Pressekonferenz des Landes Kärnten am 4. Mai anlässlich des Jahrestags der Beendigung des Zweiten Weltkriegs mit Landeshauptmann Peter Kaiser, Landtagspräsident Reinhart Rohr und Landesarchiv-Direktor Thomas Zeloth: Da war es wieder, das Wort von der »Selbstbefreiung« Kärntens.
Ein Kommentar von MIRKO MESSNER.
Millionen sowjetischer Soldaten und Soldatinnen, Hunderttausende der Westalliierten, Hunderttausende Partisaninnen und Partisanen sowie jahrelangen Widerstand Leistende in ganz Europa verloren ihr Leben im Kampf gegen die Nazis und ihre Wehrmacht, die schließlich am 8. und 9. Mai bedingungslos kapitulierte. Was Kärnten betrifft, wäre das alles nicht notwendig gewesen, denn dieses Land hat sich, geht es nach offizieller Darstellung, »selbst befreit«, durch eine Handvoll »Männer der ersten Stunde«. Die haben zudem nur drei Tage dafür gebraucht, und unblutig haben sie es auch hingekriegt.
Und das ging kurz zusammengefasst so: Eine Handvoll Männer war kurz vor der Kapitulation der Nazi-Wehrmacht auf Initiative des Nazi-Gauhauptmanns Natmeßnig in die Reichsstatthalterei in Klagenfurt gebracht worden. Dort wurden sie dazu angehalten, möglichst rasch einen »Vollzugsausschuss« zu bilden und mit Natmeßnigs Chef, dem Gauleiter und Chef der Nazi-Zivilverwaltung im Alpen-Adria-Gebiet Friedrich Rainer, eine Übergabe der Amtsgeschäfte einzuleiten. Rainer – vom Triestiner Historiker Galliano Fogar als »Schlächter mit feinen Manieren« bezeichnet, persönlicher Freund des Serienkillers Odilo Globocnik, der sich dieser Tage auch in Kärnten herumtrieb – beauftragte für die Überleitung den Gauhauptmann, und der verkündete am 8. Mai via Radio und Kärntner Landeszeitung seine einschlägige Botschaft: Die in dieser Gruppe vertretenen Parteien würden garantieren, »dass das Kärntner Volk einig und stark sein wird, wenn es darum geht, gegen einen inneren und äußeren Feind seinen bereits vor 25 Jahren zum Ausdruck gebrachten Volkswillen zur Unteilbarkeit unseres Landes zur Geltung zu bringen«. Vor 25 Jahren, d. h. 1920, gab es nur eine Bevölkerungsgruppe als Feindbild, natürlich die slowenische, speziell ihren jugoslawisch orientierten Teil.
Das ausschlaggebende Motiv und die Eile der Kärntner Nazis, ihre Verantwortung loszuwerden, war nicht nur das persönliche Anliegen, sich in die Kärntner Berge, ins Ausland oder in den Selbstmord zu flüchten. Es ging ihnen um die ideologische Staffelübergabe im Sinne des Deutschnationalismus, als dessen Exekutoren sie sich verstanden, dessen zivilgesellschaftliche hegemoniale Macht sie bestens kannten, weil sie selbst mit und in ihr lebten, bzw. für sie. In diesem Sinne – angesichts des Tempos der heranrückenden britischen und vor allem jugoslawischen Truppen – ging es ihnen um möglichst günstige Ausgangspositionen für die Bekämpfung der absehbaren slowenischen bzw. jugoslawischen Forderung nach Abtretung Südkärntens an Jugoslawien. War der Deutschnationalismus in den Jahren zuvor nationalsozialistisch-rassistisch angereichtert worden, ging es ihnen jetzt um dementsprechende Abreicherung, die es ihnen ermöglichen sollte, ihre alte neue Agenda im Kalten Krieg zu finden, der sich bereits abzeichnete.
Die von den Sprechern der Landesregierung und des Kärntner Geschichtsvereins als »Männer der ersten Stunde« Bezeichneten hatten also die Regierungsgeschäfte aus den Händen der Nazis übernommen bzw. übernehmen wollen. Sie waren in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung weder Repräsentanten des realen antifaschistischen Widerstands in Kärnten, noch waren es »Männer der ersten Stunde«; selbst nach der personellen und politischen Erweiterung dieser Gruppe waren sie keine provisorische
»Landesregierung« im heutigen Sinn, sondern hingen lange Zeit nach der Befreiung an einmal längerer, einmal kürzerer Leine der britischen Militärverwaltung bzw. -regierung, in deren Händen nach dem Abzug der jugoslawischen Armeeeinheiten Ende Mai 1945
die reale Macht lag.
Den realen Widerstand bildeten, wie hinlänglich bekannt, die Kärntner slowenischen Partisaninnen und Partisanen, Mitglieder der KPÖ, antifaschistisch Gesinnte und Handelnde aus katholischen, sozialdemokratischen und anderen Bereichen, die KZ-Insassen am Loibl. Sie alle hatten tatsächlich unter Einsatz ihres Lebens gegen die Nazis gekämpft, so wie die tausenden sowjetischen Kriegsgefangenen, die in den Kärntner Nazi-Lagern zu Tode kamen. Das waren die realen Frauen und Männer der ersten Stunde, und diese begann nicht in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs.
Die Frage, die sich aufdrängt, ist nicht die nach historischen Tatsachen. Die sind geklärt. Vielmehr lautet sie: Wieso verbreitet das politische Personal des Landes die Münchhausiade von der Kärntner Selbstbefreiung, auf die Gefahr hin, lächerlich zu wirken? Weil das Gerede von der Selbstbefreiung das Schweigen über jene einschließt, die tatsächlich für die Befreiung vom Nazifaschismus gekämpft haben. Und weil es dem Kärntner Deutschnationalismus des Jahres 1920 ermöglicht, seine Rolle als Geburtshelfer des Nationalsozialismus, seine Mittäterschaft im Naziregime vergessen zu lassen. Und sich so direkt in die Gegenwart herüberzuretten. Gesäubert, durch die halbamtliche »Konsensgruppe« geläutert bzw. zum Schönreden erzogen soll er dann am 10. Oktober – mit slowenischen Gesangschören aufgemotzt – als Einheit des Kärntner Volkes zelebriert werden.
*) Baron Münchhausen zieht sich samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Obwohl er nachweislich kein Kärntner war.