DIPLOMATIE VOR DER DIPLOMATIE: Österreichisches Leben in der DDR

von

Von SABINE FUCHS

In Zeiten der immer hysterischer werden­den Delegitimierung der DDR mutet es überraschend an, dass im Jahr 1989 etwa 200.000 AusländerInnen freiwillig im angeblichen »Unrechtsstaat« gelebt haben. Dabei war auch die Anzahl derer, die nicht aus Staaten des Warschauer Pakts stamm­ten, wesentlich größer, als die Propaganda von der gegenseitigen Abschottung wäh­rend des Kalten Krieges vermuten lässt. So lebten Mitte der 1970er Jahre etwa 3.000 Personen mit Schweizer Pass in der DDR, zur selben Zeit sprach der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky von einer »fünfstelligen Zahl« in der DDR lebender ÖsterreicherInnen. In der diplomatischen Korrespondenz der 1950er Jahre ist konkret von 18.000 in der sowjetischen Besatzungs­zone lebenden ÖsterreicherInnen die Rede.

Die ÖsterreicherInnen waren damit die größte Gruppe an Nicht-Deutschen, die zunächst in der sowjetischen Besatzungs­zone und dann in der DDR lebten. Der grö­ßere Teil dieser Menschen emigrierte aller­dings nicht in die DDR, vielmehr sind sie oder ihre Vorfahren schon zwischen den beiden Weltkriegen nach Deutschland gegangen, um dort Arbeit zu suchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden alle in Deutschland lebenden ÖsterreicherInnen durch so genannte Repatriierungsstellen betreut, die vor allem mit Pass- und Rück­führungsangelegenheiten beschäftigt waren. Aus der Berliner Repatriierungs­stelle ging 1947 die »Österreichische Dele­gation« hervor, die die konsularische Betreuung der in der sowjetischen Besat­zungszone lebenden ÖsterreicherInnen übernahm. Ihre Haupttätigkeit bestand in der Ausstellung von Pässen, was mit einer Überprüfung des Anrechts auf die österrei­chische Staatsbürgerschaft einherging.

Nach der Gründung der DDR am 7. Okto­ber 1949 verkomplizierte sich die Situation, denn nun war nicht mehr die sowjetische Besatzungsmacht der Ansprechpartner, sondern die Behörden der DDR. Gleichzeitig waren im beginnenden Kalten Krieg eine offizielle Anerkennung der DDR und damit Gespräche mit den DDR-Behörden auf offi­zieller Ebene nicht möglich. Anfang 1952 wurde die Delegation dem Wiener Außen­amt unterstellt und damit in den Auswärti­gen Dienst eingegliedert, obwohl es offiziell keine diplomatischen Beziehungen zwi­schen beiden Staaten gab. Dies war durch­aus in beiderseitigem Interesse: Österreich stempelte als eines von wenigen westlichen Ländern Visa direkt in die DDR-Pässe (und akzeptierte sie somit stillschweigend als offizielles Dokument), was gerade in der Anfangsphase der DDR die Reisen in das westliche Ausland erheblich erleichterte. Profitiert haben davon vor allem politische Delegationen, aber auch WissenschaftlerIn­nen, die an internationalen Kongressen teilnahmen. Sie konnten mit dem österrei­chischen Visum nicht nur nach Wien, son­dern auch über Wien in andere Staaten rei­sen. Im Gegenzug akzeptierten die DDR-Behörden die Arbeit der Delegation und duldeten die Reisefreiheit der auf ihrem Staatsgebiet lebenden Personen mit öster­reichischem Pass. Beide Parteien waren an der Aufrechterhaltung des Status quo inte­ressiert. So behielt Österreich die liberale Visapraxis auch nach dem September 1960 bei, als die NATO-Länder eine Visa-Sperre gegen DDR-BürgerInnen verhängten.

Die Aufgaben der Delegation entsprachen denen eines Konsulats oder einer Botschaft. Personen, die mit ihr in Kontakt traten, taten dies in den meisten Fällen wegen einer obligatorischen Verlängerung des Reisepasses. Auch bei Problemen mit DDR-Behörden wurde die eigene diplomatische Vertretung konsultiert. In den Akten ist die angeblich mangelhafte Unterstützung durch die DDR-Behörden bei einem Nach­barschaftsstreit ebenso als Grund zu finden wie das mehrfach vorgetragene Begehren des Dirigenten Othmar Suitner, nach dem Nationalpreis der DDR auch eine österrei­chische Auszeichnung zu erhalten. Schwer­wiegendere Konflikte gab es zu dieser Zeit kaum.

Passfrage und Staatsbürgerschaftsrecht

Eine gewisse Zäsur stellte die im Rahmen der »neuen Ostpolitik« Willy Brandts statt­findende offizielle Anerkennung der DDR und die Aufnahme diplomatischer Bezie­hungen im Dezember 1972 dar. Nun wurde die österreichische Botschaft in der DDR eröffnet, die in der damaligen Otto-Grote­wohl-Straße (heute Wilhelmsstraße) lag. Eine andere Neuerung für die in der DDR lebenden ÖsterreicherInnen, die mit den unterschiedli­chen Staatsbürgerschaftsrechten der beiden Staaten zusammenhängt, wurde ebenfalls in den 1970er Jahren virulent. Während das Staatsbürgerschaftsrecht der DDR nämlich auf dem Territorialprinzip beruhte (jede/r, der/die auf dem Staatsgebiet der DDR gebo­ren wurde galt als Bürger/in der DDR), beruhte das Staatsbürgerschaftsrecht Öster­reichs auf Abstammung. Die Konfliktlinie ist offensichtlich: Die Kinder von ÖsterreicherIn­nen, die in der DDR geboren wurden, besaßen per definitionem beide Staatsbürgerschaften, konnten also einen österreichischen Pass beantragen und taten das auch meist, wurden aber von den DDR-Behörden als Doppelbürge­rInnen angesehen und konnten damit auch Probleme bei Auslandsreisen bekommen.

Während die Akten für die 1950er und 1960er Jahre eine relative Zufriedenheit der in der DDR lebenden ÖsterreicherInnen mit den DDR-Behörden zeigen, verschlechterte sich die Stimmung ab Mitte der 1970er und vor allem in den 1980er Jahren. In der DDR geborene ÖsterreicherInnen der zweiten Generation hatten häufiger Konflikte beim Reisen, wobei aber kein einheitlicher Umgang von Seite der DDR mit diesen Fällen zu beobachten ist. Gleichzeitig konnte es auch von österreichischer Seite zu Proble­men kommen, denn das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht war komplex: Anrecht auf einen österreichischen Pass hatte, wessen Vater die Staatsbürgerschaft besaß, wer nie in den Dienst eines ausländi­schen Staates eingetreten war, und wer die Staatsangehörigkeit nie freiwillig zurückge­legt oder freiwillig eine andere Staatsange­hörigkeit angenommen hatten. War die Kette der »vererbten Staatsbürgerschaft« einmal unterbrochen, hatten auch Nachfahren kein Anrecht mehr darauf. So bekam etwa eine Frau Probleme mit den österreichischen Behörden, weil sie in ihrem Passansuchen als Berufsbezeichnung »Postbeamtin« angege­ben hatte. Die Behörden interpretierten die Arbeit als »Beamte« jedoch als Dienst für einen ausländischen Staat und verweigerten zunächst den Pass. Die Frau konnte dann jedoch nachweisen, dass sie lediglich Ange­stellte und nicht Beamtin der Post der DDR war und bekam ihren österreichischen Pass schließlich auch ausgehändigt.

Die DDR als Exilort

Ganz anders stellte sich die Situation für die­jenigen dar, die tatsächlich in die DDR immi­grierten. Kommunistische Wissenschaftle­rInnen und Intellektuellen, denen in Öster­reich aufgrund des antikommunistischen Kli­mas entsprechende Wirkungsmöglichkeiten verwehrt geblieben waren, setzten ihre wis­senschaftliche Laufbahn in der DDR fort, etwa der Philosoph Walter Hollitscher, der Historiker Leo Stern, der Musikwissenschaft­ler Georg Knepler oder der Biochemiker Mitja Rapoport. Der aus dem US-Exil zurück­gekehrte Komponist Hanns Eisler scheiterte 1948 daran, eine Lehrstelle am Konservato­rium der Stadt Wien zu erhalten, weshalb er 1949 ebenso in die DDR ging und dort deren Nationalhymne komponierte.

Eine wichtige Zäsur stellte dabei der Abschluss des Staatsvertrags im Jahr 1955 dar. Für viele österreichische Linke bedeu­tete dies den Verlust des Schutzes vor Anfeindungen konservativer Kreise und alter Nazis. Legendär wurde aber vor allem die Geschichte der KünstlerInnen des »Neuen Theaters in der Scala«, das nach dem Zweiten Weltkrieg von aus der Emigration zurückgekehrten antifaschistischen Künst­lerInnen als progressives und selbstverwal­tetes Sprechtheater gegründet worden war. Wolfgang Heinz, Karl Paryla, Emil Stöhr, Erika Pelikowsky oder Hortense Raky waren in der Schweiz im Exil gewesen und hatten am Zürcher Schauspielhaus gearbeitet, wo sie u. a. mit dem deutschen Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff zusam­menarbeiteten. Aus dem Londoner Exil kamen Otto Tausig und seine spätere Frau Lily Schmuck sowie der in erster Linie als Kabarettist bekannte Otto Stark an die »Scala«, andere kommunistische Theater­schaffende wie Trude Bechmann und Peter Sturm schlossen sich an. Als nach Abzug der sowjetischen Truppen die »Scala« trotz ihrer künstlerischen Erfolge geschlossen werden musste und die dort arbeitenden KünstlerInnen arbeitslos waren, engagierte sie Wolfgang Langhoff an das von ihm gelei­tete Deutsche Theater in Berlin.

In der Hauptstadt der DDR trafen sie andere österreichische KünstlerInnen, die in der NS-Zeit ebenfalls im Exil waren, sich aber in anderem Kontext in der DDR niedergelassen hatten: die Schauspielerin­nen Helene Weigel und Mathilde Danegger, der Intendant der Komischen Oper in Berlin, Walter Felsenstein, Otmar Suitner, der Film­komponist und Eisler-Schüler Andre Asriel, die SchriftstellerInnen Fred und Maxie Wan­der oder der erste Chef dramaturg der DEFA, Georg Klaren. Die österreichischen Künstle­rInnen in der DDR verstanden sich jedoch nicht als homogene Gruppe. Viele hatten, nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Sprache, mit deutschen KollegInnen ebenso Kontakt wie mit Angehörigen anderer Nationen, etwa dem belgischen Filmema­cher Joris Ivens oder dem Schweizer Regis­seur Benno Besson. Die politische und künstlerische Identität dominierte die nationale und religiöse. Sie alle verstanden sich in erster Linie als Teil eines Netzwerks internationalistischer und kommunisti­scher, meist jüdischer Intellektueller, von denen die älteren schon seit Beginn der 1930er Jahre AntifaschistInnen gewesen waren und dies auch, ohne Anfeindungen ausgesetzt zu sein, bleiben wollten.

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Gelesen 6711 mal Letzte Änderung am Montag, 11 November 2019 18:12
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