»Alles ist reformierbar. Also auch die EU.«

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Andreas Thomsen ist Leiter des Büros Brüssel der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Als solcher ist er ein guter Kenner der Linken in Europa. Rai­ner Hackauf hat ihn im Vorfeld der EU-Wah­len zum ambivalenten Verhältnis der Linken mit der EU und der europäischen Integration befragt.

Der Linken werden bei den kommenden EU-Wahlen leichte Gewinne vorausge­sagt. Allerdings ist sie auf EU-Ebene nicht geeint, sondern tritt in unter­schiedlichen Bündnissen an. Wo siehst du die Spaltungslinien auf EU-Ebene?

ANDREAS THOMSEN: Es gibt ja leider keine transnationalen Listen für die Euro­pawahlen. Die Parteien treten nach wie vor in den Mitgliedsländern an. Und über den Zusammenschluss in Fraktionen des EP wird nach der Wahl entschieden. Ich sehe manche politische, analytische und auch rhetorische Unterschiede bei den Parteien des linken Spektrums, aber eine Spaltung sehe ich nicht. Das soll nicht heißen, es hätte solche Bemühungen im Vorfeld nicht gegeben. Jean-Luc Mélencheon aus Frank­reich war im Vorfeld der EU-Wahlen bestrebt, eine eigenständige Wahlplattform zu bilden und mit einer »Lissaboner Erklä­rung« der Austeritätspolitik der EU den Kampf anzusagen. Es gibt auch Kritik an der Erklärung, aber im Großen Ganzen könnten sie wohl alle Parteien aus dem Spektrum der europäischen Linken mittra­gen. Die Kritik, die er gemeinsam mit Pode­mos aus Spanien, dem Bloco aus Portugal und den skandinavischen Linksparteien formuliert, ist ja absolut berechtigt. Wir müssen die Politik in der EU grundlegend ändern. Dieses Bündnis, »Maintenant le Peuple« (»Jetzt das Volk«), ist jedoch aus meiner Sicht auch keine Konkurrenz oder Abspaltung von der Europäischen Linkspar­tei.

Die Frage nach der Reformfähigkeit der EU würden aber nicht alle gleich beant­worten?

ANDREAS THOMSEN: Es gibt in den Par­teien der europäischen Linken unterschied­liche Ansichten dazu. Während die einen sagen: Das muss überwiegend oder ganz neu gemacht machen, von Grund auf und durchaus auch für einen Austritt ihres Lan­des aus der EU eintreten, sehen andere neben Reformbedarf auch Reformmöglich­keiten. So stellen sich diese unterschiedli­chen Tendenzen in der europäischen Lin­ken auch dar. Mélencheon setzt auf EU-kri­tischere Positionen, und für ihn wäre auch der Austritt aus oder die Auflösung der EU eine Option. Und auf der entgegengesetzten Seite – wenn man so will – findet sich das Bündnis »European Spring« und Yanis Varoufakis mit Diem25. Eine Reihe kleine­rer Parteien hat sich diesem Bündnis ange­schlossen. Hier sieht man um einiges positi­ver auf den Europäischen Integrationspro­zess. Dennoch: Die Politik der Kommission wird ja auch hier scharf kritisiert. Und im Zentrum dieser Pole steht dann die Mehr­heit der Parteien der Europäischen Links­partei. Aber nochmal: Die Gemeinsamkei­ten aller drei Tendenzen überwiegen die Unterschiede aus meiner Sicht ganz klar! Würde sich die europäische Linke an diesen Fragen spalten, wäre dies ja für alle ein Bärendienst an der Sache. In der deutschen LINKEN gibt es zwei widerstreitende Losun­gen. Während die einen eine Reform der EU wollen, treten die anderen für einen Neu­start der EU ein. Jetzt nehmen wir mal an, die deutsche LINKE würde sich über diese Frage spalten. Wem außerhalb unserer Par­tei sollten wir denn das erklären können?

Alle sind »für Europa«. Sogar neofa­schistische Gruppen wie die Identitären behaupten von sich, »Europa verteidi­gen« zu wollen. »Antieuropäisch« zu sein, steht dafür nicht sehr hoch im Kurs, wird mitunter dafür gebraucht, EU-Kritik abzuwehren. Verkehrte Welt?

ANDREAS THOMSEN: »Für Europa« zu sein, ist ja in der Tat erst mal ein leeres Wort. Es geht ja nicht darum, für einen Kontinent zu sein. Wir müssen schon sagen, wofür wir politisch stehen. Dann besteht auch sehr schnell die Gefahr einer zu gro­ßen Nähe mit solchen Leuten wie diesen Identitären nicht mehr. Denn die haben, soweit ich das beurteilen kann, eine Vor­stellung von einem Kontinent Europa auf dem eine größere Zahl angeblich eingebo­rener Völker leben, in christlicher Tradi­tion und mit jeweils ethnisch definierten und eigenständigen Kulturen. Zumindest ist es dieses Europa, das die Rechten sich wünschen. Für einen Prozess des Zusam­menwachsens der europäischen Nationen, also auch für einen Prozess, in dem das gemeinsame europäische in der EU stärker wird, in dem aber auch die Regionen und Kommunen gegenüber den Nationen gestärkt werden, für ein wirklich diverses und buntes, aber in dieser Vielfalt auch vereinigtes Europa sind die Identitären dann sicher nicht mehr zu haben.

Wenn es darum geht, was also konkret gemeint ist, dann denunzieren die Rechts­radikalen die EU als »Völkergefängnis«, als »Bürokratendiktatur«. Dann wünschen sie sich den Marsch in ein Europa der ethnisch homogenen Kollektive. Etwas, das es nie war, das es auch nie sein wird. Nun gibt es auch viele Linke, die die EU kritisieren. Ich bin dagegen, das und die rechte Propa­ganda als »antieuropäisch« zusammenzu­fassen. Allerdings erfordert das auf Seiten der Linken auch etwas weniger simplifi­zierte Argumente. Natürlich kritisieren wir – völlig zu Recht – die Politik, aber auch die Verfasstheit der Europäischen Union. In den Jahren 2014 bis 2017 sind – nach den Zahlen der Internationalen Organisation für Migration – um die 17.000 Menschen bei dem Versuch, in die EU einzureisen, im Mittelmeer ertrunken. Mit einer europäi­schen Linken, die das einfach so hinnähme, die nicht gegen diese Politik der Abschot­tung Sturm liefe, würde ich nicht einmal in einem Raum sitzen wollen. Die Erpressung Griechenlands in der Eurokrise, die fortge­setzten Aufrüstungsbemühungen, die Unwirksamkeit der Bemühungen in der Kli­makrise, das Festhalten an dieser ganzen verfehlten neoliberalen Wirtschafts- und Währungspolitik, … Es gibt genügend guten Grund, die EU von links zu kritisieren. Mit der nationalistischen und rassistischen EU-Kritik der Rechtsradikalen hat das aber nichts gemein. Aber ein Übernehmen oder Kopieren rechter EU-Kritik durch die Linke darf es eben auch nicht geben.

Die radikale Rechte wird massiv dazu gewinnen, Konservative und Sozialde­mokratInnen stark verlieren, glaubt man den Prognosen. Wie kann der Auf­stieg neofaschistischer Kräfte auf euro­päischer Ebene gestoppt werden?

ANDREAS THOMSEN: Wir werden sehen, wie sich das mit der radikalen Rechten ent­wickelt. Derzeit ist die radikale Rechte in drei Fraktionen im EP organisiert. Es gibt Bestrebungen, daraus eine zu machen. Aber internationale Bündnisse von Nationalisten sind ja ein anspruchsvolles Unterfangen. Zudem sind die Kräfte, die sich in diesen drei Fraktionen versammeln, schon sehr unterschiedlich. Auch in Fragen der Radi­kalität zum Beispiel. Trotzdem, ja, Gefahr geht von Ihnen sicher aus und die Frage, wie man sich ihnen entgegenstellen kann, stellt sich. Die europäische Linke muss heute zweierlei leisten. Sie muss nach wie vor die Politik der neoliberalen Eliten angreifen und dabei den Rechtspopulismus als verfehlte Alternative erkennbar machen. Die Aufgabe ist also, die Linke als eigenständigen dritten Pol zu positionie­ren, um sowohl die eigene Kritik an den neoliberalen Dogmen, wie auch an dieser falschen und verdrehten und rückwärtsge­wandten Neoliberalismuskritik der Rechts­radikalen auszudrücken. Dazu gehört auch, gegen die fortgesetzte Spaltungspolitik anzugehen.

Neoliberale Paradigmen haben sich vor allem seit der Krise 2008ff stark in die EU-Politik eingeschrieben. Ist diese EU überhaupt noch reformierbar?

ANDREAS THOMSEN: Alles ist reformier­bar. Also auch die EU. Ich fürchte allerdings wir müssen noch früheres angreifen. Der Maastricht-Vertrag von 1992 und der Lissa­bon-Vertrag von 2009 bildeten im Wesentli­chen den Handlungsrahmen für dieses unter dem zynischen Titel »Griechenland-Rettung« dann aufgeführte Schauspiel um Macht und Erpressung. Es ist ja wahr, dass diese Grundlagen der Europäischen Union so designt wurden, dass sie insbesondere dem deutschen Exportmodell, dem deut­schen Handelsmerkantilismus also dienlich sind. Die betroffenen Länder haben kaum eine Chance, eigenständige Krisenbewälti­gungsmaßnahmen zu ergreifen und es gibt auch keine relevanten Euroraum-Budgets, die solche Ausgleichsmaßnahmen ermögli­chen könnten. Die deutsche Exportwirt­schaft konkurriert die Nachbarstaaten nie­der und es ist Deutschland, das in aller Schärfe jede Reform dieser Lage zurück­weist und blockiert. Das Verrückte ist ja, dass sie dadurch an genau dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Die liberale französische Regierung, die rechtsradikale italienische Regierung, für die ich natürlich keinerlei Sympathien hege, und auch die linke grie­chische Regierung fordern Reformen im europäischen Währungs- und Wirtschafts­regime. Die Antwort aus Berlin ist stets: Nein. Aber diese Auseinandersetzung geht weiter und im Status-quo wird es in der nächsten Krise schwer, den Euro zu halten und die EU zusammenzuhalten. Wenn die nächste »Rettungsshow« in Rom aufgeführt werden muss, wird der Reformdruck gegenüber dieser verfehlten neoliberalen Politik zu groß werden. Die Frage ist dann: Wer hat Vorschläge und wer hat Mehrhei­ten? Wenn die neoliberalen Antworten nicht mehr ausreichen, wird es dann einem progressiven, gesellschaftlichen Bündnis gelingen, eine alternative Agenda für eine soziale und demokratische EU durchzuset­zen? Inklusive der notwendigen Korrektu­ren an den EU-Verträgen? Oder schlägt dann die Stunde der Salvinis und seiner Gesellen? Dann ist es das Ende der EU und sicher der Beginn dunklerer Zeiten.

Europäische Integration von links. Wie würde so etwas aussehen?

ANDREAS THOMSEN: Ein offenes, soziales und demokratisches Europa. Keine zentrali­sierte Republik zur Verwaltung eines gemeinsamen Marktes allerdings. Eine Bundesrepublik, in der die Nationalstaaten ebenso Platz, aber nicht das Sagen haben, wie auch die Regionen und Kommunen. Und ein Staatswesen, das sich dennoch immer bemüht, die Entscheidungen mög­lichst nahe an den Betroffenen und natür­lich mit und durch die Menschen zu tref­fen. Können Entscheidungen kommunal getroffenen werden, sollte das auch so geschehen. Ein Europa also, in dem soziale und demokratische Rechte tatsächlich ver­wirklicht sind und das natürlich offen und nicht abgeschottet nach außen ist. Keine aufgerüstete und waffenstarrende und Waf­fen exportierende EU, sondern ein Europa, das dazu beiträgt, Konflikte in der Welt zu entschärfen, statt sie zu befeuern. Und wenn es einen Kontinent gibt, der wirklich viel zur Bewältigung der Klimakrise beitra­gen kann und da auch sehr in der Verant­wortung steht, dann ist es doch Europa mit seiner industriellen Infrastruktur, seiner entwickelten Zivilgesellschaft, seinem Reichtum. Und natürlich braucht ein sol­ches Europa nicht nur den Blick auf regio­nale Ungleichheiten innerhalb der jeweili­gen Länder, sondern echte und wirksame Ausgleichmechanismen auch zwischen den Ländern. Es braucht also Instrumente, regional gleichwertige Lebensbedingun­gen herzustellen.

Und welche Linke bräuchten wir dafür?

ANDREAS THOMSEN: Zunächst einmal eine möglichst starke und eine mög­lichst einige. Aber auch eine selbstbe­wusste Linke. Keine Linke, die an der Frage hadert, ob sie den Laden reformie­ren, neustarten, auflösen oder ablösen will, sondern eine linke Kraft, die eng vernetzt mit sozialen Bewegungen und Basisinitiativen echte und verstehbare und gangbare Reformvorschläge unter­breitet. Und natürlich eine sozialistisch und demokratisch ausgerichtete Linke, die weder Angst vor der offenen Debatte, noch vor der politischen Macht und Verantwortung hat.

Gelesen 7716 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 15 Mai 2019 12:38
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