Linke Corona-Politik? pixabay.com
03 Februar

Linke Corona-Politik?

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Kilian Jörg plädiert für eine ermächtigende und zukunftsgewandte Perspektive angesichts der aktuellen Katastrophendynamik. Ein linker Fokus auf Lockdowns, scharfe 2G+-Kontrollen und Impfpflicht reicht dafür nicht aus.

Man mag die Zahlen drehen und wenden wie man will: Wir leben in einem Zeitalter der Katastrophen. Selbst wenn Covid-19 in einiger Zeit seine Aktualität eingebüßt haben wird, wird die ökologische Krise und mit ihr die Erosion von bislang für »gegeben« gehaltenen Umwelt- und Sozialgefügen andauern. Unter solch denkbar schlechten Vorzeichen des so genannten Anthropozäns kann die Pandemie als eine Art Testlauf für eine zukunftsgewandte Politik verstanden werden. Wie kann eine weiterhin inklusive, ermöglichende und emanzipatorische Politik aussehen, wenn der Topos des »Fortschritts« als besseres Leben für alle seine Unschuld (und materielle Grundlage) verloren hat?

Policy making: Ermöglichung statt Repression

Ich schreibe diesen Text aus einer Haltung der Enttäuschung über die sichtbarsten linken Antworten auf die Pandemie. Diese haben sich, meines Erachtens, besonders im deutschsprachigen und US-amerikanischen Raum vor allem gegen rechte Positionen der Pandemie-Verharmlosung und des neoliberalen Laissez-Faire definiert, anstatt selbst einen eigenständigen und differenzierten Standpunkt aufzubauen.

Viel zu willig ließ man sich auf linker Seite anfangs auf eine epistemologische Debatte der quantitativen Gefährlichkeit des Virus und des statistischen Für-und-Wider eines Lockdowns reduzieren, anstatt die eigene Kernkompetenz strahlen zu lassen: Jener des emanzipatorischen und zukunftsgewandten policy making, also des Entwerfens von politischen Szenarien und Hebeln, wie man – selbst in Katastrophenzeiten – den allermeisten ein emanzipiertes und selbstbestimmtes Leben ermöglichen kann. Die Krise mag ein Grundcharakteristikum des 21. Jahrhunderts werden, und anhand von Covid-19 ließe sich ein progressives politisches Programm für diese ungewisse Zukunft entwickeln.

Meiner Meinung nach gehören hierzu drei Grundforderungen: ein Bedingungsloses Grundeinkommen1 (zumindest während der Krise), ein bedingungsloses Recht auf Wohnen (Leerstandsnutzung, Wohnungskündigungen illegalisieren, Kommunalisierung der Immobilien) und ein Recht auf Home-Office. Diese drei Forderungen haben den großen Vorteil, dass sie das Hauptaugenmerk auf eine Politik der positiven Ermöglichung legen, wohingegen bisher zu oft eine negative Sprache des Verbots gewählt wurde.

Augenscheinlichstes Beispiel dafür ist Zero Covid. Diese vielleicht prominenteste, dezidiert linke Initiative forderte eine Art »solidarischen« Total-Lockdown, bis die Infektionszahlen »runter auf Null« gehen und das Virus »eliminiert« ist. Abgesehen davon, dass dies virologisch in einer globalen Pandemie so gut wie unmöglich ist (wie mittlerweile auch Neuseeland und Australien, die diese Strategie verfolgten, eingestanden haben), geht von einer solchen primär repressiven Forderung wenig politische Attraktivität aus. Der heute grassierenden Spaltung in der Gesellschaft in Covid-Fragen hätte man von links vorbeugen können, wenn man mehr auf eine Politik der Selbstermächtigung zum Schutzsuchen gesetzt hätte, als den oftmals willkürlich und autoritär erscheinenden Regierungskurs der meisten Staaten zu unterstützen Wie oft habe ich in den letzten Monaten den common place gehört, dass die europäischen Staaten in der Corona-Krise wieder ihre Macht und Handlungsfähigkeit gezeigt haben: Die Macht zeigte sich allerdings primär durch massiv erweiterte Überwachungs- und Kontrollapparate, nicht durch ambitionierte Sozialpolitiken.

Jenseits der Bewahrung: wenn die Normalität zur Katastrophe wird

Man sollte den Fehler vermeiden, die Pandemie als singuläres Ereignis zu behandeln. Aus historischem Abstand werden sich die gegenwärtigen Jahre wohl viel eher als eine weitere Wegmarke der langsamen Verfallsdynamik von bisherigen (luxuriösen und nicht haltbaren) Stabilitäten des westlichen, modernen Lebensstils (und seines ökologisch katastrophalen Fußabdrucks) lesen lassen. Die gegenwärtig hegemoniale politische Antwort auf diese schwerlich reversible Katastrophendynamik ist eine Verfestigung und Verteidigung der bisherigen Errungenschaften durch die zunehmende Verhärtung von Grenzen und Identitäten. Darin liegt die wahre Verheißung der Demagog*innen des politischen Backlashes: Sie versprechen die Verteidigung der bisherigen Privilegien durch Grenzmauern und zunehmend autoritäre und patriarchale Führungsstile.

Bislang folgte die fast überall auf der Welt hegemoniale Corona-Politik leider einer sehr ähnlichen Logik. Unter dem Diktum »Koste es, was es wolle« nahm man bislang für unmöglich gehaltene Grenzregime und Beschneidungen in Kauf, nur um die herrschende staatliche Ordnung mit Hauptaugenmerk auf ihre neoliberal zusammengesparte Gesundheitsversorgung zu retten und zu bewahren. Nirgends wurde eine Politik der Ermöglichung, von Veränderung und Anpassung an eine längerfristig katastrophale Zeit stark gemacht. Man schloss die Grenzen, Theater, Schulen und Kindergärten etc. und hoffte, dass das Virus und mit ihm die Katastrophe bald wieder vorüber sein werde.

Doch selbst wenn dem so gewesen wäre: Wollen wir uns wirklich dauerhaft auf eine nationalstaatlich verfasste Welt einlassen, in der der Grüne Pass, das Markieren von Risikostaaten oder das schnelle Verhängen von Lockdowns die neue Normalität werden? Wer garantiert uns, dass dies – in kommenden, zur Normalität werdenden Katastrophen – nicht so wird? Der Grüne Pass kann leicht für weitere Marginalisierungen von illegalisierten, prekarisierten und schutzsuchenden Menschen missbraucht werden. In der Liste der Risikostaaten könnte man auch bald Länder wie Libyen finden, aus denen viele Schutzsuchende kommen. Der Lockdown könnte in Zukunft auch gegen soziale Unruhen etc. eingesetzt werden, wie dies bereits in Hongkong der Fall ist. Darüber hinaus hat die Lockdown-Politik massiv einen digitalen Überwachungskapitalismus befördert, von dem die großen, neuen Monopolist*in nen GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) profitieren.

Als Linke sollten wir uns von dieser Idee der bloßen Bewahrung des Status Quo verabschieden, die der – oftmals von links mitgetragenen – hegemonialen Covid-Politik inhärent ist: Diese führt angesichts der bleibenden Katastrophenhaftigkeit zu einer totalitären Verhärtung der modernen Staatengebilde, wie sich auch im vierten Lockdown bemerkbar gemacht hat. Um dem von links wirksam entgegen zu treten, sollten wir an einer Politik zur Ermöglichung einer besseren Weltordnung arbeiten, die sich neuen Lebens- und Organisationsformen öffnet. Ein linker Fokus auf Lockdowns, scharfe 2G+-Kontrollen und Impfpflicht wird hierbei nicht ausreichen. Stattdessen müssen wir an politischen Hebeln arbeiten, die das langsame Umbauen von Lebensentwürfen und Stabilitäten sowie das spontane Experimentieren mit und Entstehen von neuen, resilienteren politischen Gemeinschaften ermöglichen. Die oben genannten drei Hebel sind meine Vorschläge. Es sind sicher nicht die einzigen, und es handelt sich dabei keinesfalls um finale Lösungen. Doch sie weisen einen Weg linker Politik, die auch in der Krise und jenseits des modernen Fortschrittsparadigmas eine ermächtigende und zukunftsgewandte Perspektive einnehmen kann.

Kilian Jörg arbeitet an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Kunst. Er nutzt dafür Text wie auch Installationen, Performances und Musik. Der Gründer des Kollektivs philosophy unbound reist mit kleinem CO2-Ausstoß zwischen Wien, Berlin und Brüssel.

-> kilianjoerg.blogspot.com

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