes zweite Wochenende tummelt sich da oben freitagabends allerlei Getier. Von politischen Ponys und kritischen Kojoten bis zu renitenten Rude Grrrls und wachsamen Wanderern, alles ist vertreten.

Entsprechend laut geht es auch zu, ob zu Hause oder auswärts, gesungen wird in 90-minütiger Länge. Mit ganz viel Gefühl, mehrsprachig, selten einstimmig, aber ein­hellig in der Überzeugung, dass Support etwas Positives sein sollte. Die Fans stellen sich gegen Diskriminierung jedweder Art auf und abseits des Spielfelds, und die Spruchbänder sprechen Bände, weil unter­irdisch ist bei der Vienna höchsten der Tri­bünenzugang – der liegt nämlich unter­halb. Und egal, wie gut bedudelt (es gibt auch Dudelsackbegleitung) und in welcher Halbzeit, mensch kann sich immer frei bewegen auf der Tribüne, unabhängig von Orientierung, Geschlecht und Herkunft.

Das ist jetzt anders. Aber nicht, weil wir unsere Prinzipien vergessen haben; Corona hat uns im wahrsten Sinne des Wortes viel von unserer Bewegungsfrei­heit genommen, hat uns nachdenklicher und vorsichtiger gemacht. Wir wissen, dass wir als organisierte Fanszene Verantwor­tung haben, und die nehmen wir sehr ernst. Neben Choreografieideen diskutieren wir jetzt viel über Stadionkonzepte, stehen in ständigem Austausch mit dem Verein, überlegen, was wir noch besser machen können. Wir wollen konstruktiv und Teil der Lösung sein, nicht Teil des Problems. Und soweit funktioniert das gut, was wir von der Entscheidung der Fußballlandes­verbände zum Thema Saisonabbruch nicht behaupten können. Aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel. Bis dahin treten wir dem Virus mit einem Babyelefanten-Abstand in den Allerwertesten und passen gut aufeinander auf, weil bei der Vienna kannst du alles sein, was du willst, aber du bist nie allein.

WIENER SPORT-CLUB

 

VON MADLEINE DRESCHER

 

Hernois is ois!

Mehr als sechs Monate ist es her, dass wir auf der Friedhofstribüne standen und unseren Verein angefeuert haben. Dazwischen ist viel passiert. Die ersten drei Spiele mussten verschoben werden – wegen Corona – eine Erinnerung daran, dass das alles vielleicht doch nicht so normal ist.

Und ja, es ist anders, wir haben plötzlich fixe Sitzplätze, nur Abo Besitzer*innen dürfen auf die Tribüne, zumindest vorerst.

Dennoch, beim Aussteigen aus der 43er leuchten die Gesichter, von weitem ragen die Flutlichtmasten in die Höhe. Je näher die Fans dem Stadion kommen, umso größer wird die Vorfreude.

Home is where the Graveyard is:

Als der Pfiff des Schiris ertönt, ist die sprichwörtliche Friedhofsruhe, die während Corona noch brüllender zu sein schien, gebrochen. »Sportclub is on the green«.

Und das schon seit 1907. Da entstand der Wiener Sportclub aus dem Zusammenschluss des Wiener Cylistenclubs und der Wiener Sportvereinigung. Seitdem wird vor der Kulisse des Hernalser Friedhofs gekickt.

Und es wird – gerade an diesem Fußballabend – wieder sichtbar: Der Wiener Sport-Club ist für viele Menschen nicht nur ein Verein, sondern ein Zuhause, ein Freund*innenkreis, eine Zuflucht vor dem verdammt grauen Alltag, ein Ort, an dem alle Platz haben sollen.

All different – all equal?

Einige Tage vorher haben wir, die Fanvereinigung des Wiener Sportclub »Freund* innen der Friedhofstribüne« uns getroffen, um Transparente zu malen. Anlass war die Entscheidung der Verbandsvorsitzenden, die Liga mit nur 13 – statt 16 Vereinen abzuhalten.

Anlässlich der europäischen Schande Moria haben wir eine Woche später das »Fuck Frontex« Transpi aufgehängt, dazwischen hängt die »Fußballfans gegen Homophobie« Fahne, an der Bande der Haupttribüne steht »all different – all equal«.

Sexismus, Homophobie, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung wurden in den letzten Jahren weitgehend erfolgreich von den Rängen verbannt.

Jede* und jeder* ist willkommen. Doch das passiert nicht von alleine. Jahrelange Arbeit von Fans und das aktive Engagement so Vieler steht dahinter. Im Hintergrund steht die Erkenntnis, dass das Stadion immer auch ein Spiegel der Gesellschaft ist und somit ein Kampffeld.

Ob das die Plena der Freund*innen der Friedhofstribüne sind, das Transpimalen, das Schreiben einer Broschüre zu (historischem) Antisemitismus im Verein, das ehrenamtlich Hinter-der-Bar-Stehen im Flag (dem Vereinslokal) oder die Organisation des Ute Bock Cup.

Dazu gehört, dass jede* und jeder* auf Tribüne aktiv eingreift, wenn einer beispielsweise sexistische, rassistische oder homophobe Sprüche ruft.

Denn nicht nur auf dem Platz wird um Hegemonie gerungen, sondern eben auch auf der Tribüne.

Fußball lebt von den Menschen, die ihn anschauen und ihn aktiv mitgestalten (deshalb auch ganz nebenbei: Geisterspiele nur am Friedhof!).

Und deshalb stehen am Ende endlich wieder alle gemeinsam auf der Friedhofs tribüne und singen »Hernois is ois«. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen.

 

Valeria Migsch ist tier­liebe Feministin mit Faible für Fußball.

Madeleine Drescher ist Fußballfan und aktiv bei den Freund*innen der Friedhofstribüne.

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Gelesen 5818 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 04 November 2020 09:13
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