GRÜNDUNGSKONVENT LINKS: Was nun? Was tun!

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Im Jänner fand in Wien der Gründungs- konvent von LINKS statt, einem Zusam- menschluss von Menschen aus der Zivil- gesellschaft, Feministinnen, Donnerstags - demonstrant*innen, politischen Akteur* innen aus dem linken Spektrum und Genoss*innen mit langem, revolutionärem Atem, die sich der Wien-Wahl im Herbst stellen. Volksstimme-Redakteurin HELGA WOLFGRUBER war eine der Redner*nnen bei der Eröffnung. Hier ihr Redebeitrag.

Ich wünsche euch allen einen schönen, guten Morgen!

Ich bin keine begeisterte Saalrednerin, trotzdem freue ich mich heute, das anspre­chen zu können, was mir schon lange am Herzen und manchmal auch im Magen liegt.

Noch größer aber ist meine Freude über den fast vollbesetzten Saal, in dem ich so viele junge Gesichter sehe. Das nährt viel­leicht auch meine Hoffnung …

Ich sage vielleicht, weil jedem Anfang – auch einem politischen Neubeginn – ein Zauber innezuwohnen scheint. Ein Zauber, der, wie in jeder Verliebtheit, rasch verflie­gen kann, wenn wir nicht behutsam mitei­nander umgehen und bemüht sind, sowohl Kränkungen als auch Entwertungen offen zu thematisieren. Auch gelegentliches Lob schadet nicht. Theoretisches Wissen und praktische Erfahrung sollten wir nicht gegeneinander ausspielen und das überge­ordnete Gemeinsame nicht aus den Augen verlieren.

Ich gestehe, ich war von Anfang an ver­liebt in den Aufbruch – ich habe dort gespürt, wie solidarisches Handeln mit jun­gen Menschen Motivation fördert und auch lustvoll sein kann. Ich habe lange, trotz Skepsis von außen, durchgehalten. Aber missionarischer Aktionismus ohne konkre­tes Ziel frustriert und vertreibt auf Dauer auch hochmotivierte AkteurInnen.

Bewegen

Ich bin seit dem Verlassen meines tief­schwarzen Elternhauses, also seit ca. 50 Jahren, in linken Milieus unterwegs. Politisch sozialisiert wurde ich in der Frau­enbewegung, in der männerdominierten Gewerkschaftswelt, in der Armutskonfe­renz und in meiner Tätigkeit als psychiatri­sche Sozialarbeiterin. Zuletzt bin ich in der KPÖ gelandet.

Auf diesem Weg bin ich müde geworden. Aber nicht zu müde, um nicht immer wie­der aufbrechen zu wollen. Diesmal aber möchte ich auch ankommen.

Ich bin es nämlich leid, dem erfolglosen, vereinsamenden Schaulaufen der Linken zuzuschauen und vielleicht den besonders Linken zu applaudieren, wenn ihnen fall­weise ein doppelter Rittberger auf dem gesellschaftspolitischen Eis gelingen sollte.

Ich bin davon überzeugt, dass es an der Zeit ist, sich von in Stein gemeißelten Dog­men und kritikresistenten Standpunkten zu verabschieden. Stand: bedeutet für mich Unbeweglichkeit und Punkt: Ende.

Wir katapultieren uns ins Out, wenn wir uns nicht von der Frage verabschieden, wer die Linksten im ganzen Land sind. Wessen Wahrheit die richtige oder die einzige ist.

Ideologische Glaubensbekenntnisse kön­nen zu einem Panzer werden, der zwar für manche Menschen ein stützendes, weil identitätsstiftendes Korsett sein mag, aber auf Dauer zu einem sauerstoffarmen Leben in einer Blase führt.

Intellektuelle Systemkritik ALLEIN, sei sie auch noch so radikal formuliert, wird Men­schen nicht berühren, wird sie kalt lassen.

Selbstgerechtigkeit gepaart mit einer moralisierenden Opferhaltung macht uns nicht zu glaubwürdigen AkteurInnen, denen man die Veränderung der Verhält­nisse zutraut.

Phrasen und Schlagworte müssen wir durch Argumente ersetzen und sie sollten auch von der Neugierde an anderen Hal­tungen begleitet sein. Wir werden die gewünschte Resonanz nicht erreichen, wenn wir so weiterma­chen wie bisher.

Strategien

Wir müssen zuhörende AktivistInnen werden, die neben den digitalen Ver­kehrsformen auch die Begegnung mit Menschen mögen und diese als sinnliche Bereicherung erleben. Politik darf auch sinnlich sein. Berühren. Viktor Adler betonte sogar die Notwendigkeit, Men­schen zu lieben als Voraussetzung für erfolgreiche Politik. Dem stimme ich zwar nicht ganz zu – aber es ist ein schö­ner Gedanke.

Einige Punkte zu meinem Politikver­ständnis oder eine postweihnachtliche Wunschliste:

Es ist das gemeinsame Ziel, hinter dem alle politischen AkteurInnen stehen, das den Weg zum Erfolg erleichtert – das gilt für parteierfahrene alte Hasen ebenso, wie für junge Unabhängige.

Unser radikal systemkritisches Pro­gramm sollte nicht durch den Narziss­mus der kleinen Differenzen zu endlosen Debatten führen und Interessierte ver­schrecken, ein Programm, das vorhan­dene Erkenntnisse einbezieht, unter­schiedlichen politischen Erfahrungen auch gerecht wird, aber das an Machba­res angelehnt ist und das sich dem Dringlichsten widmet: der Veränderung von Macht-und Besitzverhältnissen.

»In einer demokratischen Politik ist es selbstmörderisch«, schreibt der ameri­kanische Politologe Mark Lilla, »wenn man die Latte für das Maß an Überein­stimmung höher legt, als notwendig ist, um Anhänger und Wahlen zu gewin­nen.«

Wir brauchen eine gemeinsame Stra­tegie, die von gleichberechtigten Partne­rInnen auf demokratische Weise erar­beitet ist und vor allem in der öffentli­chen Wahrnehmung gebührende Beach­tung findet. Unsichtbare können nicht gewählt werden.

Ich wünsche mir von PolitakteurInnen Verbindlichkeit in ihrem Engagement und einen langen Atem, aber auch einen selbstfürsorglichen Umgang mit eigenen Kräften.

Ich wünsche mir AktivistInnen, die neben Systemkritik auch ihre Fähigkeit zu Selbstreflexion pflegen – als Schutz vor dem Wiederholen von Fehlern und vor­schnellen Schuldzuschreibungen nach außen. Auch als Schutz gegen individuelle Machtansprüche zu Lasten des Gemein­wohls.

Wir müssen nicht alles wissen – wir soll­ten aber die Bereitschaft haben zum Sich-kundig-Machen.

Solidarität

Wir sollten akzeptieren, dass menschliches Handeln und Leben nicht NUR von ökono­mischen Gegebenheiten abhängt, sondern AUCH von psychischen, oftmals unbewuss­ten Kräften geleitet wird. Dieser Dialektik zwischen Innen und Außen, zwischen indi­viduellem Verhalten und gesellschaftli­chen Verhältnissen sollten wir mehr Bedeutung zuschreiben. Anders, so glaube ich, werden unsere politischen Antworten der Komplexität und Verrücktheit dieses Lebens nicht gerecht werden.

Ich wünsche uns, dass es gelingt, durch gemeinsames Handeln die zerrissene Soli­darität zwischen uns Linken zu flicken und allen gesellschaftlichen Spaltungsversu­chen das Wasser abzugraben.

Ohne Solidarität, wie Albert Camus sie versteht, verlieren Menschen den Kontakt zur Welt und manchmal auch zu sich selbst. Und was gibt es Traurigeres als Ein­samkeit?

Lassen wir daher nicht zu, dass Keile und Pfeile von außen eine zerstörerische Wir­kung auf ein geeintes linkes Projekt bekommen.

Und vor allem, geben wir auch unserem oft ausufernden Hang zur Selbstzerflei­schung keine Chance.

Wir wollen uns von anderen Politiken unterscheiden.

***

Zum Abschluss ein Apell aus Antonio Gramscis Feder: »Bildet Euch, denn wir brauchen all Eure Klugheit. / Bewegt Euch, denn wir brauchen all Eure Begeisterung. / Organisiert Euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft.«

Wann, wenn nicht jetzt.

Wer, wenn nicht wir.

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Gelesen 5806 mal Letzte Änderung am Freitag, 07 Februar 2020 15:12
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