Von Mo Sedlak
Fast alle hassen die Lohnarbeit. Fast alle probieren, eine zu haben. Das ist keine Dialektik und auch nicht widersprüchlicher, als einen Text für die Volksstimme auf dem Laptop zu tippen, den unterbezahlte Arbei-ter*innenhände im Globalen Süden zusammengeschraubt haben.
Vor allem für Marxist*innen ist Lohnarbeit, der erzwungene Verkauf der eigenen Arbeitskraft, ein Grundübel. Das gilt im Allgemeinen – die Trennung von denen die arbeiten und dem Produkt ihrer Arbeit macht bekanntlich den Kapitalismus ziemlich grundlegend aus – und auch im Konkreten, am Arbeitsplatz oder in der digitalen Warteschlange vorm eAMS.
Die Lohnarbeit ist eine politisch-ökonomische Struktur, das Wesen der Produktionsweise Kapitalismus, das grundlegende Produktionsverhältnis. Die marxistische Kritik der Lohnarbeit ist mehr als Unmut darüber, dass die Lohnarbeit das System am Laufen hält. Auch der individuelle Bann, in den der Lohn die einzelne Arbeiterin zieht, war schon früh Gegenstand der Kritik. Das beginnt mit Marx’ Kritik an der Entfremdung von der Arbeit und am Warenfetisch als grundlegendes Moment der Arbeitsteilung und geht bis zu den materiellen und psychischen Folgeerscheinungen für Engels’ »arbeitende Klasse in England«.
Alternativen müssen her, mindestens für die Zeit nach der revolutionären Überwindung des Kapitalismus. Aber auch im Hier und Jetzt wäre es schön, sinnvoll, fast not wendig, sich vorstellen zu können, wie Arbeit ohne Arbeitszwang ausschaut. Damit der Kommunismus nicht Utopie, sondern wissenschaftlich zumindest denkmöglich ist.
Der sowjetische Ökonom Isaak Iljitsch Rubin schreibt, dass Marx’ Ökonomie vor allem die Frage nach der Arbeitsteilung im Kapitalismus ins Zentrum gestellt hat. Seine Kritik der Lohnarbeit soll vor allem Arbeitsmarkt und Konsumfreiheit entzaubern. Im gleichen Sinne braucht eine sozialistische Ökonomie ein alternatives Konzept zur Arbeitsteilung und -organisation.
Die politische Arbeit erscheint als mögliches Alternativkonzept. Gerade für Aktivist*innen ist sie ein naheliegender Ausgangspunkt. Wir verbringen im Schnitt viel Zeit damit, die meisten, ohne entlohnt zu werden. In der Geschichte sind Revolutionär*innen an die politische Arbeit oft disziplinierter herangegangen als an ihren Broterwerb.
Die Arbeit für linke Klein- und Kleinstparteien ist natürlich kein ausschöpfendes Alternativkonzept für die freie und gleiche Organisation der globalen Wirtschaft. Aber in den Mechanismen von kollektiver Entscheidung und Anerkennung, gemeinsamer Einsicht in das Notwendige und, wenn alles sehr gut läuft, Schimmer von Selbstwirksamkeit im Produkt der eigenen Arbeit, können wir durchaus Ansatzpunkte für Arbeitsprozesse nach der Lohnarbeit finden.
Unbezahlte Arbeit
Die österreichische soziale Marktwirtschaft kennt viel unbezahlte Arbeit. Ohne Lohn ist das erstmal keine Lohnarbeit. Viel Arbeit, bei der keine Euros die Besitzerin wechseln ist trotzdem fest ins System der Lohnarbeit eingebettet. Die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit, die vor allem FLINTA* Personen in Beziehungen und Familien übernehmen, stützt nicht nur die Lohnarbeit anderer Familienmitglieder. Die eigene finanzielle Abhängigkeit ist auch eine gegenüber jemandem, der selbst lohnarbeitet. Meistens jedenfalls.
Der Großteil der unbezahlten Arbeit ist auch in nicht-finanzielle, aber reaktionäre Strukturen eingebunden, die materielle Abhängigkeit im Familienverbund, oder hierarchische Kommandostrukturen bei freiwilliger Feuerwehr und Rettungsdiensten.
Ansatzpunkte für echt alternative Arbeitsorganisation finden wir aber an den Rändern von Ehrenamt und Sorgearbeit, bei selbstorganisierter Nachbar*innenhilfe, lokalen Initiativen und, teilweise, in der politischen Arbeit.
Lohnarbeit
Lohnarbeit hat einen einfachen, messbaren, universell vergleichbaren Motivator, den Lohn. Der ist notwendig, damit wir weiterleben können, und entschädigt für die Zumutung zu arbeiten aber über das Produkt unserer Arbeit keine Kontrolle zu haben. Die bürgerliche Ökonomie hat sich dafür den Begriff des Arbeitsleids ausgedacht, mit dem viele von uns intuitiv etwas anfangen können. Dieses Arbeitsleid wird mit Geld entschädigt.
Auch bei Adam Smith findet sich dieser Gedanke. Als er Lohnungleichheiten erklären möchte, meint er, die unpopulärsten, anstrengendsten oder moralisch abstoßenden Berufe würden als Ausgleich mehr Geld bekommen. In der Welt der Daten und Fakten gibt es dafür übrigens keinen Hinweis, tatsächlich sind die am besten bezahlten Jobs auch am angenehmsten, am wenigsten anstrengend und mit den meisten betrieblichen Angeboten zur Stressbewältigung und Hinterfragen des eigenen Tuns.
Die einfache Messbarkeit und konkrete Nützlichkeit des Lohns ist ein Hundling. Die scheinbare Freiheit der Lohnarbeit (verglichen mit Sklaverei und Leibeigenschaft) ist das Ergebnis von Klassenkämpfen, aber auch eine Brutalität gegen den Freiheitsdrang der Arbeiter*in:
»Es kostet Jahrhunderte, bis der ›freie‹ Arbeiter infolge entwickelter kapitalistischer Produktionsweise sich freiwillig dazu versteht, d. h. gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohnheitsmäßigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeitsfähigkeit selbst, seine Erstgeburt für ein Gericht Linsen zu verkaufen.«
So zitiert Christian Frings in der PROKLA 196 aus dem ersten Band Kapital.
Gesellschaftlich ist Lohnarbeit Voraussetzung für Kapitalakkumulation und Kapitalherrschaft. Sie ist – »negativ definiert« – Lohnarbeiter*in ist, wer kein Kapital besitzt und sich deshalb ihr*sein Einkommen anders beschaffen muss. Das Kapital ist also gleichzeitig Voraussetzung für die Lohnarbeit, und die Abschaffung des (privat besessenen) Kapitals Voraussetzung für die Abschaffung der Lohnarbeit.
Isaak Iljitsch Rubin (der 1937 als angeblicher Trotzkist verhaftet und ermordet wurde) geht soweit, zu argumentieren, dass die Trennung des Arbeitsprodukts von dem*der Arbeiter*in zur Entfremdung von der Arbeit selbst führt. Das macht erst den freien Verkauf der Ware Arbeitskraft möglich. Nur wenn Arbeiter*innen bereit sind, ihre Arbeitskraft dem meistbietenden Kapital anzubieten, weil der Inhalt des Arbeitstages mehr oder weniger wurscht ist, wird die Arbeitsteilung möglich, die für eine schnelle Kapitalakkumulation notwendig ist.
Politische Arbeit
Lohnarbeit ist ein ehrliches Geschäft. Wir erscheinen in der Früh und gehen erst, wenn wir dürfen, weil am Ende vom Monat Geld am Konto landet. Geld, dass wir für Waren und Dienstleistungen eintauschen können, Waren und Dienstleistungen, die wir anders nicht bekommen. Die Summe am Lohnzettel wird zur Maßzahl des eigenen Werts, motiviert hinzugehen, wenn es uns nicht freut, ein scheinbarer Beweis für das Funktionieren des warenförmigen Arbeitsmarktes.
Die politische Arbeit in der nicht-staatstragenden Linken ist anders motiviert, die meisten Aktivist*innen werden für ihre Arbeit nicht bezahlt. An der Oberfläche geht es um politische Ziele, wenn wir Infotische aufbauen und Artikel schreiben. Aber darunter, in der politischen Organisation, findet ebenfalls Arbeitsteilung statt, werden Aufgaben erfüllt, die keinen Spaß machen.
Entfremdung findet idealerweise in der politischen Arbeit keine statt. Die politische Aktivistin bestimmt, was sie produziert (auch wenn darüber kollektiv bestimmt wird), kann die Ergebnisse sehen, reflektieren, verwenden. Die oberflächliche Psychologie der Selbstwirksamkeit kann trotzdem nicht als alternativer Motivator für die Arbeit herhalten. Die meisten politischen Aktivitäten bringen weder schnellen noch nachhaltigen Erfolg. Dennoch bleiben Genoss*innen über Jahre und Jahrzehnte diszipliniert dabei.
Dazu kommt der scheinbare Widerspruch, dass erfolgreiche politische Organisierung oft auf entlohnte Arbeit zurückgreift. Ein kleiner Parteiapparat hat eine Tradition bei linken Parteien bis runter zur Kleingruppe.
Darüber hinaus orientieren sich viele Organisationen an der Idee des*der Berufsrevolutionär*in, die leninistischen offen und die nicht-leninistischen ein bisschen verhohlener. Damit ist kein bezahlter Aktivismus gemeint, sondern Aktivität, die über Freizeit und unmittelbares Selber-Wollen hinausgeht. Die Genoss*innen von der deutschen Gruppe Arbeiter*innenmacht drücken das in ihren »Thesen zu den frühen Stadien des Parteiaufbaus« so aus: »Lenin besteht darauf, dass die Partei zur Hauptsache aus Personen bestehen soll, die in revolutionären Aktivitäten berufsmäßig engagiert sind. Dies bedeutet nicht nur Vollzeit-Funktionäre im engen Sinn, Studenten und Beschäf-tigungslose, also jene, die ihre meiste Zeit der politischen Arbeit widmen können. Lenin macht klar, dass auch Vollzeit-Arbeiter mit eingeschlossen sind. Aber es schließt diejenigen aus, die nur ihre ›Freizeit‹ für Politik verwenden wollen. Sobald es die personellen und materiellen Möglichkeiten gestatten, sollte selbst die kleinste revolutionäre Gruppe einen kleinen Apparat mit haupt amtlichen Revolutionären einrichten.«
Das ist wieder keine Dialektik. Man kann Volksstimme-Texte auf einem kapitalistisch produzierten Laptop tippen, und man kann gleichzeitig ohne Aussicht auf Entlohnung Berufsrevolutionär*in zur Abschaffung der Lohnarbeit sein, aber als Partei Menschen anstellen.
Lohnarbeit ohne Kapital
Die politische Arbeit, die im Kollektiv entscheidet, wer was tut, und wo Anerkennung aus der gemeinsamen Debatte kommt, ist ein Ansatzpunkt der Arbeitsorganisation nach dem Kapitalismus. Wenn nicht Chefs und Manager*innen sondern Kolleg*innen bestimmen, gibt es keine ökonomische Grundlage für die Entfremdung.
Die Erfahrungen aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks lehren uns aber, dass auch ohne privates Kapital die Arbeitsorganisation des Kapitalismus simuliert werden kann. Lohnabhängigkeit und Quasi-Kommandostrukturen im Betrieb können auch von einer bürokratischen Kaste durchgesetzt werden.
Die Demokratisierung der Wirtschaft, also die konkrete Arbeiter*innenmacht, und die bewusste politische Umgestaltung der Arbeitsverhältnisse ist ebenso notwendig wie die Entmachtung der Kapitalist*innen, damit die Abschaffung der Lohnarbeit auch bei den Lohnarbeiter*innen ankommt. Dazu gehört neben der Demokratisierung von Betrieb und Konsum auch die Aufhebung der Trennung zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit.
Die Rolle der politischen Arbeit heute ist in erster Linie, das vorzubereiten und zu erkämpfen. Aber aus der Rolle von kollektiver Debatte, zwangloser Disziplin und inhaltlicher Überzeugung für konkrete Tätigkeiten können wir einiges über die Arbeitsorganisation nach der Abschaffung der Lohnarbeit mitnehmen.
Mo Sedlak ist Aktivist im Koordinationsteam von LINKS und beim trotzkistischen Arbeiter*innenstandpunkt. In der Volksstimme 7–8 (2022) veröffentlichte der Autor: Inflation ist menschengemacht, Klassenkampf hilft.