Lagerräume von Foodcoops, oftmals in kleinen Gassen- oder Souterrain-Lokalen, sind eigene kleine Universen. Hier gelten andere Spielregeln als draußen auf der Gasse, die Welt ist ein Stück weit in Ordnung.
Von FIONA STEINERT.
Am Tag, an dem die Frischware zu den Foodcoops geliefert wird, stehen Fahrräder vor der Tür, Menschen mit Rucksäcken und Einkaufstrollies suchen sich aus Gemüsekisten ihre Bestellungen zusammen. Statt Einkaufswagen, Supermarktkasse und Bonuspunktecards gibt es Waagen, mitgebrachte Behälter und Taschenrechner. Die Produktpallette reicht von Frischgemüse und -obst über verschiedenste Getreidesorten, Milchprodukte, Tee und zapatistischen Kaffee bis zu Bier und Säften. Manche Foodcoops haben Fleisch im Repertoire, andere nicht, einige sind vegan ausgerichtet. Zwei Mitglieder der Foodcoop haben die gelieferte Ware in Regale und Kühlschränke eingeräumt, am Ende der Abholfrist wird ein weiteres Mitglied zusammenräumen und die Retourgläser für die Lieferant_innen herrichten. Andere kümmern sich um die Bestellung einzelner Produkte, um die Website zur internen Kommunikation oder die Aufnahme neuer Mitglieder. Einmal pro Monat wird beim Plenum über neue Produkte, interne Abläufe oder notwendige Anschaffungen abgestimmt.
Kostenwahrheit und Transparenz
Klingt nach viel Aufwand für die Organisation des alltäglichen Einkaufs. Aber so viel Aufwand bedeutet es wohl tatsächlich, wenn Kriterien wie Regionalität, biologischer Anbau und faire Arbeitsbedingungen umgesetzt sein wollen. Das Wissen um die Herkunft der Dinge, die wir konsumieren, und der Bezug zu ihren Produzent_innen haben ihren (nicht ausschließlich monetären) Preis.1 In gewisser Weise geht es bei Foodcoops um Kostenwahrheit – Transparenz über den Aufwand in der Produktion ebenso wie gesellschaftliche Wertschätzung der zeitlichen Ressourcen, die Kommunikation und Selbstorganisation in Anspruch nehmen. Was kosten Lebensmittel eigentlich, welcher Wert wird manueller Arbeit beigemessen und wofür sind Menschen bereit, Geld auszugeben? Es ist evident, dass dieses »kostenwahre« Konsumieren einen (u.a. zeitlichen) Luxus darstellt, den sich momentan nur wenige leisten können. So überrascht es auch nicht, dass viele (städtische) Foodcoops in ihren Anfängen von Studierenden geprägt waren und insgesamt eine tendenziell weiße, akademische Mittelschichtserscheinung sind. Was beim selbstbestimmten Essen anfängt, wird also schnell zu einer Frage von Verteilungsgerechtigkeit im weiteren Sinn. Die Frage, wie (ökonomischer) Ausschluss der ärmeren Bevölkerung vermieden werden kann und die Debatte über Arbeitszeitverkürzung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen, um gesellschaftliche Teilhabe und die Möglichkeit zur Selbstorganisation sicherzustellen, drehen sich konsequent gedacht um Rahmenbedingungen, die notwendig sind, um Selbstbestimmung beim Konsumieren realisierbar zu machen.
Solidarische Zusammenarbeit
Die Idee der Lebensmittelkooperative ist nicht neu. Den Einkauf von Lebensmitteln gemeinsam zu organisieren, geht auf die Konsumgenossenschaften des 19. Jahrhunderts zurück, in denen sich als Maßnahme zur Selbsthilfe und -organisation in ganz Europa Arbeiter_innen »zur Beschaffung wohlfeiler Lebensmittel«2 zusammenschlossen. Bestimmend war der Gedanke, Übervorteilungen im Zwischenhandel durch Direktbezug zu umgehen und durch die gemeinsame Abnahme größerer Mengen zu billigeren Preisen zu kommen.3 Die wechselhafte Geschichte der österreichischen Konsumgenossenschaften endete 1995 bekanntlich in der Insolvenz des »Konsum«. Der Versuch, durch Zusammenlegung und zunehmende Kommerzialisierung mit der Konkurrenz am Einzelhandelsmarkt mitzuhalten, scheiterte.
Als sich im Zuge des Aufkommens des Degrowth-Diskurses Anfang der 2000er Jahre im deutschsprachigen Raum Foodcoops zusehends (wieder) verbreiteten, waren als wesentliche Komponenten der ökologische Grundsatz und die solidarische Zusammenarbeit mit kleinbäuerlichen Lebensmittelproduzent_innen dazu gekommen. Die Städte mit Lebensmitteln aus dem unmittelbaren Umfeld versorgen und mehr Autonomie gegenüber der globalisierten Produktion erreichen zu können, ist eine der Motivationen der Foodcoop-Bewegung. Angesichts von aussterbenden Ortskernen und Supermarkthallen an den Ortsrändern stellt sich die Frage der regionalen Versorgung aber genauso im ländlichen Raum. Das Konzept der Ernährungssouveränität im Sinne des unmittelbaren Bezugs zu den Quellen und von »Fairtrade« durch angemessene Preise für die Arbeit der Produzent_innen finden damit eine Umsetzung im Lokalen.4
In Österreich ist die Foodcoop-Bewegung bislang vergleichsweise überschaubar. Nachdem 2007 mit dem »Bioparadeis« im Wiener 18. Bezirk die erste Foodcoop gegründet worden war, zeigt die Karte auf der Website der IG Foodcoops heute einen Stand von 74 Initiativen in ganz Österreich, knapp die Hälfte befinden sich in den Landeshauptstädten (25 davon in Wien), und die andere Hälfte im ländlichen bzw. kleinstädtischen Raum5. Bei einer durchschnittlichen Mitgliederzahl von rund 50 Personen lässt sich also auf 3.500 bis 4.000 Menschen schließen, die sich auf diese Weise zumindest einen Teil ihres Lebensmitteleinkaufs organisieren. Darüber hinaus existieren andere Formen der Selbstorganisation wie Solidarische Landwirtschaft (auch Community Supported Agriculture/CSA genannt), bei der Konsument_innen Ernteanteile eines Hofes kaufen sowie genossenschaftliche Dorfgeschäfte.6
Kooperation mit anderen
Vernetzung spielt eine wichtige Rolle zur Verbreitung des Konzepts. Seit 2017 hat sich der Großteil der österreichischen Foodcoops zu einer Dachorganisation, der Interessensgemeinschaft (IG) FoodCoops, zusammengefunden. Kooperation mit anderen einschlägigen Organisationen wie etwa mit ÖBV-Via Campesina, AgrarAttac, dem Forum für Ernährungssouveränität oder den derzeit in Entstehung befindlichen Ernährungsräten in verschiedenen österreichischen Städten sind essentiell, wenn der Anspruch, über den eigenen Konsum zur Veränderung des industrialisierten, konzerndominierten Ernährungssystems beizutragen, nicht im Lagerraum enden soll. Also müssen die Allianzen ihren Horizont auf darüber hinaus gehende emanzipatorische Bewegungen erweitern. Was Ulrich Brand für die Degrowth-Bewegung postuliert, lässt sich auch auf das Segment der Foodcoops anwenden: Es wird notwendig sein, jene Deutung zu stärken, »die unauflöslich mit Fragen der Gerechtigkeit und mit zu verändernden Herrschaftsverhältnissen verbunden ist. Andernfalls wird der Begriff […] zur radikalen, aber politisch folgenlosen Geste«7.
Damit die Verantwortung letztlich nicht bei den individuellen Konsument_ innen bleibt, heißt es also: Nach dem Einkaufen raus aus der heilen Welt des Foodcoop-Lagerraums und die Spielregeln auf der Gasse neu schreiben.
1 Anzumerken ist an dieser Stelle, dass Produkte in Foodcoops nicht zwangsweise teurer sind als das vergleichbare Bioangebot im Supermarkt – im Gegenteil: Durch das Wegfallen von Gewinnspannen im Zwischenhandel und die Abnahme größerer Mengen als Gruppe bieten viele Produzent_innen Foodcoops Rabatte an.
2 Als erster österreichischer Konsumverein wurde 1856 der »Wechselseitige Unterstützungsverein der Teesdorfer Spinnfabriksarbeiter zur Beschaffung wohlfeiler Lebensmittel« in Niederösterreich gegründet. http://www.dasrotewien.at/seite/konsumgenossenschaften
3 Mehr zum Vergleich von Foodcoops und Konsumgenossenschaften in Lena Drazic, Ulrike Jaklin, Christof Lammer: Food Coops. Das nächste Kapitel der Konsumgenossenschaftsbewegung in Österreich? In: PolitiX 32, 2012, S. 32-35
4 vgl. auch IG FoodCoops: Erfolgsgeschichte FoodCoops? In: ÖBV-Via Campesina & AgrarAttac: Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität! 3. Auflage, April 2018, S. 28-29
7 Ulrich Brand: Degrowth: Der Beginn einer Bewegung? In: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2014, S. 32. https://www.degrowth.info/wp-content/uploads/ 2014/08/bran1014.pdf
Fiona Steinert hat in den Bereichen Community Medien und Menschenrechtsforschung gearbeitet. Sie ist Mitglied in einer Wiener Foodcoop und beschäftigt sich dzt. im Rahmen des Wiener Ernährungsrats mit StadtLandwirtschaft und Raumplanung.