Zurück zur Normalität? Welche Normalität?

von

Vier Fragen an acht Künstler*innen.­

Erst überbieten sich »alle« in radika­len Maßnahmen, jetzt soll die Wirt­schaft wieder schrittweise hochgefahren werden. Was ist daran zu unterstützen, was geht zu weit? Wie weit können Bür­gerInnenrechte suspendiert werden? Bleibt Konsum eine beliebte Freizeitbe­schäftigung und Zeichen von Normali­tät?

REMI BRANDNER: Ich kann ja nicht behaupten, dass es mir bis jetzt in der so genannten Krise schlecht geht. Ich gebe wesentlich viel weniger Geld aus (das ich freilich auch nicht habe…). Ich habe mich vermutlich nicht angesteckt … (oder hatte es in leichter Form; kann genauso gut ein anderes Virus gewesen sein).

Ich komme – da berufliche »Ablenkun­gen« weitgehend weggebrochen sind – endlich dazu, meinen Saustall auszumisten, ihn zu sichten, zu sortieren: Zeitungen, Bücher, Requisiten, Musikinstrumente, Texte, Noten, Kleider und (potentielle und echte Kostüme), Lebensmittel – die Liste ließe sich lange fortsetzen. Das ist überfällig, da die Übersicht schon lange nicht mehr möglich war, mir schon lange alles über den Kopf gewachsen ist. (Remi Brand­ner ist Schauspieler und Musiker)

CHRISTINE SCHÖRKHUBER: Normalität ist ja ein relativer Begriff. Alles was halb­wegs erträglich ist wird nach einer Weile Normalität, das ist mehr eine Frage des Zugangs. Das Reiseverbot gilt jetzt eben für alle. Und eigentlich war es nicht normal, dass davor manche reisen durften und andere nicht. Die Idee Europäische Union ging meiner Meinung nach bereits in der Flüchtlingsthematik verloren.

Was das Tracking betrifft, fürchte ich momentan eher den völlig unreflektierten Gebrauch von fb, twitch, zoom etc. und das inflationäre Unterzeichnen von Nutzungs­bedingungen. Die Daten, die jetzt bereits schon ständig freiwillig hergegeben wer­den, sind zur Überwachung der BürgerIn­nen weit besser geeignet als es z. B. die Corona App wäre. (Christine Schörkhuber ist Medienkünstlerin, Musikerin und Kulturaktivis­tin)

ANKE ARMANDI: Die Luft wirkt reiner, frischer. Vor unserem Fenster in der sonst recht befahrenen Heinestraße steht die Allee in zartem Grün. Doch der friedliche Rückzug ins Private wie in einer Art neuen Biedermeierzeit wird jeden Tag von neuen Informationen und Verord­nungen auf die Probe gestellt und trügt. Immer wieder kommt die Angst um den Arbeitsplatz meines Mannes, um die Großeltern, die für uns hinter verschlos­senen Grenzen in Italien und Deutschland wohnen, die Sorge, sie mögen gesund blei­ben und die Frage, wann wir uns wieder­sehen. Zwei künstlerische Projekte sind abgesagt, sie werden im Herbst nachge­holt. Mir geht dabei auch Geld verloren, aber ich arbeite weiter. Ich habe neue Bil­der im Kopf, die von unserer Lage erzäh­len. Mir brennt es unter den Fingernä­geln, sie zu malen, aber die Tage verrin­nen im Nu. Ich muss einkaufen und mit meiner fast zehnjährigen Tochter bis in den Nachmittag hinein Hausübungen machen. Nach einem Monat ist es schwer, sie zu motivieren. Wann sperren die Schu­len endlich wieder auf? Meine Tochter weint in letzter Zeit immer wieder, weil sie ihre Freunde vermisst. Ich spüre eine große Verantwortung für sie, während mein Mann sich konzentrieren muss auf das Home Office. Plötzlich fühle ich mich in die 50iger Jahre versetzt, als wäre es selbstverständlich, mich um Kind und Haushalt zu kümmern, während der Vater um den Arbeitsplatz kämpft.

Ich sehe auch Chancen. Wenn all die Maßnahmen möglich sind, das strikte Ein­halten zum Schutz vor Corona und die finanzielle Unterstützung des Staates – könnte man nicht das gleiche strikte Vor­gehen für den Klimaschutz und mehr soziale Gerechtigkeit umsetzen? Wir brauchen wieder ein Gefühl für die Menschheitsfamilie, wie ich immer wie­der höre in Predigten im Fernsehen. Das gefällt mir. Das Aufeinander-Aufpassen, Innehalten, Verlangsamen und Nachden­ken über uns. (Anke Armandi ist Malerin und Performerin)

ELISE MORY: Am Anfang meiner persön­lichen CoVid19 Krise war die Absage einer Theatervorstellung. Aber wie dann der Shutdown der Wirtschaft verkündet wurde, kam der Schock. Ich habe das in einem von der ÖVP regierten Land undenkbar gehal­ten, es wurde Ernst. Dann kamen tägliche Pressekonferenzen und ich war nur damit beschäftigt, mitzukommen. Für mein Leben zu übersetzen. Da war für kritische Stim­men und Gedanken kein Platz. Langsam lichtet sich der Nebel und es wird sichtbar, wer verteilt das Geld (WKO), wer bekommt es (großzügige Parteisponsor*innen), wer darf Sport betreiben (Segelflieger*innen und Schütz*innen), wer bekommt Applaus und wer die Boni? Und wer bleibt dabei auf der Strecke? (#leavenonebehind) (Elise Mory ist Musikerin)

Kann es überhaupt ein Zurück zu Nor­malität geben? Kollabiert die kapitalisti­sche Ökonomie? Bleibt es bei der rabia­ten Abschottung der Staaten – EU ade? Wie werden wir uns in der Öffentlichkeit bewegen können?

MARGOT HRUBY: Ich werde jedenfalls das Kollabieren der kapitalistischen Ökonomie freudig einklatschen! Zu befürchten sind Bargeldabschaffung und sowieso Totalüber­wachung. »Retten« würde uns die Kommu­nikation und die Solidarität. Momentan regieren aber Nationalismus, pseudomora­lische Besserwisserei und Denunzianten­tum. Leider! (Margot Hruby ist Schauspielerin und Sängerin)

ELISE MORY: In den letzten Tagen hören wir jetzt viel vom Weg zurück in die Nor­malität. Es wird also davon ausgegangen, dass wenn alle Maßnahmen (also die neue Umschreibung für Gebote und Verbote) zurückgenommen wurden, wir wieder da sind, wo wir vor dem Ausbruch der Covid 19-Krise waren. Das halte ich für unmöglich und auch nicht erstrebenswert. Denn auf einmal wird sichtbar, wen unsere Gesell­schaft aller braucht, dass wir alle dazu gehören, wo was fehlt. Ich fände es schade, wenn wir nicht mehr als Applaus für die Mitarbeiter*innen in den sogenannten sys­temerhaltenden Berufen haben. Wir sollten auch nicht vergessen, was es bedeutet, wenn Pfleger*innen nicht einreisen dürfen und was die leisten, die einfach hierbleiben und weiter arbeiten, weil’s ja sonst nie­ mand (für das Geld) macht. Diese Krise bringt meiner Meinung nach unübersehbar an die Oberfläche, was neoliberale Politik anrichtet. Dass wir in Österreichs Kranken­häusern paar unbelegte Intensivbetten in Reserve haben, erweist sich als größtmögli­cher Glücksfall und ist allein dem Umstand zu verdanken, dass noch nicht das gesamte österreichische Gesundheitssystem von der neoliberalen Effizienzlogik ergriffen wurde. Wir waren aber gerade im Endspurt dort­hin. Und da will ich nicht mehr hin.

VERONIKA EBERHART: Den Versuch der Digitalisierung vieler kultureller Bereiche sehe ich persönlich als fast unerträglich. Wie fühlst du dich, wenn du zwei Stunden in den Computer schaust? Wie fühlst du dich, wenn du zwei Stunden lang tanzt, durch einen Raum gehst oder dich einfach nur drehst? Die Wahrnehmung wird in der Digitalisierung völlig beschnitten und der Körper fixiert.

Leider glaube ich zudem auch, dass unser Begehren und Wahrnehmen so stark von kapitalistischer Logik durchdrungen ist, dass ein Umgestalten von Lebensrealitäten, die einen egalitäreren Ansatz hätten, auch ein totales Umwerfen von Begehrensstruk­turen mit sich bringen müsste. Aber die politische Vorstellungen seitens jener, die Entscheidungen für Gesellschaften treffen, haben sich nicht verändert, im Gegenteil, denkt man an Ungarn und Polen, werden die momentanen Umstände eher dazu genutzt um noch nationalistischer und faschistischer zu regieren. Es gibt kein Umdenken in der Aufwertung von Repro­duktionsarbeit, kein Umdenken in der Auf­wertung von Pflegearbeit. Warum ist es nicht vorstellbar, dass das Pflegen von alten (oder bedürftigen) Menschen oder das Ernten von Lebensmitteln, die wir essen, höher entlohnt werden? Alleine nur eine kleine Verschiebung innerhalb des neolibe­ralen Systems scheint unmöglich, wie also soll ein Sturz funktionieren? Die Frage nach Status ist essentiell im Neoliberalismus, und diese wird ökonomisch gewertet. Viel­leicht bringt die aktuelle Situation eine kleine Statusaufwertung jener Dienstleis­tungsberufe, die tragend für eine Gesell­schaft sind. (Veronika Eberhart ist bildende Künstlerin und Musikerin)

CHRISTINE SCHÖRKHUBER: Wirklich relevant finde ich die Aufwertung vieler Berufe, die nun als kritische Infrastruktur erkannt wurden und in einem anderen Licht gesehen werden. Plötzlich wird klar, was für die Gesellschaft unerlässlich ist: Pflegeberufe, LagerarbeiterInnen, Super­marktkassierinnen, BetreuerInnen, Post, Energie- und Wasserversorgung. All diese Berufe waren vorher nicht besonders hoch angesehen und auch nicht besonders gut bezahlt. Es bleibt zu hoffen, dass dies sich auch nachhaltig im Bewusstsein festsetzt. Denn niemand hat bisher noch einen CEO im Büro vermisst.

DENICE BOURBON: Ganz klar hoffe ich, dass dies den ersten Schritt zum langsamen Tod des Kapitalismus darstellt. Natürlich hoffe ich das. Aber alle sagen mir ständig, dass ich Wahnvorstellungen habe, hahaha. Aber ich wünsche mir, dass die Menschen neu darüber nachdenken müssen, wie wir leben und wohin wir unser Geld stecken, wenn wir eine Gesellschaft jenseits der Konzerne haben wollen. Ich möchte, dass die Menschen ernsthaft darüber nachden­ken, wie es wäre, aus der Quarantäne raus­zukommen, und alles, was übrig wäre, Imax Kinos, Mc Donalds, Starbucks, der Prater­dome-Nachtclub und H&M sind, weil alle anderen Unternehmen starben, während ihre Kund_innen eingesperrt waren. Auch hier bin ich mit Greta Thunberg einer Mei­nung: zurück zu welcher Normalität? Diese Normalität war verkorkst, warum sollten wir zu ihr zurückkehren?

Genauso mit dem Wunsch nach Umar­mungen: wenn es menschlicher Kontakt ist, wonach sich die Leute am meisten sehnen, führt dies vielleicht zu einer ganz neuen Sichtweise auf das, was im Leben wichtig ist? Auch all die Menschen, die nun hyste­risch in der Natur joggen und zum ersten Mal in ihrem Leben wandern, anstatt in ihren Autos herumzufahren, und jetzt so tun, als sei dies das Wichtigste, was ihnen je passiert ist – vielleicht werden sie gar ihre SUVs verkaufen? Hahahaha

Und außerdem: der Himmel ohne Flug­zeuge ist ziemlich fantastisch grad; wir müssen anscheinend doch nicht zu jedem Geschäftstreffen um die Welt fliegen, wenn wir skypen können, oder einmal im Monat per Flugzeug Städtereisen tätigen, um uns erfüllt zu fühlen (was hinterher ja sowieso nie der Fall ist) … just sayin’ (Denice Bour­bon is a Star)

Gibt es nicht auch die positive Seite: wie überlebt der Neoliberalismus sein Desaster? Erzwingt die Krise das Grundeinkommen? Öffnet sich gar das Tor zum Kommunismus?

ELISE MORY: Ganze Branchen sind auf Almosen des Staates angewiesen, und nicht wenige werden sich die Frage stel­len, ob es nicht viel einfacher wäre, wenn jede*r ein Grundeinkommen hätte. Meine Anstellung neben der freiberuflichen Tätigkeit sichert mir gerade mein Ein­kommen, denn ich habe keine Ahnung, wann ich wieder eine Konzertgage erhal­ten werde. Noch weniger weiß ich, wann ich wieder mit Menschen aus verschiede­nen Ländern und in verschiedenen Län­dern zusammen etwas tun darf. Denn in diesen Zeiten, wo ständig an die gesell­schaftliche Verantwortung und den Zusammenhalt appelliert wird, ist von internationalen Lösungen noch wenig zu sehen. Am deutlichsten zeigt sich das wie­der einmal im (Nicht)Umgang mit tausen­den geflüchteten Menschen, eingesperrt in unhaltbaren Zuständen, abgewehrt mit »Keine Zeit, wir haben jetzt Krise.«

CHRISTINE SCHÖRKHUBER: Was ich selber gerade tue: Wir haben die virtuelle, Community-basierte Bühne echoraeume. klingt.org ins Leben gerufen. Es gibt dort auch Chats, man kann »zusammensitzen« nach den Veranstaltungen und sich aus­tauschen. Mittlerweile machen zwölf Con­tributors ihre Veranstaltungen dort. Wir haben einen unabhängigen, Open Source-basierten Streamingserver errichtet und versuchen so weit wie möglich, das auch ohne Datenkraken Repräsentanz zu schaf­fen und Kulturarbeit zu leisten. Das Ziel ist, einerseits MusikerInnen weiter Gagen bezahlen zu können und das Kulturleben am Laufen zu halten, andererseits das idealistische Experiment der frühen Tage des Internets wieder neu zu wagen. Com­munity-basierte Projekte sind noch kein Kommunismus – aber herausfordernd genug, und ein wichtiger Schritt.

ANNEMARIE KLINGER: Ich weiß es nicht, ob unsere Gesellschaft kollabieren wird. In vielem, wie dem sozialen Zusam­menhalt, zeigt sie innerhalb Österreichs (noch) ihre Stärke. Allerdings reicht die­ser kaum über Grenzen hinaus. Und blickt man weiter, ist das Bild so erschre­ckend, wie es auch schon vor dieser Krise war – doch wo es noch Kritik gegen eine Abschottung gab, wird sie nun »im Namen der Sicherheit« zur Kenntnis genommen, wie so manches andere. Das ist beängstigend. Es wird sich zeigen, wie stark die Zivilgesellschaft sein kann, wenn sie für Demokratie und Menschen­rechte, für Kultur und Menschlichkeit eintritt. Und welche Rolle dabei nationa­len Regierungen zukommen kann und wird. Wir befinden uns vor einem Para­digmenwechsel – die Welt wird nach der Krise nicht mehr dieselbe sein. Vielleicht ist es eine Chance. (Annemarie Klinger ist Theaterwissenschafterin und Lektorin)

Was denkst du?

MARGOT HRUBY: Ich versuche gerade sehr intensiv gar nicht zu denken. Das gelingt mir aber leider nur schlecht.

DENICE BOURBON: Die Krise sollte das Grundeinkommen erzwingen, aber der Neoliberalismus an der Macht wird diese Idee bis aufs Blut bekämpfen. Ein Wandel wird wahrscheinlich nur kommen, wenn die Massen ihn wie bei der Französische Revolution erzwingen. Wir alle wissen, dass die Menschen (meistens) nur dann für eine Veränderung kämpfen, wenn sie sich persönlich mit den Zielen identifi­zieren können. Wenn also jede_r massiv und persönlich am Arsch ist, weil das kapitalistische System zu bröckeln beginnt, dann hoffe ich, dass sie die Guillotine für Benko und Red Bull herausholen, anstatt sich gegenseitig die Köpfe abzuhacken. Und natürlich: Unter­schätzt niemals den Faktor kollektiver Verweigerung. Verweigern, verweigern, verweigern. So viele von uns wie mög­lich. Sie können uns nicht alle ins Gefängnis werfen.

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Gelesen 6491 mal Letzte Änderung am Montag, 11 Mai 2020 13:38
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