Außer Kontrolle(n)

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Die geplanten Gesetzesnovellen sind ein weiterer Freibrief für Justiz- und Polizeiwillkür

Von Karl Reitter

Das Tempo verschärft sich. Die neuen, vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) vorgeschlagenen Gesetzesnovellen stellen einen weiteren Schritt Richtung Justiz- und Polizeiwillkür dar. Am 3. März wurden zwei Gesetzesänderungen zur Begutachtung ausgesandt, wobei die Frist bereits am 9. März endete. Wäre es nach den staatstragenden Medien gegangen, die Information über diese wäre kaum bekannt geworden. Aber der Reihe nach. Es geht bei den Änderungen um zwei verschiedene Gesetze. Einmal um das Epidemiegesetz 1950 sowie um das COVID-19- Maßnahmengesetz aus 2020. Das Epidemiegesetz von 1950 wurde mehrfach novelliert und stellt die gesetzliche Basis der staatlichen Pandemiemaßnahmen dar. Das COVID-19-Maßnahmengesetz ergänzt und erweitert das Epidemiegesetz, wobei sich einzelne Paragraphen des COVID-19-Maß-nahmengesetzes auf Paragraphen des Epidemiegesetzes beziehen. Die Materie ist also einigermaßen unübersichtlich und für Lai*innen nicht einfach zu durchschauen – für unsere Polizeibeamt* innen im Einsatz wohl ebenso wenig. Von den staatstragenden Medien war differenzierte Information nicht zu erwarten. Stattdessen geschah folgendes Bemerkenswertes, und zwar durchgehend: Kaum wurde ein kritischer Artikel zu diesen geplanten Novellen veröffentlicht, war der Artikel auch schon wieder von den Startseiten verschwunden und nur mehr schwerlich auffindbar. So geschehen bei der Wiener Zeitung, beim Standard und auf orf.at. Dass da offensichtlich eine Intervention aus dem Gesundheitsministerium vorlag, entging fast niemandem: Zahllose Postings zeugen davon. Vergessen wir nicht: Die Abhängigkeit von der Presseförderung und staatlichen Inseraten ist in Zeiten sinkender Druckauflagen nicht gering zu schätzen. Das Bestreben, dieses Thema möglichst rasch wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit zu nehmen, wundert angesichts der Änderungen nicht. Diese haben es tatsächlich in sich.

Die Novelle des Epidemiegesetzes

Wie die Gruppe »Rechtsanwälte für Grundrechte« aufzeigt (unter afa-zone.at nachzulesen), betrifft die Änderung vor allem den § 15. Der Ausdruck »Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschen-mengen« wurde durch den Begriff »Veranstaltungen« ersetzt. Nun soll der § 15 Abs. 1a lauten: »Als Veranstaltungen gelten Zusammenkünfte von zumindest vier Per-sonen aus zumindest zwei Haushalten.« »Das bedeutet, dass künftig jedes derartige, auch private Treffen als Veranstaltung gilt und nur mit behördlicher Erlaubnis zulässig ist, also im Verordnungsweg verboten werden kann«, kommentiert die Gruppe »Rechtsanwälte für Grundrechte«. Diese Interpretation wird von Seiten des Ministeriums explizit geteilt. Der Pressereferent Daniel Böhm stellt in einer APA-Aussendung unmissverständlich fest: »Die Regelung zum ›Zusammenströmen von Menschen‹ soll nun konkretisiert werden. Es wird explizit eine Mindestanzahl von vier Personen festgelegt. […] So wie die bestehende Regelung auch, soll die künftige auf alle Orte von Zusammenkünften anwendbar sein und erfasst damit sowohl öffentliche als auch private Orte. Kontrollen im privaten Wohnbereich schließt das Gesetz weiterhin explizit aus.« Die Novelle zum Epidemiegesetz sieht weiters vor, dass Epidemiegebiete festgelegt werden können, die weder betreten noch verlassen werden dürfen. Zudem sollen die Strafen massiv verschärft werden. Wer gegen den § 15 verstößt, wer sich also mit drei weiteren Freund*innen wo auch immer trifft, kann nun nach § 40 mit 500 Euro oder einer Woche Gefängnis bestraft werden. Wenn aber ein solches Zusammentreffen als verbotene Veranstaltung tituliert wird, beträgt die Strafe bis zu 1.450 Euro oder vier Wochen Arrest. Bei gewerbsmäßigen Veranstaltungen drohen den Veranstalter* innen bis zu 30.000 Euro Strafe.

Die Novelle zum COVID-19- Maßnahmengesetz

Hier geht es vor allem um den § 5, also um die Ausgangsregeln. Gleich im ersten Absatz § 5 (1) wird ein Passus eingefügt, der verstört. Nun genügt auch der Umstand einer wörtlich »nicht mehr kontrollierbaren Verbreitung«, um Ausgangsbeschränkungen verhängen zu können. Wenn es nicht so dramatisch wäre, wäre es auch lustig. Jede Pandemie und Seuche beruht auf einer »nicht mehr kontrollierbaren Verbreitung«, oder was sollen wir uns unter einer kontrollierbaren Verbreitung vorstellen? »Herr Landeshauptmann, nehmen wir nach Stockerau lieber Floridsdorf oder Korneuburg, wo soll sich denn das Virus ausbreiten?« Die Begründung von Seiten des Ministeriums für die neu eingefügte Bestimmung ist hanebüchen: Eine unkontrollierbare Verbreitung liege vor, »wenn die Kontaktnachverfolgung auf Grund der unkontrollierten Virusverbreitung nicht mehr aufrechterhalten werden kann«. Das war noch nie der Fall. Ganz offiziell wird von den Behörden zugegeben, dass das Contact Tracing nur in Ansätzen und sehr lückenhaft möglich war und ist. Die Novelle stellt zudem insbesondere Heime unter besonders strenge Bestimmungen. Die menschenunwürdige Isolation in den Hei Heimen kann mit den neuen Bestimmungen legitimiert werden, egal, wo das Virus tatsächlich stark verbreitet ist – und das angesichts der Impfungen insbesondere der alten und ältesten Menschen.

30.930 Einwände

Der offenbare Versuch des Ministeriums, die Novelle still und heimlich an der Öffentlichkeit vorbei zu schwindeln, ist deutlich gescheitert. Ein diesbezüglicher Artikel im Standard, obwohl rasch ins Archiv abgeschoben, hatte immerhin fast 5.000 sehr kritische Postings. Nun sollen über 30.000 kritische Stellungnahmen auf der Webseite des Ministeriums eingetroffen sein. Wie zu erwarten, hat auch bei diesem Thema der staatstragende Standard sofort die Keule der Denunziation parat: Die Flut der Einwände sei das Werk von »Staatsverweigerern« gewesen, werden wir von Gabriele Scherndl belehrt. Und ich war einer davon!

Entschärfung? Verschärfung!

Angesichts der massiven Proteste kündigte Gesundheitsminister Rudi Anschober per APA-Aussendung vom 17.3.2021 an, einige Konzessionen an die Kritik zu machen: »Die Regelung zum Zusammenströmen von Menschen ab 4 Personen wird im COVID-19-Maßnahmengesetz und nicht im Epidemiegesetz verankert und gilt damit befristet und ausschließlich für Rechtsakte in Zusammenhang mit COVID-19. Zudem sieht der aktuelle Entwurf eine zeitliche Beschränkung von 10 Tagen vor, wenn diese Regelung den privaten Wohnbereich betrifft (der weiterhin nicht kontrolliert werden darf).« Statt vier sind es nun fünf erwachsene Personen, die zu einer Versammlung erklärt werden können. Höhe und Ausmaß der Strafen bleibt gleich. Zugleich wurde angekündigt, tatsächlich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft wirklich werden zu lassen. An »Geimpfte, Getestete und Genesene« soll ein »Grüner Pass, ein digitaler, datenschutzkonformer Immunitätsnachweis« ausgegeben werden, der zu bestimmten noch festzulegenden Freiheiten berechtigt, die anderen verwehrt werden. So wird die verfassungsmäßig fragwürdige Impf- und Testpflicht durch die Hintertüre eingeführt.

Nachbemerkung: Der Bundesrat hat am 30.3. in einer Abstimmung das Gesetz blockiert - es bekam keine Mehrheit, da drei Abgeordnete der Regierungskoalition krank waren und die zwei Stimmen der SPÖ Abgeordneten aus dem Burgenland nicht ausreichten. Die Abstimmung endete 27 zu 29. Das Inkraftreten wird so um 8 Wochen verschoben. Das Gesetz tritt somit erst Ende Mai in Kraft.

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Gelesen 4366 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 15 April 2021 09:05
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