USA: Bernie Sanders – ein sozial engagierter Präsidentschaftskandidat

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USA: Bernie Sanders – ein sozial engagierter Präsidentschafts-kandidat

Laut Meinungsumfragen der letzten zwei Jahre ist Bernie Sanders der beliebteste Politi­ker der USA. Wenn er es schafft, sich gegen­über den bisher 14 weiteren Präsidentschafts­kandidaten1 aus der Demokratischen Partei durchzusetzen, wäre es nicht unmöglich, die Präsidentschaft im Jahr 2020 zu gewinnen. 2016 musste er im Vorwahlkampf gegenüber Hillary Clinton, der ersten weiblichen, aber kriegslüsternen Kandidatin in den US-Groß­parteien, eine Niederlage einstecken. Nun will er es noch einmal wissen.

Parteilos auf dem Ticket der Demokraten

Der 1941 in New York geborene parteilose Politiker wurde 1991 mit Unterstützung der National Rifle Association, der größten Waf­fenlobbyorganisation der USA, Mitglied des Repräsentantenhauses. Ab 2007 vertrat er als Senator in der Fraktion der Demokraten den Bundesstaat Vermont, in dessen größ­ter Stadt Burlington er ab 1981 insgesamt vier Mal zum Bürgermeister gewählt wor­den war. Er war dort so erfolgreich, dass ihn die New York Times zu den 20 besten Bürgermeistern der USA zählte. Bis heute sei die Stadt umweltfreundlich und lebens­wert, das Wohnen leistbar (trotz niedriger Vermögenssteuern) und die Arbeitslosig­keit niedrig, schreibt The Nation, die älteste Wochenzeitung der USA.2

Besonderen Rückhalt hat Sanders bei den Democratic Socialists of America (DSA), der gegenwärtig mit 50.000 Mitgliedern stärks­ten sozialistischen Organisation in den USA (zu Trumps Amtsantritt waren es nur 7.000), und ihrem inoffiziellen Organ, dem Magazin Jacobin3. Sanders im Originalton: »Es geht uns darum, Amerika zu verändern und eine Regierung zu schaffen, die auf den Prinzipien ökonomischer, sozialer, antiras­sistischer und umweltpolitischer Gerech­tigkeit fußt.«4 Er möchte den Einfluss des Finanzkapitals brechen und die Macht der privaten Krankenversicherungen, der Erdöl-, Gas- und Kohleindustrie, der Indus­trie der privaten Gefängnisse, der Pharma­industrie und des militärisch-industriellen Komplexes beschränken. Sein Ziel ist die Verbesserung der Lebensbedingungen für die weniger Wohnhabenden. Konkret schlägt er einen menschenwürdigen Min­destlohn und eine allgemeine staatliche Krankenversicherung vor. Es gehe nicht an, dass in den USA drei Milliardäre über mehr Reichtum verfügen als die Hälfte der US-AmerikanerInnen, und dass andererseits die Hälfte aller ArbeiterInnen keinerlei Ersparnisse hat. Die Besteuerung sollte

nicht wie bisher die Reichen begünstigen, sondern progressiv mit der Höhe der Ein­kommen steigen. Er spricht sich für effekti­vere Maßnahmen gegen den Klimawandel aus.

Zur Unterstützung seiner Wahl will San­ders eine grassroot-Bewegung im Umfang von einer Million Menschen auf die Beine stellen. Er verzichtet auf Spenden von Großkonzernen und hat bereits bei seinem ersten Anlauf 2016 mehr als 12 Millionen Dollar durch 400.000 Kleinspenden von je 31 Dollar eingeworben.5

Sanders linkes Auftreten mit dem Slogan »Nicht ich, sondern wir!« hat die Pro­gramme seiner KonkurrentInnen in der Demokratischen Partei beeinflusst, so dass er nicht mehr wie 2016 als einziger Kandi­dat mit fortschrittlichen Vorstellungen dasteht. Andere haben seine Forderungen aufgegriffen und auf lokaler Ebene Siege errungen, wie z. B. die Wirtschaftswissen­schaftlerin Alexandria Ocasio-Cortez (ihr Kürzel: AOC), die im Juni 2018 aus dem Stand mit Reichensteuern und einem bedingungslosen Grundeinkommen gegen einen altgedienten Demokraten Joseph Crowley im 14. Wahlbezirk New Yorks die Vorwahl gewann, oder Julia Salazar6 die zur Senatorin im 18. Bezirk gewählt wurde.

Ob Sanders diesmal die Vorwahlen gewinnen wird, ist ungewiss, aber nicht unmöglich. Manche seiner Gegner werfen ihm sein fortgeschrittenes Alter vor, andere sehen ihn eben deshalb als Identifi­kationsfigur für die Jüngeren. Sein unleug­bares soziales Engagement macht ihn für die ärmeren Schichten der Gesellschaft wählbar. Nicht von ungefähr polemisiert Trump gegen einen Kommunismus in den USA, der durch Sanders vertreten würde. Meinungsumfragen an der Universität Har­vard zufolge geben 43 Prozent der 18- bis 29-jährigen AmerikanerInnen kapitalisti­schen Verhältnissen den Vorzug, aber 31 Prozent sagen, der Sozialismus sei bes­ser. Den demokratischen Sozialismus unterstützen sogar 39 Prozent.7

Im Jacobin (Heft 32) loten VertreterInnen

der Demokratischen Sozialisten vorsichtig die Möglichkeiten aus, die ein Bernie Sanders als Präsident der Vereinigten Staaten hätte. Sie sehen zwei Szenarien voraus. Das erste könnte darin bestehen, dass sich die Regie­rungsbürokratie zwar der neuen politischen Realität an der Oberfläche beugt, aber die meisten der Forderungen des Präsidenten ins Leere laufen lässt. Dann wird die Demokrati­sche Partei ihren WählerInnen erklären, dass sie schon über die Brosamen froh sein müss­ten, mehr wäre eben nicht drinnen. Das opti­mistischere Szenario hingegen setzt eine ArbeiterInnenbewegung voraus, die sich auf harte Auseinandersetzungen mit dem Kon­gress, dem Obersten Gerichtshof und den ihr feindlichen Gesetzen einlässt. Dabei sind nicht nur die Widerstände der Republikaner zu überwinden, sondern auch großer Teile der Demokraten. Der ArbeiterInnenbewegung gehe es ja um mehr als eine bloße Mehrheit im Parlament oder einen einzelnen Sieg. Es müsse alles getan werden, um nicht auf dem Niveau der Sozialdemokratie steckenzublei­ben. Dem Kapital dürfe keine Zeit gegeben werden, sich neu aufzustellen. Gleichzeitig gehe es um längerfristige Weichenstellungen. Es müssten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, wie der Weg zum Sozialismus durch eine veränderte Gesetzgebung erleichtert werden kann. Wichtige Meilensteine stellen nach Jacobin erweiterte gesetzliche Grundla­gen zur Ausweitung von Eigentum in Arbeite­rInnenhand und die Arbeiterkontrolle der größeren Unternehmen dar.

Was tun?

Trump habe gezeigt, wie schnell die Politik seiner Vorgänger im Amt rückgängig gemacht werden kann. Sanders müsse das­selbe tun, aber mit entgegengesetzter Stoß­richtung. Es wären kurzfristig wichtige Pos­ten zu besetzen, wodurch umgekehrt die Aktivitäten der Arbeiterbewegung und der sozialen Bewegungen gestärkt werden. Er müsse so rasch wie möglich arbeiterfreundli­che VertreterInnen in das Arbeitsministe­rium, in den »Bundesausschuss zur Regelung der Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern« (National Labor Relations Board) und engagierte UmweltschützerInnen in die entsprechenden Gremien entsenden sowie den Status irregulärer ImmigrantInnen legalisieren.

Dekrete des Präsidenten Ein wichti­ges Werkzeug für einen US-Präsidenten sind die Dekrete (executive orders). Präsi­dent Trump nützt sie beinahe täglich und unterschreibt sie medienwirksam vor lau­fender Kamera. Schon seit 1789 haben US-amerikanische Präsidenten solche Dekrete erlassen, Präsident Roosevelt sogar 3721 davon. Sie bedürfen früher oder später einer parlamentarischen Ermächtigung. Ohne diese haben sie keine lange Lebens­dauer.

Immerhin könnten Dekrete des Präsi­denten die Phantasie der Massen beflü­geln. Politische Konzepte, die vorher undurchführbar schienen, könnten durch Dekrete legitimiert werden. Jacobin hat einige mögliche Dekrete aufgezählt, die für den zukünftigen Präsidenten in Reichweite wären, die neue politische Möglichkeiten schaffen, in diesem Fall für die Vielen und nicht – wie bisher – für die Wenigen. Ich biete eine Auswahl davon.

Umwelt Per Dekret könnte ein Präsi­dent den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen rückgängig machen und Ziele zur effektiven Reduk­tion von Treibhausgasen und zur Ein­schränkung des Energieverbrauchs im Bereich der Bundesregierung vorschrei­ben. Darunter ist das Militär von besonde­rer Bedeutung (das US-Verteidigungsmi­nisterium ist mit seinen Luft-, See- und Landstreitkräften einer der größten Umweltverschmutzer der Welt). Er könnte allen US-Agenturen, z.B. der Agentur für Umweltschutz, dem Innenministerium oder dem Ingenieurkorps der Armee vor­schreiben, keine Projekte mehr zu fördern, die das Klima belasten, besonders jene, die für Farbige und Arme besonders schädlich sind.

Außenpolitik Die Vereinigten Staa­ten von Amerika verfügen über die größte Militärpräsenz in der Geschichte unseres Planeten. Ein Präsident Sanders könnte Truppen aus allen Teilen der Welt zurück­beordern, besonders dort, wo sie Morde begehen – so genannte Anti-Terror-Aktio­nen, die tatsächlich internationales Recht verletzen und weder die USA noch die Menschen in anderen Ländern sicherer machen. Er könnte die »Todeslisten« des Pentagons abschaffen, die Namen von Per­sonen enthalten, die zu verhaften oder zu ermorden wären.

Strafrecht Ein Präsident könnte den massenhaften Gefängnisstrafen in den USA die Grundlage entziehen. Er könnte dem Justiz- und dem Sicherheitsministerium (Department of Homeland Security) die Weisung erteilen, die privaten Bundesge­fängnisse oder private Auffanglager für MigrantInnen zu schließen und alle Ver­träge mit privaten Gefängnisunternehmen zu beenden. Derzeit befinden sich pro Kopf der Bevölkerung vier Mal mehr Menschen in US-Gefängnissen als in China!

Wirtschaftspolitik Die so genannte Volcker-Regel wurde 2010 als Bestandteil des Dodd-Frank-Gesetzes eingeführt, um die Banken zu zwingen, das Geld der Einle­gerInnen nicht mehr für Finanzspekulatio­nen auszugeben (die 2008 zur finanzwirt­schaftlichen Krise geführt hatten). Unter der Präsidentschaft von Trump wurden Versuche unternommen, die Volcker-Regel aufzuweichen. Sanders könnte sie wieder in Kraft setzen. Ferner sollte der Mindestlohn für Bundesbedienstete hinaufgesetzt wer­den, da die 10,10 Dollar, die Obama festge­legt hatte, um vier Dollar niedriger als die vom MIT berechneten Lebenshaltungskos­ten liegen.

Studierende Eine für die USA wichtige Frage ist die 1.500 Milliarden Dollar schwere Verschuldung von Studierenden. Sanders könnte diese Schulden per Dekret tilgen. Diese Entschuldung würde die Kon­sumausgaben steigern, die Arbeitslosigkeit um 0,3 Prozent verringern und das Brutto-Inlandsprodukt um etwa 1.000 Milliarden Dollar innerhalb der nächsten zehn Jahre erhöhen.

Es wäre für die ganze Welt erfreulich, wenn ein Linker wie Sanders Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird.

1 https://www.bbc.com/news/world-us-canada-46954566

2 https://www.thenation.com/article/bernies-burlington-city-sustainable-future/

3 https://jacobinmag.com/

4 https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/usa-praesiden­tenwahl-2020-bernie-sanders-will-es-nochmal-wissen-16050415.html

5 https://www.welt.de/politik/ausland/article145595192/Der-linke-Trump-macht-Hillary-Clinton-Angst.html

6 https://en.wikipedia.org/wiki/Julia_Salazar

7 https://derstandard.at/2000100604333/Kampf-gegen-Ungleichheit-Ocasio-Cortez-treibt-alle-vor-sich-her

Gelesen 6345 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 15 Mai 2019 15:38
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