VS 2025/4 – S. 24

Von der Notwendigkeit einer kritischen Medienpädagogik

An einem sonnigen Tag, nahe eines beschaulichen Innenstadtcafés, reicht ein Erwachsener dem quengelnd-aktiven Kleinkind ein Tablet in den im kühlen Schatten stehenden Kinderwagen. Das Kind verstummt unvermittelt und starrt gebannt auf den bunt blitzenden und leuchtenden Bildschirm.

Von Karl-Hannes Krenner

Soziale Medien sind Teil unseres täglichen Lebens – mit 4,76 Milliarden Nutzer:innen weltweit und einem dreiprozentigen Anstieg jedes Jahr. Die durchschnittliche Zeit pro Tag, welche mit sozialen Medien verbracht wird, liegt bei zweieinhalb Stunden. Damit erreicht die insgesamte Bildschirmzeit fünf Stunden pro Tag. Dieser rasante Anstieg an Bildschirmzeit steht einer geradezu archaisch anmutenden Zeit von ca. sechs bis sieben Schulstunden pro Tag in Österreich gegenüber. Wer Althusser gelesen und verstanden hat, weiß nun, dass die Schule ein ideologischer Staatsapparat ist, der die kulturelle Hegemonie des bürgerlichen kapitalistischen Staates reproduziert. Die Schule hat damit die Kirche als dominanten ideologischen Staatsapparat abgelöst, welche ihrerseits die kulturelle Hegemonie des feudalen Staates reproduzierte und wohl teilweise noch heute reproduziert.

Der bürgerlichen Schule ist allerdings ein nicht zu unterschätzender Konkurrent auf den Fersen, die sozialen Medien. Soziale Medien sind der ideologische Staatsapparat der cloudalistischen Klasse. Cloudalisten, wie Yanis Varoufakis die neuen tonangebenden Tech-Bros aus Silicon-Valley nennt, sind seiner Analyse nach die Erben der bürgerlichen Herrscher, so wie die Bourgeoisie die Erben der feudalen Herrscher waren. Wenngleich Varoufakis auch einräumt, dass es hier zu einer Art Tech- Wiederauferstehung feudaler Strukturen kommt, scheint es doch etwas Neues zu sein. Seine Thesen scheinen auch rasant von der Realität überholt worden zu sein, als mit Donald Trump zusammen Elon Musk, ungewählt, an die Schalthebel der herrschenden Macht des westlichen Imperialismus kam.

Dieser Umstand führt nun dazu, dass die formale Bildung durch Schulzeit immer weiter ins Hintertreffen gerät. Bildung durch soziale Medien ist auf dem besten Weg, die dominante Form der Erziehung der Massen des Volkes zu werden. Mit Bildung und Erziehung ist gemeint, dass wir via dem sublimen Transport der neoliberalen Ideologie durch und über Medienplattformen wie X, Instagram, Facebook usw. erzogen werden, auf eine bestimmte Art zu denken und uns auf eine bestimmte Art zu verhalten. Die Tech-Kapitalisten aus dem Silicon-Valley stellen uns diese Infrastrukturen zur Verfügung, die sie erschaffen haben und in die sie ihre Kultur bewusst und unbewusst eingewoben haben. Indem wir sie nutzen, bewegen wir uns auf dem Entwicklungspfad, der dadurch für uns vorgegeben ist.

Verschärft wird die Lage der Dinge durch den Umstand, dass die Nutzung der sozialen Medien, besonders für sehr junge Menschen, handfeste Konsequenzen hat. Smartphones, die Apps darauf, das ganze digitale Ökosystem ist ausgerichtet darauf, uns süchtig nach seiner Nutzung zu machen, um dadurch Profite zu generieren. So wie überall im Kapitalismus ist das entscheidende Subjekt nicht der Mensch, sondern der Profit – und dieser wird auch zum Nachteil der Menschen erwirtschaftet. Wer kennt nicht die Szenen aus dem öffentlichen Nahverkehr, in dem beinahe alle Personen wie hypnotisiert auf die Bildschirme der Smartphones starren? Eingedenk der am Anfang des Artikels skizzierten Szenerie ist besonders erschreckend festzustellen, dass durch die Nutzung von Smartphones und Tablets durch immer jüngere Menschen, aber auch durch die Nutzung von Smartphones und Tablets durch ihre Eltern, der gesunden Entwicklung der jüngsten Menschen in unserer Gesellschaft ein Schaden zugefügt wird. Sensorische Vernachlässigung und soziale Isolation in der frühen Entwicklungsphase des Menschen können zu abnormaler neuronaler Entwicklung führen. Kinder in einer unregulierten Art und Weise, besonders während der ersten drei Lebensjahre, bildschirmbasierten Medien als einer Art Babysitter auszusetzen, kann aus der kindlichen Perspektive als indirekte Vernachlässigung oder geringfügige Deprivation wahrgenommen werden. Hinzu kommt, dass auch Eltern nicht immun gegen die verführerische Kraft der digitalen Plattformen sind, und so ihren Kindern wiederum weniger Zeit schenken können.

Bei erwachsenen Menschen kann eine fundierte und kritische Medienbildung helfen, die adversen Effekte der digitalen Plattformen und sozialen Medien zu minimieren. Wir sind nicht gänzlich von diesen kulturindustriellen Produkten determinierbar. Widerstand ist möglich. Aber Bildung benötigt Zeit; Zeit, die ein Kind im Kinderwagen noch nicht hatte. Deshalb ist es hoch an der Zeit, dass einerseits die kritisch-progressiven Kräfte für eine kritische Medienpädagogik für Erwachsene eintreten, welche den Menschen hilft, als mündige, selbstbewusste, selbstorganisierte und selbstbestimmte Akteure und Akteurinnen in unserer Gesellschaft zu agieren. Andererseits muss auch vehement für ein Nutzungsverbot dieser Medien und Medienplattformen eingetreten werden, wenn es sich um sehr junge und heranwachsende Menschen handelt.

KARL-HANNES KRENNER ist Lektor im Bereich Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt. Sein wissenschaftliches Interesse gilt unter anderem der Erforschung der kulturellen Medienhegemonie und der Formulierung einer kritischen Medienpädagogik.