FRANZISKA SCHUTZBACH ist Initiatorin von #SchweizerAufschrei, Forscherin und feministische Aktivistin. Im Gespräch mit ALEXANDER STOFF spricht sie über aktuelle Herausforderungen des feministischen Aktivismus.
In den letzten Jahren treten Phänomene wie Women’s March, #metoo oder #Aufschrei auf. Was sind verbindende Themen und Praktiken? Und wo gibt es Unterschiede?
FRANZISKA SCHUTZBACH: Ich bin überrascht wie stark feministische Themen mittlerweile wieder auf der aktivistischen und medialen Agenda stehen. Dazu haben verschiedene Hashtags oder der Women‘s March in den USA beigetragen. Die großen sozialen Bewegungen sind im Moment die feministischen.
#Aufschrei und #metoo haben ein gesellschaftliches Bewusstsein für das Problem der sexualisierten Gewalt und Belästigung hergestellt. Hashtags sind ein relativ demokratisches Prinzip, weil alle mitmachen können. Aber nicht alle können es sich leisten, öffentlich über Gewalterfahrungen zu sprechen. Bei den netzpolitisch Aktiven gibt es eine unglaubliche Vielfalt. So fordern etwa viele Women of color oder queere Frauen* differenzierte Debatten ein, da ihre Probleme wie zum Beispiel Armut bei Hashtags zu wenig berücksichtigt werden. Die Stimmen von so vielen Frauen* machen deutlich, dass sexualisierte Gewalt überall vorkommt – ob in Hollywood, in den Fabriken, im Privaten oder in der Disco. Durch den Hashtag wird ein strukturelles Problem sichtbar und breit diskutiert. Zum Teil sind das auch problematische Debatten, wo sich dann Leute äußern, die es klein reden oder die behaupten, dass man das Problem den Männern* nur unterschiebe.
Es ist auch deutlich geworden, dass es nicht nur unmittelbar um Gewalt geht, sondern auch um größere Zusammenhänge. Gewalt gegen Frauen* gibt es, weil wir in einer sexistischen und geschlechter-ungleichen Gesellschaft leben. Andere Faktoren dieser Machtverhältnisse müssen auch Gegenstand der Debatte werden wie zum Beispiel ökonomische Ungleichheit.
Und es muss auch die intersektionale Dimension berücksichtigt werden, dass migrantische Frauen* und Women of color andere Erfahrungen machen als weiße Frauen* aus der Mittelschicht. Die Dominanz des westlichen Blicks muss innerhalb der feministischen Bewegung unbedingt in Frage gestellt werden.
Früher hat der klassische Protest bei Demonstrationen auf der Straße stattgefunden, während heute viel im Internet passiert. Hast du den Eindruck, dass sich die öffentlichen Räume verändert haben, in denen heute feministischer Aktivismus und Bewegung stattfinden?
FRANZISKA SCHUTZBACH: Ja, ich denke schon, dass das Internet generell vieles verändert in Bezug auf Meinungsäußerung und soziale Bewegung – sowohl mit positiven als auch schlimmen Effekten. Anfänglich gab es viel Hoffnung, dass das Internet mehr Demokratisierung und Teilhabe bringt. Trotz dieses Potentials habe ich das Gefühl, dass sich im Moment eine Katerstimmung breit macht. Erste wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass gerade Frauen* und Women of color in besonderem Maße wieder aus diesen öffentlichen Räumen verdrängt werden. Vor allem Männer* nutzen die Kommentarfunktion bei großen Medien mit aggressivem Sprechen, Troll-Strategien und Hate speech. Und das führt dazu, dass Frauen* sich aus diesen Räumen zurückziehen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass dieses »silencing« funktioniert. Auch in der nicht-virtuellen Welt werden weibliche Stimmen weniger gehört, nehmen Frauen* seltener an Podien teil und sind weniger in Medien und Politik vertreten. Es spiegelt sich im Internet vieles wider, was in der nicht-virtuellen Welt passiert.
Ich denke, wir müssen der Individualisiertheit im Internet wirkliche Räume entgegensetzen, wo man sich trifft, austauscht und unterstützt. Deswegen organisiere ich zum Beispil einmal im Monat die Feministischen Salons in Zürich und Basel, wo sich Menschen bei Veranstaltungen auch jenseits der virtuellen Welt treffen. Auch Demonstrationen oder Streiks sind Anlässe, bei denen man sich gemeinsam auf der Straße trifft, sich spüren und bestärken kann.
Du hast in einem Text geschrieben, dass #Aufschrei ein Bildungsmoment und der Hashtag-Feminismus eine Form von Aufklärungsarbeit ist. Was braucht es, damit die feministische Kritik stärker von Männern* reflektiert wird, auch um dem Hass etwas entgegenzusetzen?
FRANZISKA SCHUTZBACH: Ich denke, es braucht Verschiedenes. Es wäre schön, wenn Männer* in allen gesellschaftlichen Institutionen damit anfangen, über dieses Thema zu sprechen und sich zu engagieren. Teilweise passiert das auch schon. Als vor zwei Jahren der #Aufschrei in der Schweiz stattfand, mussten die Frauen* erst in ihren Redaktionen durchsetzen, dass sie über sexualisierte Gewalt schreiben konnten. Das hat sich mittlerweile geändert. Bei #metoo und anderen Themen schreiben nun auch männliche, vor allem jüngere Journalisten Leitartikel oder Kommentare – und zwar oft profeministisch. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass Männer* in Positionen, wo sie diskurs-bestimmend sein können, sich für dieses Thema stark machen.
Als ein Mensch, der nicht von Rassismus betroffen ist, überlege ich mir immer wieder, wie ich dieses Privileg einsetzen kann, um antirassistische Themen voranzubringen. Auch wenn ich persönlich nicht davon betroffen bin, so mache ich mich mitschuldig, wenn ich Rassismus akzeptiere und mich nicht dazu äußere. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis sich auch bei vielen Männern* durchsetzt. Zum Teil erlebe ich schon, wie Männer* einander aufmerksam machen und ihre Stimme erheben, wenn sie sexistisches Verhalten beobachten. Das ist ein langsamer Veränderungsprozess, weil Männlichkeit* so stark darüber funktioniert, sich selbst als Norm und alle anderen als besonders zu begreifen. In der Folge wird auch Gewalt gegen Frauen* oder andere geschlechterpolitische Themen als ein Problem wahrgenommen, mit dem sich nur Frauen* zu befassen hätten. Diese Wahrnehmung müssen Männer* überwinden.
Was macht für dich kritische Männlichkeit* aus? Und wie kann das Verhältnis zu einem gemeinsamen feministischen Aktivismus sein, bei dem sich Männer* solidarisch als Verbündete betätigen?
FRANZISKA SCHUTZBACH: Ich denke, kritische Männlichkeit* bedeutet vor allem, sich zuerst zu überlegen, inwiefern patriarchale Verhältnisse auch für Männer* selbst Probleme oder gar Nachteile mit sich bringen. Es geht darum, patriarchale Zuschreibungen von Überlegenheit, Macht und Stärke kritisch zu reflektieren.
Wir leben nach wie vor in einer Gesellschaft, in der Macht ungleich auf die Geschlechter verteilt ist: Männer besetzen beinahe alle Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur. In der Regel sind es also Männer, die Macht besitzen, sie verteilen und entsprechend repräsentieren. Das gilt auch finanziell. Doch auch hier muss genau hingesehen werden. Nicht allen Männern steht der Zugang zu Macht in demselben Maße offen, sondern vor allem denjenigen, die außerdem weiß, begütert, nicht behindert, heterosexuell und akademisch gebildet sind.
Für mich als Feministin ist es manchmal schwer zu erklären, dass die Aussage, Männer* haben Privilegien, nicht heißt, dass Männer* kein Leid, keine Gewalt und keine Prekarisierung erfahren. Das schließt sich eben nicht aus. Und ich denke, manche Männer* reagieren deshalb mit starker Abwehr, weil sie das Gefühl haben, ihnen wird quasi gesagt, dass sie immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Was macht es für dich in einer intersektionalen Sichtweise aus, ein*e gute*r Verbündete*r zu sein? Was bedeutet es, sich als ein*e gute*r Verbündete*r zu verhalten und was sollte man dabei vermeiden?
FRANZISKA SCHUTZBACH: Wichtig ist sicher die Bereitschaft zuzuhören und zu reflektieren. Ich denke, es ist für viele Männer* tatsächlich schwer, dass sie einfach mal nicht in der Position des Akteurs sind, sondern als Verbündete erst einmal Rezipienten von dem sind, was Frauen* sagen. Ich glaube, das ist für Männer* schwierig, weil sie es gewohnt sind, vor allem anderen Männern* zuzuhören. Das nennt sich Homosozialität – Männer* sind an anderen Männern* ausgerichtet. Man will Anerkennung und bewundert andere Männer*. Frauen* werden vielleicht als Partnerinnen oder Mütter gewürdigt, aber nicht als Ideengeberin. Zum Verhalten auf Twitter gibt es erste Studien, nach denen Männer* vor allem andere Männer* retweeten.
Übrigens sind auch Frauen* stark männer-orientiert. Denn Männer* repräsentieren Macht und Schlüsselpositionen in unserer Gesellschaft. Es ist wichtig, dass Männer* sich stärker bewusst machen und darauf achten, was Frauen* schreiben oder sagen.
Wo siehst du dann Ansatzpunkte, das zu durchbrechen?
FRANZISKA SCHUTZBACH: Eine Möglichkeit ist, bei sich selber anzufangen und sich zu überlegen: an wem orientiere ich mich? Dabei kann man sich bewusst machen, wie viel von dem, was man täglich liest, von Männern* gemacht wird. Dann gibt es Techniken der Diskussionsführung, bei denen eine Diskussion abgebrochen wird, sobald sich keine Frau* mehr zu Wort meldet, weil das als ein Indiz gesehen wird, dass der Verlauf für viele nicht mehr interessant oder sogar diskriminierend ist. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich finde es jedenfalls interessant, weil man darüber nachdenkt. Wenn sich nur noch Männer* melden, dann trauen sich Frauen* oft gar nicht. Eine Möglichkeit ist auch, in gemischten Gruppendiskussionen (Versammlungen, Konferenzen und so weiter) einmal über längere Zeit die Redezeit von Frauen* und Männern* zu messen und sich zu vergegenwärtigen, wie das abläuft. Wenn Frauen* das einfordern, dann werden sie oft dafür kritisiert. Daher ist es eine Hilfe, wenn Männer* für eine gender-gerechte Gesprächsführung einstehen.
Franziska Schutzbach ist in verschiedenen feministischen Zusammenhängen aktiv, sie lehrt und forscht an der Uni Basel im Fach Gender Studies. Demnächst erscheint ihr Buch »Die Rhetorik der Rechten. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick«. Franziska Schutzbach schreibt u. a. Texte für Geschichte der Gegenwart www.geschichtedergegenwart.ch und ihren Blog franziskaschutzbach.wordpress.com