Trendwende am Arbeitsmarkt? Von wegen!

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An Jubelmeldungen fehlte es nicht. Die Trendwende am Arbeitsmarkt sei erreicht, behauptete das Leitungsduo des AMS Johannes Kopf (ÖVP) und Herbert Buchinger (SPÖ) zu Jahresbeginn unisono. Von nun an, so wurde suggeriert, würde die Erwerbsarbeitslosigkeit nach und nach sinken. Die Mainstream-Medien griffen diese Aus­sagen unkritisch und ungeprüft auf. Die Kehrseite die­ser Erfolgsmeldungen ist klar: wer jetzt noch länger­fristig arbeitslos ist, ist offenbar selber schuld…

Von KARL REITTER

Welche existenzbedrohenden Maß­nahmen die Regierung tatsächlich gegen die Erwerbsarbeitslosen ausheckt, ist bis dato ungewiss, vor allem, ob und in welchem Ausmaß die Notstandshilfe abgeschafft wird. Unsicherheit, Ungewiss­heit und Existenzängste sind seit jeher ein probates Mittel, Menschen einzuschüch­tern und in Passivität verharren zu lassen. Es wäre naiv zu glauben, unsere Bundes­regierung wüsste das nicht. Auch so kann Widerstand geschwächt werden.

In diesem Beitrag soll, gestützt auf die offiziellen Daten des AMS und der Statis­tik Austria, gezeigt werden, dass von einer Trendwende keine Rede sein kann. Werfen wir erstmals einen Blick auf die angeblich so beeindruckend gesunkenen Zahlen (siehe Grafik unten).

Diagramm Erwerbsarbeitslose ohne SchulungZu diesen Zahlen sind noch die Schu­lungsteilnehmerInnen hinzuzurechnen, die von Statistik Austria nicht berücksich­tigt werden. Laut AMS-Daten stieg die Zahl der permanent in Schulung befindli­chen Personen kontinuierlich von 32.000 im Jahre 2001 auf 72.000 im Jahre 2017. Wohl ist die Zahl der Erwerbslosen (inklu­sive SchulungsteilnehmerInnen) von 424.523 im Jahre 2016 auf 412.075 im Jahre 2017 gesunken.12.448 Personen weniger beim AMS gemeldet, welch Trendwende durch Zahlenzauber; Schulungen werden nicht berücksichtigt, oftmals wird von der nationalen, realistischen Berechnung der Arbeitslosigkeit auf die Eurostat-Defini­tion gewechselt, die Personen als beschäf­tigt definiert, wenn sie zumindest eine Stunde pro Woche Erwerbsarbeit verrich­teten. Aus 412.075 Arbeitslosen im Jahre 2017 werden so nach der Eurostat-Defini­tion nur noch 247.900.

Die Entwicklung der Arbeitslosenquote zeigt ein sehr ähnliches Bild wie das abge­bildete Diagramm. 1994 betrug sie 6,5 %, um 2014 das erste Mal die 8 % Marke zu überschreiten. 2015 und 2016 betrug sie 9,1 % um 2017 auf 8,5 % zu sinken. Aber erst der historische Rückblick offenbart das dramatische Ausmaß der steigenden Erwerbsarbeitslosigkeit (siehe Grafik unten):

QualifikationSank die Arbeitslosenrate in den 70er- Jahren bis fast auf 1 %, so folgte in den 80ern ein rasanter Anstieg, der seitdem zwar langsamer, aber umso stetiger ver­läuft. In den 2010er-Jahren kam es noch­mals zu einer Erhöhung. Wie die Statistik zeigt, kam es immer wieder zu leichten Rückgängen, so auch von 2016 auf 2018. Dies aber als großen Durchbruch zu ver­kaufen, dazu bedarf es schon einiges an Unverfrorenheit.

Ein genauerer Blick auf die Ursachen des Rückgangs

Wie ist dieser Rückgang überhaupt zustande gekommen? Wer profitiert davon und in welchem Ausmaß? Die Analyse zeigt Verblüffendes. Üblicherweise wird die Qua­lifikation als Schlüssel zum Job gepriesen. Zweifellos ist die Arbeitslosenrate bei Hochgebildeten am niedrigsten, bei Unqua­lifizierten am höchsten. Daran hat sich kaum etwas geändert, aber es ist schon bemerkenswert, dass der Rückgang der Erwerbsarbeitslosenrate auf das Konto der wenig Gebildeten geht. Dies zeigen die hochoffiziellen Statistiken des AMS. Dies lässt die Vermutung zu, dass es sich bei den zusätzlichen Arbeitsplätzen eher um schlecht bezahlte, prekäre handelt (siehe Tabelle oben).

Arbeitslosenquote 1950 2016Aber nicht nur das. Das eigentliche Kernproblem liegt in den permanent sinkenden Wochenarbeitsstunden, die tatsächlich geleistet werden. Das heißt, das nachgefragte Arbeitsvolumen teilt sich auf immer mehr Beschäftigte auf. Oder anders gesagt, die steigende Zahl der Beschäftigungsverhältnisse ist durch den Rückgang der tatsächlich geleisteten und daher auch bezahlten Arbeitsstun­den pro Erwerbstätige erkauft. Diese Ent­wicklung betrifft sowohl Männer als auch Frauen.

Durchschnittliche, tatsächlich geleis­tete Wochenarbeitszeit inklusive Über­stunden laut Statistik Austria:

Die durchschnittlich, tatsächlich geleis­tete Wochenarbeitszeit ist von 36,2 Stun­den im Jahre 2004 auf 31,9 Stunden im Jahre 2017 gesunken. Die Schere zwi­schen der Anzahl der Beschäftigten und den von ihnen geleisteten Arbeitsstun­den öffnet sich. Die Zahl der Beschäfti­gungsverhältnisse ist von 2004 bis 2017 von 3.676.700 auf 4.260.500 gestiegen. Bei den insgesamt pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden gab es hingegen nur einen Zuwachs von 6.775 Millionen auf 6.927 Millionen. Stiegen die Beschäfti­gungen um 15,8 %, so die Arbeitsstunden nur um 3,3 %. Diese Zahlen sollten auch all jenen zu denken geben, die in der Arbeitszeitverkürzung einen entschei­denden sozialpolitischen Hebel erkennen möchten. Eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden soll, so informieren gewerk­schaftlich orientierte Webseiten, 40.000 bis 50.000 neue Arbeitsplätze bringen. Selbstverständlich ist diese Forderung unbedingt zu unterstützen, aber die Frage bleibt offen, welche Perspektive all jene haben, denen eine mögliche Arbeitszeit ­verkürzung keinen Job verschaffen würde, und das ist die überwiegende Mehrheit.

durchschnttliche ArbeitszeitFazit

Halten wir fest: Die nachgefragte Arbeit teil sich auf immer mehr Menschen auf. Aller­dings erfolgt die Verteilung der vorhande­nen Arbeit keineswegs gleichmäßig. Im Gegenteil. Männer haben nach wie vor mehr entlohnte Beschäftigung als Frauen. Aber für alle gilt: ein Teil ist überbeschäf­tigt, der andere nur gering beschäftigt, wenn überhaupt. Viele, insbesondere in besseren Jobs, sind permanent zu Über­stunden gezwungen, andere sind froh, wenn sie überhaupt bezahlte Beschäftigung finden. Marx hat diese Entwicklung ganz klar antizipiert. »Die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapi­tals zwingt. Die Verdammung eines Teils der Arbeiterklasse zu erzwungenem Müßig­gang durch Überarbeit des andren Teils und umgekehrt, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten und beschleu­nigt zugleich die Produktion der industriel­len Reservearmee auf einem dem Fort­schritt der gesellschaftlichen Akkumula­tion entsprechenden Maßstab.« (Marx, Kapital Bd. I, 665 f.) Diese Situation ist ein­getreten. Welche linken Antworten gibt es auf diese Probleme? Ich denke grundsätz­lich zwei: Eine sozialdemokratische und eine kommunistische, die sich wohl in manchen Punkten berühren, letztlich aber doch in völlig unterschiedliche Richtungen weisen. Die sozialdemokratische setzt auf keynesianische Wirtschafts- und Finanz ­politik und hofft dadurch, wieder Verhält­nisse wie in den 70er Jahren bewirken zu können. Die kommunistische Antwort hingegen setzt auf mehr Rechte und Kompetenzen der Menschen, nicht zuletzt gegenüber dem AMS, und plädiert für bedingungslose Existenzsicherung für alle. Diese Alternativen wären zu diskutieren.

Gelesen 6815 mal Letzte Änderung am Freitag, 19 April 2019 11:45
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