Die Lektor_innen an der Universität Wien haben nichts zu verlieren außer ihren Kettenverträgen
CHRISTIAN CARGNELLI UND ANTON TANTNER
Mehr als 7500 Beschäftigte zählen an der Universität Wien zum wissenschaftlichen Personal, die große Mehrheit (je nach Berechnungsgrundlage 80 bis 90 Prozent) davon arbeitet unter prekären Bedingungen und ist befristet beschäftigt: Unter den unterschiedlichen an der Universität Wien tätigen Wissenschafter_innen stellen die knapp 3000 Lehrbeauftragten (Lektor_innen) die größte Gruppe. Sie bestreiten 40 Prozent der Lehre – in manchen Fächern bei weitem mehr –, ohne sie würde der Lehrbetrieb zusammenbrechen.
Dieser Unverzichtbarkeit zum Trotz: Dauerhafte Perspektiven hat die Universitätsleitung den wenigsten zu bieten, sie behandelt die prekär Beschäftigten stattdessen nur zu oft als Verschubmaterial, als »Jong liermasse« (so das Originalzitat eines Rektoratsmitglieds) – und zwar ohne, dass den Betroffenen irgendeine Aussicht auf eine Beendigung dieses nervenaufreibenden Zustands offenstände. Die meisten erhalten in der Regel jeweils nur semesterweise Verträge und dies oft nur im Ausmaß von zwei Semesterwochenstunden, die Zuteilung eines Lehrauftrags erfolgt in manchen Fällen knapp vor Semesterbeginn, eine Vertragsunterzeichnung zuweilen erst danach.
Rütteln an der »Kette«
Dazu kommt ein schwer durchschaubares Dickicht aus arbeits- und vertragsrechtlichen Bestimmungen, verschärft durch die so genannte »Kettenvertragsregelung«, die nach sechs beziehungsweise acht Jahren Arbeit in befristeten Verhältnissen eine Weiterbeschäftigung untersagt; in der Praxis bedeutet dies für viele eine einjährige Unterbrechung ihrer Tätigkeit, bevor es mit den befristeten Verträgen wieder von vorne losgeht, sofern die Begeisterung für wissenschaftliche Tätigkeit noch immer vorhanden ist und sich nicht andere, attraktivere Erwerbsalternativen eröffnet haben.
Dabei gäbe es auch kurzfristig realisierbare Linderungen dieses skandalösen Zustands, der der Qualität von Lehre und Forschung genauso abträglich ist, wie der Gesundheit der Betroffenen: Entfristungen von Lehraufträgen etwa, die auf einem bescheidenen Niveau planbare Perspektiven für die betroffenen Personen ermöglichen würden und für die es nicht einmal Gesetzesänderungen bräuchte, denn sie liegen in Verantwortung der Universitätsleitung. Derzeit kommt an der Universität Wien eine überschaubare Menge von 48 Personen in den Genuss einer solchen Regelung, es müssten viel mehr sein. Die mittel- bis langfristige Perspektive sollte ohnehin sein, an Universitäten bedeutend mehr unbefristete, gut dotierte Arbeitsplätze einzurichten.
Was tun?
Trotz der von Gewerkschaften beklagten Schwierigkeit, Wissenschafter_innen zum kollektiven Einsatz für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu bewegen – und an manchen anderen österreichischen Universitäten ist die Situation noch schlimmer, ganz zu schweigen von der Lage in Deutschland –, gibt es Organisierungsversuche der intellos précaires (Anne/Marine Rambach), wie die bereits 1996 anlässlich eines Unistreiks gegründete IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen: Ihre Aktivist_innen haben sich in jahrelanger Arbeit Expertise im Paragraphendschungel angeeignet, sind im Betriebsrat der Uni Wien vertreten und können als niedrigschwellige Ansprechpersonen Anfragen und Beschwerden an die zuständigen Einrichtungen weiterleiten.
Die Zusammenkünfte der IG schaffen Diskussionsräume zum Erfahrungsaustausch und ermöglichen es, solidarische Forderungen auf universitärer, aber auch auf allgemein politischer Ebene zu erarbeiten, wie zum Beispiel in Form der über ig-elf.at abrufbaren Leitlinien. Allianzen mit anderen Organisierungen des Prekariats – mit Guy Standing verstanden als in Entstehung begriffener Klasse – sind dabei willkommen!
Christian Cargnelli und Anton Tantner sind Vorstandsmitglieder der IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen
Kanäle der IG LektorInnen:
Homepage: ig-elf.at
Twitter: @IGLektorInnen
facebook.com/IGLektorInnen
In Deutschland setzt sich das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft für das universitäre Prekariat ein:
mittelbau.net
@NGA_Wiss