ZEITGESCHICHTE: Aufbruch ins Ungewisse?

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Die Eröffnungsausstellung im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) überrascht durch pointierte Gegen­wartsbezüge und positioniert sich damit auf Seiten demokratischer Emanzipation. Der Blick zurück zeigt weniger Konturen, das weiße Wolkenband zwischen den roten Horizontstreifen bildet einen undurchsichtigen Nebel, worin auch die Zeit von 1933 bis 1938 nicht in einem Begriff gefasst werden will.

Text von HEIDE HAMMER und ELKE SMODICS (Kunst- und Kulturvermittlerin)

Wenn Geschichte, wie Stefan Benedik betont, eine Entscheidung ist, dann wird auch um Begriffe gerungen. In all den Jahren der Auseinandersetzung um eine repräsentative Darstellung der österrei­chischen Geschichte ist man als BesucherIn durchaus froh, nun nicht bei Ostarrichi anfan­gen zu müssen. Vielmehr betritt man die Aus­stellung und befindet sich zwischen zwei gro­ßen Leinwänden inmitten der Situation der Ausrufung der Republik. Hier werden die Chronologie des 12. November 1918, die Men­schen vor dem Parlament in historischen Filmaufnahmen präsent. Gerahmt wird die bewusst auf Multiperspektivität und Vielstim­migkeit orientierte kuratorische Arbeit mit Wahlplakaten, Audiostationen, Vitrinen und diversen Kartografien. Die Thematik des Wahlrechts, der Verfassung, der Grenzen und ökonomischen Krisen wird später wieder auf­genommen und mit gegenwärtigen Ereignis­sen in Beziehung gesetzt.

Mitunter ist die Anordnung der Objekte wit­zig, etwa wenn die Aktentasche von Matthias Mors, Direktor bei der Europäischen Kommis­sion, mit den »Troika»-Akten zur Lösung resp. Verschärfung der Finanzkrise in Athen 2012 vor einem Spielbrett aus 1936/37 von »Speku­lation« (später DKT) steht. Die inhaltliche Ent­scheidung, im hdgö eine Bettlerin zu Wort kommen zu lassen und der ethnisierenden, Armut kriminalisierenden Gesetze und der diese begleitenden medialen Hetze so zu ent­gegnen, gebührt Dank. Ebenso den Verkauf der Mauerbach Kunstwerke und den durch die Provenienzforscherin Sophie Lillie aufgedeck­ten Skandal im Darkroom der Geschichte aus­zustellen. Die Kunstinstallation Retracing the Tears von Arye Wachsmuth und Sophie Lillie (MAK, Dez. 2008), eine Fotoprojektion von Bildrückseiten der von Christies »als herren­loses Gut« versteigerten fast 8.000 Kunst­werke und Objekte, findet sich im Themen­komplex »Diktatur, NS-Terror und Erinne­rung«. Die Wahl der Bilder und Exponate schafft Brüche mit den Erwartungshaltungen des Publikums und wenn Objekte herangezo­gen werden, die auf die Gewaltförmigkeit der jüngeren Vergangenheit eingehen, dann wer­den sie – wie im Beispiel der »Roma zurück nach Indien« Tafel des Rohrbombenattentats von Oberwart – mit O-Tönen der Kritik an den romafeindlichen Ermittlungsweisen der Poli­zei ergänzt. Die Bildpolitik verzichtet explizit auf die Zurschaustellung von gequälten und getöteten Körper, die in den ersten Jahren der Republik alltäglich gewordene Ansicht von Invaliden wird der Beschrei­bung von AutorInnen der Zeit überlassen. Gekonnt erscheint auch das Erfassen der Gleichzeitigkeit von Ereignissen: Der Justiz­palastbrand steht neben Aufnahmen der später sehr bekannten US-amerikanischen Bildhauerin Selma Burke, die zw. 1935 und 1937 zusammen mit ihrem Lebensgefährten Hans Böhler in Wien lebte. Die schwarze Künstlerin schreibt auch über die Irritatio­nen, die ihr selbstbewusstes Auftreten in der Öffentlichkeit hervorrief. Für diese unkonventionelle Bilddramaturgie ist Ste­fan Benedik im Web ebenso wie im Ausstel­lungsdisplay verantwortlich. Die Anord­nung erfolgt chronologisch und ist zugleich in die Höhe gebaut, die Ausstellungsarchi­tektur ermöglicht so mehrere Perspekti­ven, hegemoniale Erzählungen und Gegen­geschichten.

Vielfalt und Kontingenz

Die politische Position des Nebeneinander wird auch in der Fortführung der Diskus­sion über die Bezeichnung der Jahre 1933 bis 1938 beibehalten. Das Ringen um die Definitionsmacht der Begriffe »Stände­staat« und »Austrofaschismus« wird um die weiteren terminologischen Versuche »Kanzlerdikt­atur« und »Autoritärer Stän­destaat« ergänzt. Die Entscheidung fällt zugunsten einer Verwendung der personi­fizierenden »Dollfuß-Schuschnigg-Dikta­tur«. Die Weiterführung der dahingehen­den Uneinigkeit des Beirats könnte als ele­gant bezeichnet werden, würden wir es nicht einfach mit Emerich Tálos halten, der nach umfangreichen Analysen1 große Ähn­lichkeiten mit dem italienischen Faschis­mus sieht. Zwar mag es sein, dass der »Mythos-Lagerstraße« gemeinsam mit dem »Opfermythos« ausgedient hat, wie der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Bei­rats, Oliver Rathkolb, seine Sicht auf die neue ÖVP-Führung zusammenfasst. Dass Kurz und Co das Dollfuß Bild als Dauerleih­gabe nach St. Pölten hängen und die Repu­blik heute nicht wie der einstige Märtyrer einem Bauernhof gleich führen möchten, wird schon stimmen, dass aber jeder zu wis­sen habe, wo sein Platz ist, dieses Herr-Knecht-Modell ist im neoliberalen Umbau­projekt von Türkis-Blau durchaus präsent. Platz und Name des hdgö scheinen auch kei­neswegs in Stein gemeißelt, nutzten doch Kulturminister Gernot Blümel und National­ratspräsident Wolfgang Sobotka eine Presse­konferenz noch vor Eröffnung, um sowohl einen neuen Arbeitstitel, »Haus der Repu­blik«, als auch einen neuen Standort »dem Parlament angenähert« zu lancieren. Viel­leicht sollte man der ÖVP auch nicht zu viel Planmäßigkeit unterstellen, vielmehr gibt es eine deutlich erkennbare Lust am Regieren und Repräsentieren.

In der Schau, die bis zum 17. Mai 2020 zu sehen sein wird, ist es durchaus wichtig, dass die maßvoll kritische Sicht der KuratorInnen auf Schwarz-Blau I und II ebenso Platz findet wie das Kleid von Thomas Neuwirth beim Song Contest-Sieg 2014 in Kopenhagen. Die kleine Pseudo-Barbie mit Bart und Kleid ver­weist auf die gehässigen Stimmen zur Kunst­figur Conchita Wurst. Minoritäre Rechte und Kämpfe um Anerkennung, etwa der LGBTIQ Community, sowie die umstrittene Bedeu­tung von Grenzen und Grenzregimen wird auch auf den verknappten Ausstellungsflä­chen gezeigt. Zwar bemängelt Eva Blimlin­ger, dass ihnen »kein Konzept für die fachli­che Ausrichtung des Hauses« vorgelegt wurde und Gerhard Baumgartner vermisst im Gespräch mit Gottfried Fliedl über den gemeinsamen Austritt aus dem wissenschaft­lichen Beirat »das Fehlen einer schlüssigen Darstellung der zentralen Aussagen und inhaltlichen Positionen der Ausstellung«, doch die sind erkennbar. Es ist eine diskurs­verliebte Darstellung. Das Publikum darf sich selbstverständlich virtuell und bei Hands-On-Modulen beteiligen. Es ist alles da: beglei­tendes Vermittlungskonzept, Tribünenele­mente, offene Fragen für die weiterführende Auseinandersetzung und sogar eine von Nick Prokesch gestaltete Wand, die auch Raum für Post-it-Kommentare bietet. Den Reaktionä­ren geht das sicher deutlich zu weit, doch uns fehlt etwas in diesem partizipativen Rau­schen des gleichzeitigen Sprechens: zumin­dest verstreute Zeichen eines politischen Wollens, die über diese österreichischen Zustände hinausweisen.

1 Zuletzt gemeinsam mit Florian Wenninger: Das austrofaschis­tische Österreich 1933-1938. LIT-Verlag 2017.

Gelesen 5830 mal Letzte Änderung am Freitag, 19 April 2019 14:14
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