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KLIMAWANDEL/ERDERWÄRMUNG: Wartet nicht auf kältere Zeiten!

von

Die Erderwärmung als Herausforderung für Naturwissenschaften, Politik und Alternativen.

VON LUIS CORTÉS BARBADO

In den letzten beiden Jahrzehnten herrschte in den Naturwissenschaften nahezu uneingeschränkter Konsens zu den Kernaussagen den Klimawandel betreffend. Dieser Konsens wird im fünften Bewer­tungsbericht des Zwischenstaatlichen Expertengremiums für Klimaänderungen (IPCC) zum Ausdruck gebracht: Die Erder­wärmung ist real, es ist höchstwahrschein­lich, dass ihre Hauptursache in menschli­cher Aktivität liegt und dass sie schon in nächster Zukunft starke negative Auswir­kungen auf Mensch und Umwelt haben wird. Den Temperaturanstieg auf unter 2 °Celsius zu senken ist unvermeidbar, sol­len die schlimmsten Katastrophenszenarios verhindert werden. Außerdem stehen uns nur mehr zwölf Jahre zur Verfügung, um jene Schritte zu unternehmen, die notwen­dig sind, um die Treibhausgasemissionen drastisch zu verringern.

Obwohl wesentliche Erkenntnisse über den – durch Gasemissionen infolge mensch­licher Aktivität verursachten – Treibhaus­effekt vorliegen, die weiten Teilen der Bevölkerung auch relativ gut bekannt sind, gibt es andere wichtige Aspekte, über die ein breites Publikum wenig weiß. Ich möchte hier auf zwei wichtige hinweisen.

Irreversible Treibhausgasemissionen

Wenn wir die Emissionen verringern oder sie gar ganz abstellen, kann es uns gelingen den Temperaturanstieg zu verlangsamen oder ihn sogar aufzuhalten; aber alle Ver­änderungen, die wir letztlich herbeiführen, werden für lange Zeit irreversibel sein. Sind die Treibhausgase einmal in die Atmo­sphäre gelangt, verfügen wir über keine bekannte Methode, sie auf effiziente Art und Weise zu beseitigen; weder gibt es eine natürliche Möglichkeit noch kann dies unter Einsatz der heute bekannten techni­schen Hilfsmittel noch mit jenen, die in der nächsten Zukunft entwickelt werden, gelin­gen.

Selbstverstärkender Temperaturanstieg

Der Temperaturanstieg kann sich ab einem bestimmten Punkt auf unkontrollierbare Weise selbst verstärken; dies deshalb, weil es unter den Folgen des globalen Tempera­turanstiegs einige gibt, die die Temperatur noch weiter steigen lassen. Der Gehalt an Wasserdampf (einem natürlichen Treib­hausgas) in der Atmosphäre nimmt zusam­men mit der Temperatur zu. Das Schmelzen des Eises in den Polargebieten führt zu einer höheren Absorption an Sonnenlicht und in der Folge zu mehr Erwärmung. Das Auftauen des Permafrosts setzt große Men­gen an Methan (einem weiteren Treibhaus­gas) frei. Das Ausmaß und die Ausbreitung von Waldbränden aufgrund höherer Tem­peraturen tragen durch die Verbrennungs­prozesse zu Treibhausgasen bei und zerstö­ren die Wälder, die CO2 absorbieren. Ein derart sich selbst verstärkendes Katastro­phenszenario, würde – ungeachtet, ob wir es schaffen, die menschengemachten Emis­sionen zu stoppen – den Temperaturanstieg nicht verhindern, selbst wenn die Expert* innen des IPPC proklamieren, dass dies mit seiner Absenkung des Temperaturanstiegs auf unter 2 °Celsius erreicht werden könne.

Politische statt wissenschaftlicher Herausforderung

Alles, was die Naturwissenschaften sagen mussten, ist bereits gesagt. Sie werden uns weiterhin neue Dinge sagen und als Werk­zeug erhalten bleiben, die wir sicher brau­chen werden, um die auf uns zukommenden Herausforderungen zu bewältigen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist unsere Herausforde­rung aber eine ausschließlich politische.

Die Naturwissenschaften haben genug Material zur Verfügung gestellt, das die Poli­tik schon längst zum Handeln veranlasst haben müsste. Was heute den Klimawandel betreffend als wissenschaftlicher Konsens gilt, wurde von dem Physiker Svante Arrhe­nius Ende des 19. Jahrhunderts als wissen­schaftlich begründete Hypothese aufgestellt, obwohl zum damaligen Zeitpunkt die negati­ven Folgen eines Temperaturanstiegs noch nicht vorhersehbar waren. Im Laufe des 20. Jahrhunderts gewann seine Hypothese mit den Fortschritten, die die Wissenschaft machte, an Plausibilität. Sie überdauerte alle zwischenzeitlich auftauchenden Kontrover­sen, die ihr den Weg verstellten, manche von ihnen aus wissenschaftlicher Sicht berech­tigt, die meisten allerdings falsch und von den Interessen der großen Energiekonzerne geleitet. Bereits 1988 brachte der Physiker James Hansen seine ersten berüchtigten Warnungen über die schädlichen Auswir­kungen der Erderwärmung vor.

Die Vorhersagen treten ein

Aktuell sind wir mit den ersten negativen Auswirkungen der bereits vor Jahrzehnten vorhergesagten Erderwärmung konfrontiert: Massenauswanderungen aus Zentralasien und Zentralamerika aufgrund von Dürren und anderen Veränderungen des Klimas oder die noch immer nicht eingedämmten Waldbrände in Australien sind deutliche Bei­spiele. Es ist wichtig, dass diejenigen, die noch immer Zweifel an den wissenschaftli­chen Vorhersagen haben, Folgendes erken­nen: Vergleichen wir die Vorhersagen der Wissenschaft mit dem, was sich bis 2020 tat­sächlich ereignet hat, können wir feststel­len, dass diese Prognosen äußerst genau waren. Aber selbst wenn die Prognosen wahr werden und eine kritische Situation einge­treten ist, sehen wir aufseiten der herr­schenden Politik und Wirtschaft nur Tonnen an Propaganda, in denen sie ihre guten Absichten bekunden, aber kein konkretes Handeln. Die große Enttäuschung der jüngs­ten COP25-Konferenz ist der letzte Beweis dafür.

Markt vor Klima

Die Erderwärmung ist das beste Beispiel dafür, wie die kapitalistische Ökonomie auf drastische Art und Weise dabei versagt, sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen. Wir wissen, dass es viele weitere Beispiele dafür gibt, etwa die Zunahme von gesellschaftlicher Ungleichheit, die Langle­bigkeit der strukturellen Armut oder die rassistische und sexistische Diskriminie­rung. Während diese Probleme aber von den Sozialwissenschaften behandelt wer­den und dort (oftmals nur vordergründig) kritisiert werden, ist die Erderwärmung unbestreitbar ein Phänomen, das die Natur­wissenschaften angeht.

Wir sollten dieses Faktum als Speerspitze gegen die entfesselte Marktökonomie ein­setzen, die von sich weiterhin behauptet, sie sei überlegen darin, das Schicksal der Menschheit zu lenken. Das bedeutet aller­dings nicht, dass wir alle anderen sozialen Probleme als zweitrangig sehen. Eine Bewältigung des Klimawandels, die den Großteil der Gesellschaft zurücklässt, wäre nicht nur höchst ungerecht. Sie wäre auch unmöglich, da sie die politische Unterstüt­zung und Mobilisierung derjenigen braucht, die am meisten unter den Folgen jenes Wirtschaftsmodells leiden, das wir ändern müssen.

Was soll die Linke tun?

Angesichts der Dimension der Herausforde­rung wissen wir, dass ein vollständiger und schneller Wandel vonnöten ist. Aber diese Forderung auf den Straßen zu rufen, reicht nicht aus, die gesellschaftlichen Kräftever­hältnisse erlauben keine abrupte Kehrt­wende in der nötigen Kurzfristigkeit. Was also tun? Natürlich hat niemand eine Ant­wort darauf. Aber wir können vielleicht auf ein paar Dinge hinweisen, die wir nicht tun sollten. Aufzugeben angesichts dessen, was ein vor uns liegendes tödliches Schicksal ist, ist aus Prinzip keine Option für uns. Auch mag die Rolle des Außenseiters, der die harte Wirklichkeit beklagt und darauf wartet, dass die Dinge nur noch schlimmer werden, so dass sich die Menschen uns anschließen, verlockend klingen. Aber mei­nes Erachtens ist dies genauso falsch. In einer gänzlich verzweifelten Situation sind die Menschen eher versucht, die Sirenen­rufe der extremen Rechten mit ihren ein­gängigen Slogans zu hören als die bittere Wahrheit, zumindest bis es zu spät ist.

Österreich und Spanien: zwei verschiedenen Ansätze der Klimapolitik

Unsere linken Prinzipien über Bord zu wer­fen, nur um ein Programm mit scheinbar grünen Maßnahmen zu unterstützen, das aber bloß das herrschende Wirtschaftsmo­dell weiter stärkt, mag angesichts des Not­stands nicht nach der allerschlechtesten Option klingen. Dies scheint der Weg zu sein, den die österreichischen Grünen mit ihrer Regierungskoalition eingeschlagen haben. Ich möchte jedoch diese Möglichkeit mit jener der gerade in Spanien zwischen der Sozialistischen Partei und der alternati­ven linken Partei von Unidas Podemos ein­gegangenen Koalition vergleichen.

In beiden Regierungsprogrammen kommt den Maßnahmen grüner Politik offenbar ein ähnlich starkes Gewicht zu. Die österrei­chische Regierung wird allerdings den Weg der Steuersenkungen und »Marktanreize« für die Unternehmen, die ökologische Prak­tiken umsetzen, beschreiten; das bedeutet mehr Reichtum und Macht für jene, die dafür verantwortlich sind, dass wir uns in der gegenwärtigen Situation befinden. Im letzten Jahrzehnt ist die Zahl der Milliar­däre in Europa ebenso wie deren Reichtum in einem geradezu überbordenden Ausmaß gestiegen, während die übrige Gesellschaft mit einer Krise kämpfte. Sind es wirklich noch mehr »Anreize«, die sie brauchen, um grün zu werden?

Die Regierung in Spanien hat sich im Gegensatz dazu für eine (zugegebenerma­ßen geringe) Steueranhebung für die Spit­zeneinkommen entschieden, um mehr öffentliche Ressourcen für die Umsetzung der notwendigen Politik, auch jener gegen den Klimawandel, zur Verfügung zu haben. Das geht in Richtung Schwächung der Macht der Großkonzerne, um sie in die Hände von demokratisch gewählten Einrich­tungen zu legen. Können Sie erraten, welche Richtung eingeschlagen werden sollte, wenn wir erwarten, eines Tages die Befugnis zu bekommen, die wirklich alternativen Politi­ken umzusetzen, die es eher früher als spä­ter braucht?

Luis Cortés Barbado ist Physiktheoretiker und Mitglied der Kommu­nistischen Partei Spaniens

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Gelesen 4823 mal Letzte Änderung am Freitag, 07 Februar 2020 15:01
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