Von sozialen Rechten zur Sozialinvestition?

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Von MARGIT APPEL

Dieser Beitrag befasst sich mit einem seit den 2010er Jahren in Gang gebrachten Paradigmenwechsel. Soziale Rechte und sozialer Schutz sollen demnach nicht primäre Aufgabe sozialstaatlichen Handelns sein, sondern Investitionen in die BürgerInnen, die sich rechnen. Dass dieses Denken schon die konkrete (Sozial-)Politik und den medialen Diskurs erreicht hat, ist bereits bei einfachem Nachrichtenkonsum feststellbar. Die letzten Wochen zeigten das Bemühen politisch Verantwortlicher, die BürgerInnen auf die »neue Gerechtigkeit« einzuschwören: Wer noch nichts oder noch nicht lange etwas geleistet hat, der soll auch keine oder jedenfalls eine geringere sozialstaatliche Leistung bekommen. Dass sich Leistung lohnen muss, ist ein bereits gut gelerntes Mantra aus der Zeit der gro­ßen Koalition – gerade von Wirtschafts­kammerpräsident Mahrer in einem Kom­mentar zur Debatte um das Christlich-Soziale in der Politik und in der Volkspartei wiederholt und gegen abhängig machende Daueralimentierung ins Treffen geführt (Der Standard, 5./6. Jänner 2019).

Was mit dem Paradigmenwechsel zum sozialinvestiven Staat gelernt werden soll, ist die nächste Stufe, dass sich auch die sozialstaatliche Leistung lohnen muss! Investitionen in Bedürftige, die für ein »return of investment« nicht geeignet sind oder sich nicht eignen sollen (Geflüchtete etwa), verbieten sich in dieser Logik und der daraus gezimmerten Sozialpolitik gera­dezu. Wer investiert schon in eine Angelegenheit, die keinen Ertrag bringt? Zum Selbstverständnis der aktuellen Regie­rungsparteien passt es, dass dieser Paradig­menwechsel mit dem Willen der Leistungs­trägerInnen argumentiert wird, die es angeblich mehrheitlich ablehnen, ihr durch permanentes Leisten verdientes Geld via dem Staat zu gebender Steuern für die Abdeckung angeblicher Bedürfnisse von angeblich Bedürftigen einsetzen zu müs­sen. Eine anderslautende repräsentative Befragung, dass mehr als 70 Prozent mit der Gewichtung sehr dringend oder drin­gend der Regierung den Auftrag geben, darauf zu achten, »dass arme Menschen ausreichend Mindestsicherung bekommen« (Der Standard, 2.Jänner 2019), wurde noch nicht kommentiert.

Sozialstaat – gut, nicht perfekt

Der österreichische Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen, als Sozialversicherungsstaat und als Transferleistungsstaat, wurde Schritt für Schritt erkämpft bzw. in zähem politischem Ringen erreicht. Seine Wirk­samkeit in der Armutsvermeidung ist sehr gut, wenn auch nicht ausreichend. Das gilt auch für den Schutz des sozialen Status von Menschen, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen. Der österrei­chische Sozialstaat ist im Wesentlichen so konstruiert, dass er das kapitalistische Erwerbsarbeitsregime flankiert, dessen Wirkungen für Einzelne auch abpuffert – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der österreichische Sozialstaat ist konservativ und konservierend: Der Status am Arbeits­markt, StaatsbürgerInnenschaft, Geschlecht, Ethnie sind – wie Stefan Lesse­nich das ausdrückt – beharrliche Demarka­tionslinien zwischen Drinnen und Draußen: zwischen dem Anspruch auf gute sozial­staatliche Leistungen und weniger gute bis keine sozialstaatliche Leistungen.

Empirie schlecht, Diskurs intensiv

Aber anstelle den Sozialstaat so zu refor­mieren, dass diese »Demarkationslinien« verschwinden, wird sein Grundgedanke in Frage gestellt. Obwohl die Empirie über die Wirksamkeit sozialinvestiver Sozialstaat­lichkeit schlecht ist, ist der Diskurs über diesen Ansatz anhaltend intensiv bzw. kommt in neuen Spielarten daher. Beteiligte bzw. Motoren dieses Diskurses bzw. dieser Umbaustrategien – geht man nach entsprechenden Veröffentlichungen (siehe »Weiterführende Informationen« unten) – sind etwa auf europäischer Ebene die EU Kommission, in Österreich die Industriellenvereinigung, aber auch die Arbeiterkammer. Die damit verbundenen Interessen unterscheiden sich allerdings deutlich. Der Industriellenvereinigung scheint es um eine sehr grundsätzliche Neukonzeption sozialer Sicherheit zu gehen, wo schon einmal die Frage disku­tiert wird, wie sich soziale Investitionen des Staates in seine BürgerInnen überhaupt begründen lassen, oder laut darüber nach­gedacht wird, ob sich nicht der Handel mit individuellen Verfügungsrechten für ein Sozialeinkommen eignen könnte. Da passt auch die jüngste Information, dass die Industriellenvereinigung mit einem ihrer Ökonomen im Leitungsteam von Insight Austria vertreten ist (Der Standard, 27. Dezember 2018). Diese seit 2018 existie­rende Forschungseinheit am Institut für Höhere Studien soll helfen, mit den Kennt­nissen und Mitteln der Verhaltensökono­mie den Erfolg politischer Maßnahmen zu optimieren. Die Anschubfinanzierung für drei Jahre kommt von Finanzministerium und Industriellenvereinigung. Offenkundig wird damit gerechnet, dass sich diese Investition rechnet, wenn die AMS-KundIn­nen oder die BMS-BezieherInnen durch verbessertes »nudging« zum richtigen Ver­halten gebracht werden, also mit den in sie investierten Geldern optimiert umgehen. Interesse der Arbeiterkammer bei ihrer Mitwirkung an diesem Diskurs scheint es zu sein, mit entsprechenden Studien die »Selbstfinanzierung« von Sozialinvestitio­nen, die als gesellschaftlich sinnvoll und notwendig nicht in Frage gestellt werden, durch Beschäftigungseffekte, Wachstums­impulse und Reduktion des Transfersbe­darfs zu belegen.

Programmatische Verschiebung

Das Konzept des sozialinvestiven Wohl­fahrtsstaates verschiebt den Fokus sozial­staatlicher Leistungen. Waren diese eher an der Wiederherstellung von Selbsterhal­tungsfähigkeit bzw. am Ersatz fehlender oder verlorengegangener Ressourcen ori­entiert – also »restituierend« – , sollen sie nun als Aufwendungen für etwas gelten, das in der Folge besonderen Nutzen brin­gen soll – also »investiven« Charakter haben. Subsidiäre Unterstützungen für das konkrete Wohlergehen von Einzelpersonen oder Bedarfsgemeinschaften / Haushalten verlieren durch diese programmatische Verschiebung an Legitimität; Sozialausga­ben, die zum Wirtschaftswachstum beitra­gen, sind hingegen die Favorisierten. So kommt es zu einer polarisierten Zuordnung von Sozialausgaben. Die »Guten« sind jene, die sich rechnen: durch Wachstumsge­winne, durch erweitertes und gestärktes Humankapital, durch die Förderung der Erwerbsbeteiligung bzw. der verstärkten Aktivierung dazu. Die »Schlechten« sind jene Sozialausgaben, die sich in dieser Logik nicht rechnen: sie dienen nur dem Verbrauch bzw. der Deckung der Bedürf­nisse der BürgerInnen. Diese polarisierende Wertung von Sozialausgaben ist der Entste­hungszusammenhang für zwei Folgewir­kungen, die wir aktuell in den österrei­chischen Sozialstaatsdebatten vorgeführt bekommen. Das ist einmal die Stigmatisie­rung von Bedürftigen als BezieherInnen von Leistungen, die sich nicht oder nicht schnell genug rechnen bzw. rechnen sollen. Das ist weiters die Erzählung der für den Umbau des Sozialstaates verantwortlichen politischen Kräfte, unter Legitimations­zwang zu stehen: »die Bevölkerung« würde staatliche Ausgaben zur Deckung länger andauernder Bedürftigkeit nicht goutieren.

Rationalität der Sorge

Diese programmatische Verschiebung von Sozialstaatlichkeit verheißt gerade auch aus einer feministischen Sozialstaatsper­spektive nichts Gutes. Care-Arbeiten und Care-Tätige unterliegen einer anhaltenden Abwertung, das gilt für den privaten Haus­haltssektor und die dort Care-Tätigen ebenso wie für den öffentlichen Sektor, den Unternehmenssektor und den 3.Sektor – in allen werden Care-Arbeiten schlecht bezahlt und unter ungeeigneten Rahmen­bedingungen sowohl für die Sorgebedürfti­gen als auch für die Care-Tätigen erbracht. Diese anhaltende Abwertung hängt klar mit dem Umstand zusammen, dass Care-Tätige in jene Menschen »investieren«, die noch nicht, gerade nicht bzw. nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. »Inwertsetzung« von Care-Tätigkeiten ist im Paradigma des sozialinvestiven Staates höchstens dort zu erwarten, wo Sorgearbeit nach ökonomischen Zielset­zungen organisierbar ist, zum Beispiel der Bereich der frühkindlichen Betreu­ung – daraus kann längerfristig Rendite kommen.

Diskurs, programmatische Verschie­bungen und konkrete Umsetzungen in die Sozialpolitik sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. »Sozialin­vestiv« heißt genau nicht, orientiert an den sozialen Rechten und an sozialem Schutz angemessen und ausreichend in »das Soziale« zu investieren! Das Kon­zept des Social Investments ist ganz klar mit einer – vorgestrigen, aber nichts ­destotrotz politisch äußerst populären – Wachstumsrationalität verbunden. Der Gewinn aus diesem Wachstum ist für jene, die ihn abschöpfen können, umso größer, je optimaler es gelingt, Mensch­sein auf Produktionsfaktorsein oder ungeniert gleich auf Produktionsmittel­sein zu reduzieren. Dem ist die Orientie­rung der Politik und des Sozialen an einer Rationalität der Sorge/ Fürsorge entgegen zu stellen. Menschen sind in erster Linie NutzerInnen bzw. Erbringe­rInnen von Tätigkeiten, die nicht ökono­misch messbar sind bzw. nicht unmittel­bar zu Produktivitätssteigerungen und in der Folge Wachstum beitragen. Es ist eine gute Investition in die Zukunftsfä­higkeit des österreichischen und des europäischen Sozialmodells, dieses Men­schenbild zugrunde zu legen.

Margit Appel, Politologin. Von 1998 bis 2018 Mitarbeiterin der ksoe für politische Bildung und politische Grundlagenarbeit. Nunmehr als Referentin zu den Themen Rechtspopulismus / Demokratie, Bedingungsloses Grundeinkom­men / Sozialstaat, Geschlechterhierarchische Arbeitsteilung, etc. tätig.

Dieser Text wurde auch auf dem Blog der Katho­lischen Sozialakademie (https://blog.ksoe.at) veröffentlicht. Wir danken Margit Appel für die Möglichkeit, den Text auch in der Volksstimme veröffentlichen zu können.

Gelesen 6324 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 27 März 2019 12:36
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