Sigi Maron und der ratlose Frosch Volksstimme Redaktion Orig. Foto: Manfred Werner CC BY-SA 3.0
18 Juli

Sigi Maron und der ratlose Frosch

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Anmerkung der Redaktion: Heute vor einem Jahr, am 18. Juli 2016, erreichte uns die traurige Nachricht von Sigi Marons Tod. Zur Erinnerung veröffentlichen wir an dieser Stelle noch einmal den Zeitlosen Nachruf von Erwin Riess

Zitiert aus der Volksstimme No.7-8 August 2016

Üblicherweise beginnen Nachrufe mit den Sätzen »reißt eine tiefe (schwer zu schließende) Lücke« und enden mit »werden seine Stimme schmerzlich vermissen, wird uns (hier den Namen einer Gruppe einsetzen) fehlen«. Für Sigi Marons Tod verbieten sich solche Phrasen. Über Sigis künstlerische Arbeit, seine revolutionären Protestlieder, berichten alle Zeitungen, Boulevardmedien und Magazine – in vielen verlogenen, nicht wenigen hassgetränkten und herzlich wenigen ordentlichen Nachrufen. Der ORF tut sich besonders hervor. In all seinen Programmen und Kanälen wird Sigi Marons Tod verkündet, einige Kommentatoren machen eine traurige Miene. Dass die Damen und Herren Redakteure und Sendungsverantwortliche sich dabei vor Scham nicht ankotzen, kann nur mit dem Vorherrschen des österreichischen Nationalsports »Uneigennützige Gemeinheit« in Verbindung mit der Kulturtechnik »Historische Amnesie« erklärt werden.

Ein (un)erwünschter Künstler

Die meisten Österreicher können sich an Heuchelei und brauner Kulturpolitik nicht sattfressen, man sehe sich nur das Auftreten des Herolds der Dritten Republik, Andreas Gabalier, an. Es war der ORF, der in all seinen Programmen per offiziellem Ukas an alle Redaktionen Auftritte und Lieder von Sigi Maron durch 30 Jahre rigide verbot. Herr Klausnitzer, dessen Schleimspur von den österreichischen Nationalmedien bis ins Kulturmanagement führte, hatte in den Achtzigerjahren sogar die Stirn, seine menschenrechtswidrige Zensur gegenüber Sigi Maron schriftlich zu begründen. Im Falle Maron fand die Republik zu sich. Freche und aufmüpfige Zeitgenossen haben in diesem Land nichts zu gewinnen, sind sie dann auch noch Kommunisten und behindert obendrein (wo doch die Behinderten gefälligst ihr Schicksal gottergeben zu tragen haben), wird gegenüber dieser Person des öffentlichen Ärgernisses der Ausnahmezustand ausgerufen. Und wie immer stand die reformistische Arbeiterbewegung auf der Seite der Feinde Sigi Marons (mit Ausnahme der kleinen oberösterreichischen Sozialistischen Jugend). Noch heute ist die SPÖ nicht in der Lage oder willens, einen behinderten Menschen zum Behindertensprecher zu machen. Stattdessen plustern sich ahnungslose nichtbehinderte Funktionäre der fünften Garnitur auf. Innerhalb der damals noch existierenden Linken fand Sigi dennoch sein Publikum, sein Aufstieg zum Bob Dylan des Deutschen Sprachraums aber wurde von ORF und Staatszensur zunichte gemacht. Die KPÖ, für die Sigi kämpfte und viele Auftritte und Wahlkämpfe bis zur physischen und psychischen Erschöpfung bestritt, bot ihm Auftrittsmöglichkeiten. Dennoch war die Partei zu ihm oft lieblos und die Unterstützung geriet halbherzig. Aber so war die Rolle fortschrittlicher Künstler in der KPÖ, man schmückte sich mit deren Renommee und behandelte sie zu oft mit lauem Desinteresse. Nur in der DDR war das anders: Dort war Sigi ein Star, dort erfuhr er den liebevollen Respekt, dessen er so sehr bedurfte. In der DDR erschienen seine Platten in riesigen Auflagen, seine Konzerte wurden im Hauptabendprogramm des DDR-Fernsehens übertragen. Als die DDR von innen und außen zum Einsturz gebracht und der Rest an die Treuhand verscherbelt wurde, saß Sigi auf einem großen Batzen DDR-Mark. Er hat ihn nicht angerührt.

Protest für Behinderte

Drei Tage vor Sigis Tod wechselten wir in einer Angelegenheit der Behindertenpolitik noch ein paar E-Mails. Ein Funktionär eines offiziösen Behindertenvereins hatte sich als Vernaderer und Intrigant gegen die eigenen Leute produziert. Der ehemalige Oberst reihte sich in die Phalanx jener Sozialpolitiker ein, die behinderte Menschen für die Festigung der eigenen Machtposition missbrauchen. Die diesbezügliche Tradition ist in der österreichischen Behindertenszene groß. Der Dachverband, der vom Sozialministerium und der EU finanziert wurde und wird, beschränkte sich auf seine Rolle als Verkünder offizieller Sozialpolitik. Als vor Jahren der sozialdemokratische Sozialminister ein 120 Punkte umfassendes Sparpaket speziell gegen die behinderter Menschen verkündete, schwieg der Dachverband, der – im Rollstuhl sitzende – ÖVP-Abgeordnete und Behindertensprecher begrüßte das Paket und setzte sich für die Abschaffung des besonderen Kündigungsschutzes (der so besonders gar nicht war) für behinderte Arbeitnehmer ein, die Bereitschaft der Unternehmen behinderte Arbeitnehmer einzustellen werde dadurch erhöht. Der Dachverband assistierte auch diesem Unsinn. Fünf Jahre später wissen wir, dass die reale Arbeitslosenrate unter behinderten Menschen von 35 auf über 50 Prozent gestiegen ist und dass viele behinderte Menschen nunmehr als erste entlassen werden, wenn es zu wirtschaftlichen Problemen im Betrieb kommt.

Sigi Maron hat gegen diese sozialpolitische Konterrevolution immer wieder in seinen Liedern, seinen Texten und Auftritten protestiert. »Höflich, vornehm und dezent, wie es meine Art ist, allerdings unter Einschluss eines gewissen obszönen Wortschatzes.«

Als der sozialdemokratische Kanzler Gusenbauer mit Unterstützung des Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammer vor Jahren mit dem Schlachtruf »Pflegegeld abschaffen!« in die Regierungsverhandlungen ging, war Sigi unter den ersten, die den Widerstand organisierten. Man wollte den behinderten Menschen anstelle des Bargelds »Pflegeschecks« andrehen, die bei parteinahen Sozialhilfevereinen einzulösen seien, der roten Volkshilfe und dem schwarzen Hilfswerk. Dazu muss man wissen, dass das von der Behindertenbewegung erkämpfte Pflegegeld eine abgestufte Geldleistung ist, die es behinderten Menschen ermöglicht, Assistenzleistungen einzukaufen. Seit der Einführung in den frühen neunziger Jahren wurde diese Transferleistung kaum erhöht und hat daher real 30 Prozent an Wert eingebüßt, dennoch stellt das Pflegegeld für Zehntausende behinderte Menschen ein wertvolles Moment an relativer Selbstbestimmung dar. Mit Hilfe der Grünen und der Solidarität der fortschrittlichen Künstler Österreichs aus allen Sparten veranstalteten wir Pressekonferenzen, Demos und Besetzungen des Parlaments sowie diverser Ministerbüros. Bisher konnten wir alle Versuche, dieses Gesetz abzuschaffen, erfolgreich zurückschlagen. Sigi war wie ich Bezieher von Pflegegeld der Stufe vier. Seine Arbeit als Liedermacher und meine als Schriftsteller wären ohne dieses Gesetz – um das uns viele behinderte Menschen weltweit beneiden – nur schwer möglich.

Von Nazis und Fliegen

»Ich bin überzeugt, dass unter meinen Fans auch junge Nazis sind«, sagt Sigi. »Wobei ich hinzufüge, man muss mit jungen Leuten Leuten bis 21, 22 diskutieren, nicht einfach sagen: Aus, fertig. Ihr seid's Nazis. Mit 25, 26jährigen muss man schon vorsichtig sein, weil die müssen schon mehr Hirn haben, die müssen wissen, was gespielt wird. Und ab 30 erschlagen wir sie, wenn sie dann noch Nazis sind. Aus mir spricht auch die Angst, die du als behinderter Mensch hast, wenn man diese Leute – wieder – an die Macht kommen lässt.«

Die Waldschule ist eine Sonderanstalt für behinderte Menschen in einem Föhrenwald bei Wiener Neustadt. Am Höhepunkt der Polio-Epidemie Ende der fünfziger Jahre waren schwer erkrankte Kinder dort untergebracht. Sigi erzählte einmal, dass er wochenlang in der Eisernen Lunge gelegen sei, er war gelähmt, vermochte nicht einmal den Kopf zu drehen oder mit den Augenlidern zu zwinkern. Fliegen ließen sich auf Sigis Gesicht nieder. Er konnte sie nicht abwehren. Also stellte er sich vor, dass auf seiner Stirn ein Frosch sitzt, der die Fliegen frisst. Und mit diesem Frosch hab ich mich angefreundet, er war der erste Genosse in meinem Leben, sagte Sigi. Jetzt ist Sigi Maron tot. Und der Frosch muss schauen, wo er bleibt.

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