Landesarchiv-Direktor Zeloth zu den Gesprächspartnern des Nazi-Gauleiters Rainer: »Diese Männer wollten einen unblutigen Umsturz, ohne Kampfhandlungen und die Besetzung durch die jugoslawische Armee verhindern. 12 Jahre Diktatur, sieben Jahre erbarmungslose Gewaltherrschaft endeten mit dem Aufstand dieser Männer«. Landesarchiv-Direktor Zeloth zu den Gesprächspartnern des Nazi-Gauleiters Rainer: »Diese Männer wollten einen unblutigen Umsturz, ohne Kampfhandlungen und die Besetzung durch die jugoslawische Armee verhindern. 12 Jahre Diktatur, sieben Jahre erbarmungslose Gewaltherrschaft endeten mit dem Aufstand dieser Männer«. www.meinbezirk.at
30 Juni

ZEITGESCHICHTE: Die Stunde der Kärntner Patrioten oder Baron Münchhausen, der Selbstbefreier*

von

Pressekonferenz des Landes Kärnten am 4. Mai anlässlich des Jahrestags der Beendi­gung des Zweiten Weltkriegs mit Landes­hauptmann Peter Kaiser, Landtagspräsident Reinhart Rohr und Landesarchiv-Direktor Thomas Zeloth: Da war es wieder, das Wort von der »Selbstbefreiung« Kärntens.

Ein Kommentar von MIRKO MESSNER.

Millionen sowjetischer Soldaten und Soldatinnen, Hunderttausende der Westalliierten, Hunderttausende Partisa­ninnen und Partisanen sowie jahrelangen Widerstand Leistende in ganz Europa ver­loren ihr Leben im Kampf gegen die Nazis und ihre Wehrmacht, die schließlich am 8. und 9. Mai bedingungslos kapitulierte. Was Kärnten betrifft, wäre das alles nicht notwendig gewesen, denn dieses Land hat sich, geht es nach offizieller Darstellung, »selbst befreit«, durch eine Handvoll »Männer der ersten Stunde«. Die haben zudem nur drei Tage dafür gebraucht, und unblutig haben sie es auch hinge­kriegt.

Und das ging kurz zusammengefasst so: Eine Handvoll Männer war kurz vor der Kapitulation der Nazi-Wehrmacht auf Ini­tiative des Nazi-Gauhauptmanns Natmeß­nig in die Reichsstatthalterei in Klagen­furt gebracht worden. Dort wurden sie dazu angehalten, möglichst rasch einen »Vollzugsausschuss« zu bilden und mit Natmeßnigs Chef, dem Gauleiter und Chef der Nazi-Zivilverwaltung im Alpen-Adria-Gebiet Friedrich Rainer, eine Übergabe der Amtsgeschäfte einzuleiten. Rainer – vom Triestiner Historiker Galliano Fogar als »Schlächter mit feinen Manieren« bezeichnet, persönlicher Freund des Serienkillers Odilo Globocnik, der sich dieser Tage auch in Kärnten herumtrieb – beauftragte für die Überleitung den Gau­hauptmann, und der verkündete am 8. Mai via Radio und Kärntner Landeszei­tung seine einschlägige Botschaft: Die in dieser Gruppe vertretenen Parteien wür­den garantieren, »dass das Kärntner Volk einig und stark sein wird, wenn es darum geht, gegen einen inneren und äußeren Feind seinen bereits vor 25 Jahren zum Ausdruck gebrachten Volkswillen zur Unteilbarkeit unseres Landes zur Geltung zu bringen«. Vor 25 Jahren, d. h. 1920, gab es nur eine Bevölkerungsgruppe als Feindbild, natürlich die slowenische, spe­ziell ihren jugoslawisch orientierten Teil.

Das ausschlaggebende Motiv und die Eile der Kärntner Nazis, ihre Verantwor­tung loszuwerden, war nicht nur das per­sönliche Anliegen, sich in die Kärntner Berge, ins Ausland oder in den Selbstmord zu flüchten. Es ging ihnen um die ideologische Staffelübergabe im Sinne des Deutschnationalismus, als dessen Exeku­toren sie sich verstanden, dessen zivilge­sellschaftliche hegemoniale Macht sie bestens kannten, weil sie selbst mit und in ihr lebten, bzw. für sie. In diesem Sinne – angesichts des Tempos der heranrücken­den britischen und vor allem jugoslawi­schen Truppen – ging es ihnen um mög­lichst günstige Ausgangspositionen für die Bekämpfung der absehbaren sloweni­schen bzw. jugoslawischen Forderung nach Abtretung Südkärntens an Jugosla­wien. War der Deutschnationalismus in den Jahren zuvor nationalsozialistisch-rassistisch angereichtert worden, ging es ihnen jetzt um dementsprechende Abrei­cherung, die es ihnen ermöglichen sollte, ihre alte neue Agenda im Kalten Krieg zu finden, der sich bereits abzeichnete.

Die von den Sprechern der Landesregie­rung und des Kärntner Geschichtsvereins als »Männer der ersten Stunde« Bezeich­neten hatten also die Regierungsgeschäfte aus den Händen der Nazis übernommen bzw. übernehmen wollen. Sie waren in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung weder Repräsentanten des realen antifaschistischen Widerstands in Kärnten, noch waren es »Männer der ersten Stunde«; selbst nach der personellen und politischen Erweiterung dieser Gruppe waren sie keine provisorische
»Landesregierung« im heutigen Sinn, sondern hingen lange Zeit nach der Befreiung an einmal längerer, einmal kürzerer Leine der britischen Militärverwaltung bzw. -regierung, in deren Händen nach dem Abzug der jugoslawischen Armeeeinheiten Ende Mai 1945
die reale Macht lag.

Den realen Widerstand bildeten, wie hinlänglich bekannt, die Kärntner slo­wenischen Partisaninnen und Partisa­nen, Mitglieder der KPÖ, antifaschistisch Gesinnte und Handelnde aus katholi­schen, sozialdemokratischen und ande­ren Bereichen, die KZ-Insassen am Loibl. Sie alle hatten tatsächlich unter Einsatz ihres Lebens gegen die Nazis gekämpft, so wie die tausenden sowjetischen Kriegsgefangenen, die in den Kärntner Nazi-Lagern zu Tode kamen. Das waren die realen Frauen und Männer der ersten Stunde, und diese begann nicht in den letzten Tagen des Zweiten Welt­kriegs.

Die Frage, die sich aufdrängt, ist nicht die nach historischen Tatsachen. Die sind geklärt. Vielmehr lautet sie: Wieso verbreitet das politische Perso­nal des Landes die Münchhausiade von der Kärntner Selbstbefreiung, auf die Gefahr hin, lächerlich zu wirken? Weil das Gerede von der Selbstbefreiung das Schweigen über jene einschließt, die tatsächlich für die Befreiung vom Nazi­faschismus gekämpft haben. Und weil es dem Kärntner Deutschnationalismus des Jahres 1920 ermöglicht, seine Rolle als Geburtshelfer des Nationalsozialis­mus, seine Mittäterschaft im Nazire­gime vergessen zu lassen. Und sich so direkt in die Gegenwart herüberzuret­ten. Gesäubert, durch die halbamtliche »Konsensgruppe« geläutert bzw. zum Schönreden erzogen soll er dann am 10. Oktober – mit slowenischen Gesangschören aufgemotzt – als Ein­heit des Kärntner Volkes zelebriert werden.

*) Baron Münchhausen zieht sich samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Obwohl er nachweislich kein Kärntner war.

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