Helene Funke, Träume, 1913 Volksstimme Redaktion Helene Funke, Träume, 1913

"Geschwiegen wurde zu lange!"

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Seit 24. Jänner wird im Unteren Belve­dere die Ausstellung »Stadt der Frauen« mit rund 300 Werken von knapp 60 weitge­hend unbekannten Künstlerinnen der Moderne gezeigt – einer Epoche der Wiener Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die mit Gustav Klimt, Egon Schiele und ihren Zeitgenossen Inbegriff der Wiener Ausstel­lungspolitik geworden ist. Sie bestimmen sowohl Tourismus wie auch Standort- und Ausstellungspolitik von sich im ständigen Konkurrenzkampf befindlichen Kunstinsti­tutionen der Stadt.

Welche/e KuratorIn ist nicht bemüht, auf dem musealen Jahrmarkt der Eitelkeiten mit immer neuen Aspekten der Wiener Moderne zu punkten? Der Stolz des heimi­schen Kunstbetriebs über ihre Künstler-Stars verschweigt wohl wissentlich, dass viele der heute teuer gehandelten Künstler in ihrer Zeit höchst umstritten, geächtet und verfolgt waren, ihre Werke kurz darauf als »entartet« mit Acht und Bann belegt waren. Welche/r kunstaffine Städterei­sende besucht nicht das Schiele-Museum (eigentlich Leopold Museum) mit seiner gerühmten Schiele-Sammlung, wer wagt es, einen Besuch des Oberen Belvedere mit dem berühmtesten Kuss der Welt (von Gus­tav Klimt) zu versäumen, der schon in der Exit-Halle des Wiener Flughafens beworben wird?

Im Kontrast zu ortsüblichen Mega-Schauen nimmt sich die »Stadt der Frauen« als Ausstellung schlicht aus – und stellt doch nichts weniger als ein kunsthistori­sches Fanal dar, entreißt sie doch das Erbe der hier vertretenen Künstlerinnen, das jenem der weit bekannteren Männer kaum nachsteht, dem Vergessen. In dieser längst überfälligen Retrospektive wird der Kunst von Frauen ein monumentales Zeugnis aus­gestellt. Heute jedoch sind sie kaum mehr bekannt, auch wenn sie ein Stück Kunstge­schichte geschrieben haben. Ihnen, ihrer Kunst vor und nach dem Ersten Weltkrieg und ihrer emanzipatorischen Leistung ist die großartige Ausstellung, die Werke aller Disziplinen der bildenden Kunst umfasst – von Skulptur gleich im ersten Raum bis zu großformatiger Malerei, von Zeichnung zur Grafik und Collage – gewidmet. Gezeigt werden zum Teil wiederentdeckte oder gar erstmals präsentierte Werke von jenen Künstlerinnen, die zu ihrer Zeit angesehen waren und heute so gut wie unbekannt sind.

 

Helene Funke Akt in den Spiegel blickend

Die Künstlerinnen

Hier ist sie also zu sehen, die verschwie­gene, vergessene, verdrängte, wirklich »neu« wieder-zu-entdeckende Wiener Moderne! Einige Namen der vielen Künstle­rinnen, deren Werke hier gleichwertig nebeneinander ausgestellt sind und deren schiere Anzahl auf den ersten Blick über­wältigt, meint man zu kennen. Neben den bekannten Tina Blau und Broncia Koller-Pinell sind das u.a. Friedl Dicker, Marie Egner, Helene Funke, Greta Freist, Marga­rete Hamerschlag, Fanny Harlfinger- Zakucka, Hermine Heller-Ostersetzer, Elza Kövesházi-Kalmár, Teresa Feodorowna Ries, Mileva Roller, Ilse Twardowski-Conrat oder Franziska Zach.

Die Welt aus weiblicher Sicht!

Auf wenigen Quadratmetern offenbart sich ein unbekanntes Universum des Impressio­nismus, Kinetismus, Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und, ja sogar von Dada und Surrealismus. Viele der vertretenen Malerinnen, Zeichnerinnen, Bildhauerin­nen, Grafikerinnen und Visionärinnen der Moderne arbeiteten damals bereits auf Augenhöhe mit Kollegen wie Gustav Klimt und Egon Schiele, sie stellten wie diese in der Secession, im Hagenbund, im Salon Pisko und in der Galerie Miethke aus. Hier vermischen sich gänzlich unorthodox topi­sche wie atopische Motive der Zeit, die von üppigen Landschaften bis zu sensiblen Selbstporträts, Skizzen von einfachen Men­schen aus Armenvierteln und Visionen einer fernen Zukunft befreiter Menschen reichen.

Helene von Taussig, Weiblicher Akt auf blauem Stuhl, 1920/30

Beim Gang durch die Räume, in denen wie einem Gespensterhaus entstiegen lange Verschwiegenes und Vergessenes ans Tageslicht tritt, beschleichen einen gemischte Gefühle, wenn man etwa liest, dass einige an den Kaffeehausrunden der berühmten Männer teilnahmen, dass Kolle­gen wie Klimt und Schiele sie in die Seces­sion einluden, dass in der legendären Kunstschau 1908 und 1909 ein Drittel der Werke von Frauen war, die in prominenten Wiener Galerien ausstellten und (in weni­gen Fällen) ebenso am Markt reüssierten. Festzuhalten ist jedenfalls, dass bis heute die Kunst dieser Frauen im Schatten der kanonischen Werke der Männer steht. Viele waren Jüdinnen und mussten später Öster­reich verlassen, einige wurden in Konzen­trationslagern ermordet, eine Künstlerin trat der NSDAP bei und arisierte u.a. den VBKÖ, einen bis heute aktiven Zusammen­schluss von Frauen in der Kunst aus dem Jahr 1910. Friedl Dicker-Brandeis, die u.a. bei Johannes Itten am Berliner Bauhaus stu­dierte, war österreichische Kommunistin und kam in Auschwitz zu Tode. (Frauen durften trotz Aufnahme ab 1868 in die Kunstgewerbeschule bis 1920 nicht an den Kunstakademien studieren und waren nicht zu männlich dominierten Künstlervereini­gungen wie dem Künstlerhaus oder der Secession zugelassen; sie schlossen sich also in separaten Vereinigungen zusammen).

Die Aufnahme

Es drängt sich vehement die Frage auf, wa­rum es 100 Jahre dauern musste, bis eine re­präsentative Schau wie diese organisiert wird, die als Offenbarung uneingeschränk­tes Lob in der Presse erntete (so titelten die Tageszeitungen »Gewichtiger Beitrag zur Moderne«; »Was für Frauen! Was für Kunst­geschichten!«; »Gerechtigkeit für die Mo­derne«). »Mit dem Zweiten Weltkrieg wur­den sie aus der Kunstgeschichte verdrängt«, heißt es lapidar in einer der Ankündigungen der Stadt Wien zur Ausstellung1, so als wäre das eine plausible Erklärung! So als hätte bloß ein Krieg dieses Versagen verursacht, als hätte nicht der Nationalsozialismus dazu geführt, dass die Werke so vieler Künstlerin­nen übergangen wurden und als wären nicht Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtau­sende verstrichen, in denen Frauen die Kreativität und die Fähigkeit, Kunst zu ma­chen, abgesprochen worden wäre! Ähnlich dünn fällt in dieser Hinsicht das inhaltlich-theoretische Gerüst der die Gemälde und Objekte begleitenden Texte aus, die wenig bis gar nicht zu diesem schockierenden Tat­bestand Stellung nehmen.

Gemeint ist der Kulturbruch, der dazu führte, dass es nach 1945 nicht gelang – ja gar nicht versucht wurde –, an die innovati­ven sozialen und kulturellen Errungenschaf­ten der enorm revolutionären Zeit der künstlerischen »Wiener Moderne« anzu­schließen und somit den nachfolgenden Generationen ein wesentlicher Teil der eigenen Kultur/Geschichte vorenthalten wurde und bis heute wird. Diesem Mangel, der ohnedies kaum wett zu machen ist, ent­schieden und auf der ansehnlichen Arena eines großen Museums entgegen zu wirken, ist das ungeheure Verdienst dieser Ausstel­lung, die in langwieriger Recherchearbeit und mit großer Sorgfalt von der Kuratorin Sabine Fellner ausgerichtet wurde. Es darf gehofft werden, dass im Ausstellungswesen Wiens ab dato nichts mehr am alten Platz sein wird.

Ausstellungsende: 19. Mai 2019 (www.belvedere.at/stadt_der_frauen)

Stadt der Frauen – Führung mit Petra Unger
Es war höchst an der Zeit und wir können sie gar nicht oft genug zu sehen bekommen: Die Künstlerinnen der Moderne!

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Ab 22. März 2019 gehen die Frauenspaziergänge ins Untere Belvedere.
Auch hier finden sich bereits Termine auf http://frauenspaziergaenge.at
1. TERMIN: 22. März 2019 von 18 bis 19:30 Uhr, 12 Euro
2. TERMIN: 23. März 2019 von 11 bis 12:30 Uhr, 12 Euro

Gelesen 6816 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 21 März 2019 10:58
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