Nach dem ersten Internationalen Frauenstreik im Jahr 2017, den Massenmärschen, die seit 2015 unter dem Motto #NiUnaMenos* stattfanden, und der Annahme des »Gesetzes zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs« durch den argentinischen Kongress, wird das Gesetz durch den Senat verhindert.
NATALIA HURST
Die nationale Kampagne für das Recht auf legale und freie Abtreibung in Argentinien begann vor 13 Jahren. Aus dieser Zeit stammt ein Protokoll für die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs in Fällen von Vergewaltigung oder bei Gefährdung der Gesundheit der Mutter, das aber in den wenigsten Fällen angewandt wurde. Seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1983 sind mehr als 3.000 Frauen durch unsichere Abtreibungen ums Leben gekommen. Jedes Jahr werden zirka 500.000 unsichere Abtreibungen durchgeführt, müssen etwa 60.000 Frauen wegen Komplikationen infolge dieser unsicheren Praktiken ins Krankenhaus und sterben etwa hundert Frauen an den Folgen eines illegalen Eingriffs. Es handelt sich dabei um Schätzungen, da es in Argentinien aufgrund der Geheimhaltung keine genauen Statistiken zu Abtreibung gibt.
Zusätzlich zu den Todesfällen durch heimliche Abtreibungen gibt es zahlreiche schwangere Mädchen, die zu ungewollter und traumatischer Mutterschaft gezwungen werden. Alle drei Stunden bekommt in Argentinien ein Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren ein Baby, das sind acht pro Tag, 2.787 pro Jahr. Es sind Mädchen, die vergewaltigt wurden, manchmal von Verwandten, und die in den meisten Fällen erst bei der Geburt auf das Gesundheitssystem zugreifen.
Und natürlich ermöglicht die Illegalisierung von Abtreibungen Privatkliniken und geheimen Büros lukrative Geschäfte.
Nationaldebatte und Abstimmung im Kongress
Im Sommer 2018 fand im Parlament eine Nationaldebatte über die Sanktion des Gesetzes zur freiwilligen Schwangerschaftsunterbrechung statt. Der Slogan der Feministinnen lautete: »Sexualerziehung, damit wir entscheiden können, Kontrazeptiva, damit wir nicht abtreiben müssen und legale Abtreibung, damit wir nicht sterben.«
Im Juli wurden jeden Dienstag und Mittwoch die Zeugnisse von Hunderten von Menschen in öffentlichen Kommissionen angehört. Die Berichtenden teilten ihre Argumente, persönlichen Erfahrungen, Statistiken, wissenschaftliche und auch religiöse Überzeugungen, wobei die pluralistische Debatte die Gesellschaft des ganzen Landes bewegte und sich auch auf andere lateinamerikanische Länder erstreckte. Die vielen Geschichten über Frauen, die durch heimliche Abtreibungen gestorben sind, lösten eine Kettenreaktion aus und überschwemmten die öffentliche Meinung. Besonders erzürnte die Heuchelei derer, die gegen Abtreibung sprachen und ihre Liebhaberinnen, Töchter oder Schwestern zwangen, abzubrechen, wenn sie schwanger wurden. Auch war soziale Ungleichheit ein Thema: Es sterben vor allem Frauen mit niedrigem Einkommen, oft Mütter von mehreren Kindern, die sich eine Abtreibung in einem »professionellen« Geheimbüro in einer wohlhabenden Nachbarschaft nicht leisten können.
Im Laufe der Anhörungen wurde die Diskussion neu gewichtet: Es ging nicht mehr darum, ob frau abbrechen dürfe oder nicht, sondern um die Frage legale vs. heimliche Abtreibung. Es zeigte sich, dass der Schwangerschaftsabbruch eine alte Praxis ist, die in früheren Rechtssystemen nicht verboten war. Wenn eine Frau sich heute für eine Abtreibung entscheidet, führt sie sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln aus, wodurch sie ihr Leben gefährdet. Weiterhin auf Geheimhaltung von Abtreibung zu bestehen, bedeutet, Tausende von Frauen sowohl physisch als psychisch zu verurteilen, sie ungeheuren, mittelalterlichen und unwürdigen Praktiken und Debatten auszusetzen und ihren unnötigen Tod.
Dora Barrancos, anerkannte Soziologin und Historikerin, sagte: »Ich gehöre zu denen, die das Recht auf legale Abtreibung verteidigen, um das sexuelle Vergnügen von der Fortpflanzung zu trennen. […] Sexueller Genuss ist ein Recht der Frauen, das von der Reproduktion getrennt werden muss […] Besonders arme Frauen, die keine Gelegenheit haben, anständige Kliniken zu bezahlen, sind zum Tode verurteilt.«
Der Juli wurde zu einem Monat, in dem die grünen Taschentücher die Schulen, Universitäten und Straßen überschwemmten. In der Nacht zum 1. August schlossen sich eine Million Frauen der sogenannten »Grünen Flut« in der Nähe des Kongresses an.
In der historischen Parlamentssitzung vom 1. August waren die Grenzen der Blöcke der politischen Parteien aufgehoben. Für einen Tag hatten die individuellen Positionen zum Recht von Frauen, über ihren Körper und ihr Leben zu entscheiden, Vorrang. Die Debatte drehte sich um die Freiheit der Wahl, um die Frage konfessioneller oder säkularer Staat und um die Verpflichtungen des öffentlichen Gesundheitsministeriums, heute Gesundheitssekretariat. In dieser Sitzung, die live übertragen wurde und fast 24 Stunden dauerte, sprach sich das Abgeordnetenhaus mit 129 Ja- und 125 Nein-Stimmen für das Gesetz aus. Ein Triumphschrei von Millionen Frauen donnerte durch die Straßen von Buenos Aires und durch das ganze Land. Die Bilder durchzogen die Netzwerke und Medien und wurden von feministischen Kollektiven auf der ganzen Welt verbreitet. Frauen schliefen auf der Straße, hielten Nachtwache, um am 1. August im Abgeordnetenhaus die Sanktion des Gesetzes zu erreichen.
Das Aus durch den Senat
In der darauffolgenden Woche kam es zu Spannungen auf der Straße: Zum ersten Mal hatte der Feminismus gegenüber dem Konservatismus gesiegt. In verschiedenen Städten fanden verbale und körperliche Angriffe auf Mädchen statt, die stolz ihre grünen Tücher zeigten. Es gab Schulen, die die Taschentücher verboten, Drohungen gegen Senatoren, Belästigungen und starken Druck. »Pro Life« organisierte Paraden, in denen sie mit riesigen Kolossen von Embryonen durch die Straßen marschierten, was der Situation einen tragikomischen Touch verlieh.
Die Senatssitzung vom 8. August hatte kein »Happy End«, obwohl der Hauptoppositionsblock unter der Leitung der ehemaligen Präsidentin Cristina F. de Kirchner das Gesetz für legale Abtreibung unterstützt hatte. 38 Nein- und 31 Ja-Stimmen verhinderten die im Kongress erreichte Sanktion. Und setzten den Erwartungen von Millionen Frauen ein Ende. Der Senat des konservativen und neoliberalen Regimes, das Argentinien gerade in eine neue Staatspleite führt, entschied sich gegen die legale Abtreibung, mit 7 Stimmen Unterschied.
Allein im letzten Monat gab es drei neue Todesfälle durch heimliche Abtreibungen. Deshalb wurden die Senatoren, die für heimliche Abtreibung sind, von Menschenrechtsorganisationen angeklagt.
Zum ersten Mal in einem langen Kampf von fast hundert Jahren war ein Gesetz in greifbarer Nähe, das den Frauen die Fülle ihrer reproduktiven Rechte, den Zugriff auf eine gewünschte Mutterschaft und legale, sichere und freie Abtreibung gewährt hätte. Wir werden es durchsetzen und die Straßen mit grünen Tüchern fluten, bis es Realität wird. #queSeaLey.
Natalia Hurst ist Sopranistin, Gesangspädagogin und Aktivistin von Ni Una Menos Austria.